Hauptbild
Nimmt die Musik zunehmend ernster: Wenzel. Foto: Markus Altmann
Nimmt die Musik zunehmend ernster: Wenzel. Foto: Markus Altmann
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Aber sterben muss man in Wien

Untertitel
Hans-Eckardt Wenzel – Poet, Bänkelsänger und bekennender Workaholic
Publikationsdatum
Body

Bescheiden, fast unauffällig wirkt er, wenn man ihn auf der Straße sehen würde, ohne zu wissen, wer er ist. Aber wer ihn einmal live auf der Bühne erlebt hat, wird seine eingängigen Melodien und Texte lange nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Im Moment tourt Wenzel, wie er sich und alle anderen ihn kurz nennen, mit Band und solo durch die Lande. Der in Wittenberg geborene Poet, Sänger und Musiker – den Begriff Liedermacher findet er dumm – war vor der Öffnung in der DDR bereits ein Star, auf Bühnen im ehemaligen Westen und in Österreich spielt er inzwischen oft, aber immer noch vor weit weniger Publikum. Ursula Gaisa traf Wenzel vor seinem Auftritt im Nürnberger „Hirsch“.

„Glaubt nie, was ich singe“ lautet der Titel seiner neuesten CD, die 2007 erschien und sofort wieder den Preis der deutschen Schallplattenkritik einheimsen konnte. Die Auskopplung „Tausend Tode“ steht im Moment zum siebten Mal auf Platz 1 der Liederbestenliste, sieben Monate in Folge also. Bis heute hat er 21 Langspielplatten und 9 Textbände veröffentlicht. Und trotz alledem ist er für viele in den alten Bundesländern immer noch ein Unbekannter. Wenzel selbst erklärt sich das einerseits aus einer gewissen Ignoranz gegenüber ostdeutscher Kultur: „Nachdem die Mauer gefallen ist, war man noch ganz euphorisch, da konnte man noch ein paar Konzerte geben. Inzwischen ist das alles ein einziger großer Kulturbetrieb mit seinen eigenen Marktmechanismen“, andererseits aus der fehlenden Urteilskraft und Autoritätsgläubigkeit der „Wessis“: „Da weiß man vorher, was gut ist, man lässt sich nicht mehr auf das Abenteuer ein. Und wer nicht alle Nase lang im Fernsehen zu sehen ist, kann gar nicht gut sein …“ Doch Jammern liegt dem Realisten Wenzel, wie er sich selber bezeichnet, fern. Er hat die Öffnung und den Mauerfall eher als Chance begriffen: „Um das Jahr 2000, als ich mit der Band angefangen habe, habe ich mir gesagt: ‚Sei dir nicht zu fein dafür, noch mal von vorn anzufangen, auch wenn du über 30 bist – wie ein 16-Jähriger ganz unten anzufangen, wieder die kleinen Clubs zu erspielen.‘ Das hat mir am Ende gut getan, den eigenen Stolz zu brechen.“

„Alles Laue, Halbe hass’ ich“ steht als eine Art Eingangsmotto auf seiner Website. Und diesen Satz des österreichischen Dichters Theodor Kramer, den er während seines Ästhetik-Studiums für sich entdeckt hat und von dem er inzwischen an die 100 Texte vertont hat, bezeichnet er als eine Art Lebensmotto für sich: „Alle Dinge, die man mit halber Kraft tut, sind vertane Zeit. Das Konzert, das man mit halber Kraft, halbem Herzen angeht, das raubt einem Kraft. Wenn man sich nicht schont, wenn man seine Kraft weg gibt, dann bekommt man am meisten zurück. Das ist meine Erfahrung.“ In Theodor Kramer hat er einen Seelenverwandten gefunden: „Seine Gedichte haben etwas Blitzhaftes. Er überrumpelt einen sozusagen mit seinen Bildern, und das mag ich. Eine sehr moderne Art von Poesie in einer scheinbar sehr alten Form. Das interessiert mich, bestimmte Töne seiner Melancholie sind mir sehr nah.“ Seine musikalischen Vorbilder überraschen dagegen. Als ersten nennt er Dimitri Schostakowitsch: „Ich mag seine Kopplung zwischen Banalität und musikalischer Raffinesse. Er hat so etwas Tragisch-Komisches …“ Weiter nennt er Franz Schubert, Hugo Wolf, Hanns Eisler und Gustav Mahler. Beeinflusst hätten ihn auch sehr stark die Songs der Zwanzigerjahre von Eisler und Weill. Aber ein „direktes Vorbild kann ich schlecht nennen, da bin ich zu eigenbrötlerisch.“

