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A[de]vantgardistische Rhizome

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Von Hildibrandis über Stub’nmusi ins digitale Zeitalter
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Die poststrukturalistische Idee vom „Rhizom“ ist ein prominentes Theorem der Neuen Musik: Es bezeichnet in Anschluss an Gilles Deleuze die unterirdische Durchdringung und die scheinbar zufälligen Verknüpfungen kultureller Genese. Als Beitrag zu diesem Diskurs konnte man das 13. Münchner aDevantgarde-Festival verstehen, bei dem die beiden künstlerischen Leiter „Humus“ zum Motto erhoben.

„Klingt wie Essen“, meint Alexander Strauch, „meint aber die organische Bodensubstanz, auf der alles Lebendige gedeiht und seine Wurzeln schlägt. Wir wollen wissen: Was recycelt sich auf diesem Humus?“ Sein Kollege Johannes X. Schachtner ergänzt: „Neues ist nur neu, wenn es sich auf Altes bezieht oder mit diesem bricht.“ Die beiden Komponisten steuern die aDevantgarde „bis in die letzten Verwaltungs- und Bürokratiestrukturen“, so wie es das Konzept als „composers festival“ will. Zwölf Uraufführungen standen auf dem viertägigen und vielschichtigen Programm, dessen Veranstaltungen sich wie ein rhizomatisches Netz über München ausbreiteten und bei denen gleichermaßen horizontale wie zeitliche Bodenproben genommen wurden.

Die Triebe der (Neuen) Musik, denen der Pianist Jacopo Salvatori nachspürte, reichen topographisch bis nach Afrika: Wenn auch ein Großteil der Stücke wenig eindrücklich zwischen Jazz, Minimal und Weltmusik changierte, war die Rahmung des Konzerts faszinierend, warf aber auch (post-)koloniale Fragestellungen auf: Im 18. Jahrhunderte schuf der auf einem Sklavenschiff geborene Ignatius Sancho eine lupenreine Suite im spätbarocken Stil seiner englischen Neu-Heimat, zu der er keine Wahl hatte. Ähnliches gilt rund 250 Jahre nur vermeintlich für Charles Uzor: „Man sagt mir, dass meine Musik extrem europäisch klingt“, meint der in Nigeria geborene Schweizer, „aber sie hat schon Tiefenschichten wie die Erinnerungen an Maskentänze oder bestimmte Rhythmen.“ Mit Spleen/Mimicri griff Uzor allerdings auf eine ganz andere Wurzel, nämlich die rhythmisch hämmernden Kräne am Peer von San Francisco, zurück: „Der Tanz der Maschinen hatte eine solche Grazie und Eleganz, und der Klang war mit seinen Loops und Rhythmen so reich, das hat mich fasziniert.“ Uzor bannte das imaginäre Theater auf Band und ließ die Maschinen im Duett mit dem Flügel musizieren.

Neben weiteren vertikal-topographischen Bodenproben – so wurde dem 90-jährigen Wurzelwerk György Kurtágs nachgegangen – unternahm man auch eine zeitliche Tiefenbohrung, indem drei Kompositionsaufträge in Anlehnung an das mittelalterliche Hildebrandslied vergeben wurden: Blieb Gerald Reschs „Szene. Zeitlos, ortlos“ blass, war Arash Safaians „Dramolett“ eine welt- und zeitumspannende Netzwerkkomposition im Geist des „immer und  überall entstehenden Dramas“. Die Zeitreise begann auf dem „Spaceship“ Erde mit einer farbenreich verschachtelten Toccata und landete über babylonische und biblische Referenzen bei der Reibung der Elemente im Drama der Natur. Konkreter nahm Alexander Strauchs opernhaftes „Bardagi Ásmundar og Hildibrands“ Bezug auf den „juvenil-machohaften“ Heldenepos, in dem er sich auch von der Sagenwelt im zeitgenössischen „Quality-TV“ inspirieren ließ: „Während der Reinschrift der Partitur zog ich mir die komplette Serie ‚Game of Thrones‘ rein.“

Nun ist aDevantgarde ein Münchner Festival, und bayerische Kultur besitzt bekanntlich ein dominantes Gen. Ließ sich der Münchner Komponist Markus Schmitt bei Alpluft für Klarinette von Jodeltechniken inspirieren, ist das Ensemble „Schwerpunkt“ im Humus der bayerischen Blechblastradition zu verorten. Das Ensemble in residence stellte virtuos klar: Nicht nur Volksmusik und Jazz können Brass Band – auch die Neue Musik. Alexander Strauch und Johannes X. Schachtner betonen, dass München nicht nur eine Stadt der klassischen Hochkultur ist. Momentan komme es zu Neugründungen von Ensembles – wie etwa JU[MB]LE – für das sich die beiden aDevantgarde-Macher verantwortlich zeigen: Das Jugendensemble für Neue Musik gab im Rahmen des Festivals seine Premiere und realisierte dabei gleich eine Uraufführung der frisch gebackenen Siemenspreisträgerin Birke Bertelsmeier. Stub’nmusi wurde von der Komponistin als „bayerische Übersetzung von Kammermusik“ interpretiert. In zarten Klangbewegungen werfen sich die Blasinstrumente durchsichtige Töne zu, werden der Zither schnarrend-knarzende Töne entlockt, während der Schlagzeuger mit Glas markerschütternde Quietschlaute produziert. Richard Ayres ironisches NONcerto for trumpet, für das den jungen Musikern mit Matthew Sadler ein Profi an die Seite gestellt wurde, begeisterte nicht nur das Publikum: „Richtig cool“ meinte Anna Caracciolo, die zweite Geigerin von JU[MB]LE.

Wirklich cool war die Fortführung des Konzertabends im angesagten Club Milla im Gärtnerplatzviertel. Getrieben von überbordendem Experimentiergeist, kreierten die Komponistin und Performerin Verena Marisa und ihr Ensemble mit Geige, Theremin, Stimme und Turntables eine ebenso anspruchsvolle wie mitreißende Zukunftsmusik jenseits aller Sparten.

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