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Erklärte die GEMA-Bürokratie zum Kunstwerk: Johannes Kreidler bei der Anlieferung seiner 70.200 Fremdzitatnachweise vor der Generaldirektion der GEMA in Berlin. Foto: Martin Hufner
Erklärte die GEMA-Bürokratie zum Kunstwerk: Johannes Kreidler bei der Anlieferung seiner 70.200 Fremdzitatnachweise vor der Generaldirektion der GEMA in Berlin. Foto: Martin Hufner
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Antrags-Anschlag auf die GEMA, per Kleinlaster

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Der Komponist Johannes Kreidler meldet eine Komposition mit 70.200 Fremdzitaten an
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Dass das Urheberrecht und seine Inanspruchnahme bisweilen absurde Blüten treibt, ist kein neues Phänomen. Normalerweise erfolgte bislang die Kritik an der gängigen Praxis von Urheber- und Verwertungsrechten von Seiten der Popmusik, die in vielen ihrer Werke mit Zitaten oder Samplingmethoden arbeitet. Dass nun ein Vertreter der Neuen-Musik-Szene auf diese Problematik hinweist, ist relativ neu und in dieser Form einzigartig. Johannes Kreidler komponierte mit seinem Stück „product placements“ eine Collage unter Verwendung von 70.200 Teilen fremden Materials – und das auf der Länge von 33 Sekunden.

Um dieses Stück bei der GEMA anzumelden, verwendet Kreidler 70.200 Formulare, auf denen dieses Fremdmaterial einzeln und detailliert vermerkt ist. Nötig wird dies, weil der Meldebogen der GEMA diese Daten abfragt. Im Detail heißt es in den Bearbeitungshinweisen zum Meldebogen: „Originaltitel von verwendeten Volksweisen oder anderer im Original urheberrechtlich freier Werke sind hier zu nennen. Wurden urheberrechtlich geschützte Werke verwendet, ist generell die Genehmigung der Rechteinhaber der geschützten Werke in Kopie beizufügen. Die immer noch weit verbreitete Ansicht, dass acht oder auch vier Takte ohne Zustimmung benutzt werden dürfen, ist falsch.“ In einer Pressemeldung erklärte die GEMA freilich, dass Kreidler einem Formfehler aufgesessen sei. Denn das Urheberrechtsgesetz sehe eine solche Verwendung nur vor, wenn das Material erkennbar sei. Damit wähnt sich die GEMA in der Position des falschen Ansprechpartners – was sie freilich nicht daran hindert, in ihrem Meldeformular diesen urheberrechtlichen Hinweis in ihrem Meldeformular nicht zu erwähnen. Wozu auch, ist ja schließlich auch nicht ihre Baustelle. Kreidler wollte mit seiner Aktion dagegen darauf hinweisen, dass die Methode des Remixens, also der musikalischen Neuordnung des Materials in verbreiteten Formen des Musizierens, zu unsinnigen Folgen führen, die der Ausübung musikalischer Kreativität im Wege steht.

Behindert der Urheberrecht Kreativität?

In seinem Essay zum Stück „product placements“ führt er aus: „Was ist eigen, was ist fremd, was ist empirisch, was negierend, was ist semantisch, was Phänomen, ab welcher Länge hat etwas Zitatcharakter? Wie mit den Medien umgehen, da auf einem Medium zu sein ja bedeutet, selbst Medium zu sein? Das Werk ist Netzwerk. Was also ist heute Identität? Dem hinkt der GEMA-Formalismus so weit hinterher wie das Urheberrecht allgemein. Der globale rechtsfreie Raum des Internet-Tauschs, den die Neue Musik als fortschrittliche Ästhetik antizipiert hat, macht spätestens jetzt zweierlei deutlich: Erstens muss Kreativität medial ermöglicht werden, sprich: grundsätzlich legal sein. Kopieren ist eine Kulturtechnik und ein derartiger technologischer Fortschritt setzt sich erfahrungsgemäß immer durch.“ (http://kreidler-net.de/productplacements-essay.html)

Dieser Rückzug aus der Verantwortung seitens der GEMA mag zwar rechtlich korrekt sein, er wirft aber auch die Frage auf, wann denn etwas erkennbar ist und wann nicht. Es wäre also eigentlich die logische Konsequenz, solche Fragen mittels eines musikpsychologischen Tests zu evaluieren. Denn im Zweifel wird es dem Urheber wenig nützen, dass er allein meint, bestimmtes Material sei nicht erkennbar als solches. Durchaus denkbar der Fall, in dem vieltaktig Fremdmaterial verwendet wird, was trotzdem nicht erkennbar ist, weil die Musik zu unspezifisch ist. Auch in diesem Fall müssen sich die Neuurheber und die Alturheber auf rechtlich sicherem Boden bewegen. Kreidler fragt daher: Werden demnächst nur noch Gerichte entscheiden, was Kunst ist und was Diebstahl? Das kann es ja wohl nicht sein.