Über 100 Auftritte absolviert er pro Jahr – entweder solo oder mit einer vierköpfigen Band in wechselnden Besetzungen. Beides hat für Wenzel seinen Reiz. „Wenn ich solo unterwegs bin, kann ich mehr improvisieren, kann ich Lieder austesten, mich mehr meinen Launen hingeben. Mit der Band hat man dagegen einen festen Ablauf, aber es macht großen Spaß, mit anderen Leuten zu spielen, Musik ist ja auch ‚mit anderen musizieren‘.“ Die Musik ist für ihn, der als Literat angefangen und nie ein Instrument gelernt hat, inzwischen als Autodidakt aber Akkordeon, Klavier und Gitarre spielt, im Laufe seiner Karriere immer wichtiger geworden: „Sie hat mehr Energie als der Text, weil sie die Möglichkeit hat, uns in unserer Lebenszeit adäquat zu begleiten: Ein Lied braucht drei, braucht fünf Minuten meines Lebens – für mich und für die Zuhörer auch. Und das ist etwas sehr Gleichmachendes, etwas sehr Angenehmes. Musik ist das einzige Medium, das uns in unserer Einsamkeit vor der Unendlichkeit ein bisschen betäuben kann.“

Daraus erklärt sich Wenzel auch seine Hinwendung zu den heiteren Tönen. Vergleicht man seine erste Platte „Stirb mit mir ein Stück“ mit „Glaubt nie, was ich singe“, so bleibt immer noch eine gehörige Portion Melancholie, aber viele seiner Lieder haben inzwischen fast etwas Übermütiges: „Das liegt daran, dass ich die Musik zunehmend ernster nehme. Die Musik ist ein Spiel, etwas Leichtes. ‚Glaubt nie, was ich singe‘ wurde als Session eingespielt: Wir haben uns so lange in einen Keller eingesperrt, bis wir alle damit einverstanden waren. Diese Freude am Umgang miteinander, das spürt man auf der CD“.

„Schöner lügen“, „Glaubt nie, was ich singe …“ – das Spiel mit der so genannten Wahrheit hat ihn schon immer fasziniert: „Wir wachsen immer auf unter der Prämisse, dass wir uns angeblich selber finden wollen. Das ist natürlich ein Trugschluss in der Moderne. In der modernen Welt ist man immer mehrfach vorhanden. Wo ist das Wahre, wo ist das Falsche, das ist nicht auszumachen. Das Spiel dazwischen, das interessiert mich. Hegel spricht von den Wahrheiten der Geschichtsschreibung und den Lügen der Dichter, dass die Poesie also immer etwas dazu erfindet zur Welt. Und in dieser Lüge steckt manchmal mehr Wahrheit als in der abgebildeten Wahrheit. Was man träumt, ist ja auch eine Lüge, trotzdem steckt in dem Traum eine Art surreale Wahrheit.“

Vier neue CDs sind in Vorbereitung und werden in den kommenden Monaten auf den Markt kommen: eine geschlossene Komposition mit 17 Texten der unbekannten österreichischen Dichterin Henriette Haill, einer Zeitgenossin Kramers, Wenzels „Kleines Meertagebuch“ begleitet von acht Blechbläsern des Konzerthauses am Gendarmenmarkt wurde eingesungen, weiterhin wird es eine Doppel-CD mit Solo-Live-Mitschnitten und eine mit Vertonungen klassischer deutscher Kinderverse à la „Dunkel war’s, der Mond schien helle“ geben. Außerdem ist ein Buch mit hundert Liedern (Noten und Texte) in Arbeit, das nächstes Jahr erscheinen wird.

Hat so einer wie Hans-Eckardt Wenzel Hobbys? – „Wenn ich Freizeit habe, dann arbeite ich. Ich genieße die Zeit, wenn ich mal nicht unterwegs auf Tour bin, dann kann ich schreiben. Ich kann mich nur über meine Arbeit definieren. Ich finde mich nur sinnvoll und erträglich, wenn ich etwas tue.“

Wenzel: Glaubt nie, was ich singe
Conträr Musik/Indigo
www.wenzel-im-netz.de

 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!