Aber Kreidler geht es nicht allein um diese teils formale, teils ästhetische Frage. Kreidler fordert auch eine andere Form der Honorierung musikalischer Kreativität, die sehr viel tiefgreifender ist: „Zweitens muss Kreativität anders honoriert werden, verstärkt durch Aufträge, die die Tantiemen vielleicht vollständig ersetzen könnten. Es darf nicht sein, dass für kleinste Klänge Lizenzen gekauft werden müss(t)en, die monatelange Arbeitsleistung eines jungen Komponisten aber in keinem Verhältnis zur GEMA-Ausschüttung steht − dafür hat dieser selbst wiederum der GEMA noch Gebühren zu entrichten, wenn er seine eigenen Werke im Netz zum (kostenlosen!) Download anbietet. Demgegenüber gilt es neue Finanzierungsmodelle wie konsequente Abgaben auf Leermedien oder eine Kulturflatrate zu entwickeln − vorausgesetzt, der Begriff ‚Kultur‘ wird dabei ernst genommen und die industrielle Klangproduktion greift nicht den Löwenteil ab.“

Kulturflatrate ja oder nein

Doch die Idee einer Kulturflatrate wird von vielen Seiten ablehnend beurteilt, vor allem aus zwei Gründen: Seitens der Verwertungsgesellschaften befürchtet man, dass man auf diese Weise keine Verteilungsgerechtigkeit erreichen könne; in einem am gleichen Tag gesendeten Interview mit 3sat-Kulturzeit lehnt sie aber auch der Herausgeber der nmz, Theo Geißler, ab, „denn eine Art Zwangsabgabe der Kultur aufzubürden, wäre ausgesprochen kontraproduktiv und im Grunde genommen kontrakulturell.“ Beide Kritikpunkte gehen dabei davon aus, dass das System der Urheberhonorierung an sich gerecht wäre oder zumindest auf den rechten Pfad gesetzt werden könne und müsse. Doch diese Gerechtigkeit herzustellen, scheint mehr und mehr illusorisch. Schon der Deal der GEMA mit dem Videoportal YouTube ist weder im Groben noch im Detail transparent; im Gegenteil, er ist offenbar streng geheim. Und das wird wohl Gründe haben.

Diese Fragen und weitere wurden thematisiert in der Pressekonferenz der GEMA, die sich an die Übergabe der 70.200 Formulare für „product placements“ angeschlossen hatte. Freilich prallten solche Fragen an den Vertretern der GEMA zunächst einmal ab, auch wenn Jürgen Brandhorst, Leiter des GEMA-Musikdienstes, Kreidlers Aktion am Ende der Veranstaltung mit den Worten würdigte: „Das ist eine ganz tolle Sache, eine künstlerische Aktion, die uns allen Denkanstöße liefert. Und das ist eigentlich das Ideale, was uns Kunst bieten kann. Und wir haben eine ganze Menge Hausaufgaben daraus mit nach Hause genommen.“ Damit hat sich Brandhorst wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt. Generell fühlt sich die GEMA in weiteren Aussagen nicht im Zugzwang und weist die Probleme an die gesetzgebende Politik weiter. Bettina Müller, GEMA-Unternehmenssprecherin, erklärte, dass die GEMA zwar die treuhänderische Verwaltung der Urheberrechte ihrer Mitglieder übernimmt, nicht jedoch das Urheberrecht selbst gestaltet: „Wenn Mitglieder ein Problem mit dem Urheberrecht haben, dann müssen sie das kundtun, wie es eben Herr Kreidler getan hat. Und dann muss man schauen, ob da wirklich etwas geändert werden kann, aber das ist Aufgabe des Gesetzgebers.“

Hier ist die GEMA wieder einfach die simple Inkasso-Gesellschaft, die formalistisch die Belange ihres Betriebs aufrecht erhält – ohne Rücksichtnahme auf Entwicklungen in der kompositorischen Technik und in den globalen Kreativitätsnetzen.

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