Johann Sebastian Bach: Sechs Suiten für Violoncello solo, BWV 1007–1012, in der Reihenfolge des Erscheinens:
Johann Sebastian Bach: Sechs Suiten für Violoncello solo, BWV 1007–1012, in der Reihenfolge des Erscheinens:1.) Nach den Quellen hrsg., kommentiert und mit Hinweisen zur Interpretation versehen von Ulrich Leisinger, Wiener Urtext Edition, Schott / Universal Edition, Wien 2000, ISMN M-50057-175-9.2.) Quellenkritische Ausgabe für die Praxis, hrsg. von Bettina Schwemmer und Douglas Woodfull-Harris, 1. Notenband, 2. Textband, 3. Faksimiles der Quellen A–E, Bärenreiter Kassel, Basel, London, New York, Prag 2000, BA 5215 (deutsche Ausgabe), BA 5216 (English Edition).
3.) Hrsg. von Kirsten Beißwenger mit einem Geleitwort von Jaap ter Linden, Faksimile-Beilage: Abschrift von der Hand Anna Magdalena Bachs, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden, Leipzig, Berlin 2000, Edition Breitkopf 8714.
4.) Hrsg. von Egon Voss, Fingersatz und Strichbezeichnung von Reiner Ginzel, G. Henle Verlag, München 2000, ISMN M-2018-0666-2.
5.) Hrsg. von Hans-Christian Schweiker nach den vorhandenen Quellen unter besonderer Berücksichtigung der Abschrift Anna Magdalena Bachs, Ries & Erler, Berlin 2001, ISMN M-013-02031-7.
Nach meiner Übersicht erschienen im Verlauf des 19. Jahrhunderts 13 Ausgaben der Violoncellosuiten von Johann Sebastian Bach, im 20. Jahrhundert folgten 60 Ausgaben. (Neuauflagen einer Ausgabe wurden nicht mitgezählt, sonst ergäben sich insgesamt 73 Ausgaben.) Diese wurden im Bachjahr 2000 und im folgenden Jahr um fünf quellenkritische Ausgaben vermehrt, die hier zu besprechen sind. Wir Cellisten waren schon erstaunt und gespannt, dass zu diesem Jubiläum so viele Neuversuche einer „Urtext-Ausgabe“ erscheinen sollten. Abgesehen von dem begründeten Verkaufsinteresse der Verlage stellt sich nun für den interessierten Käufer die Frage, für welche der fünf neuen oder der schon älteren Ausgaben er sich entscheiden sollte. Unter den vielen älteren Ausgaben gibt es zwei prinzipiell verschiedene Kriterien für die Herausgabe. Zum einen haben wir die vielen durch die persönliche Spielweise und Interpretation begründeten Ausgaben, die meist durch eine mehr oder weniger strenge Lehrer-Schüler-Bindung begründet sind, jedoch auch für Kollegen und deren Schüler Vorschlagscharakter haben. Zum anderen bieten sich die quellenkritischen Ausgaben an, welche, mehr oder weniger gelungen, die Überlieferung der Primärquellen vorstellen und den Interpreten zur Auseinandersetzung damit anregen möchten, oft auch mit spieltechnischen Vorschlägen vermischt.
Vor den hier zu besprechenden Ausgaben gab es nach dem Erstdruck von 1824 und der sehr überzeugenden ersten Interpreten-Ausgabe von Justus Johann Friedrich Dotzauer 1825 folgende quellenkritische Ausgaben: Alfred Dörfel (Bach-Gesellschaft) 1879, Robert Hausmann 1898, Paul Grümmer 1944, August Wenzinger 1950, Dimitry Markevitch 1964 (Neuauflagen 1985, 1995), Paul Rubhardt 1965 und schließlich Hans Eppstein (Neue Bach-Ausgabe) 1988 bis 1991. Da Bachs Autograf verschollen ist, haben wir heute vier Abschriften zur Verfügung, aufgrund derer wir uns bemühen können, einen einigermaßen stimmigen Notentext herzustellen: Johann Peter Kellner 1726, Anna Magdalena Bach um 1730 und zwei anonyme Abschriften nach J. S. Bachs Tod aus Berlin (2 Schreiber) und Hamburg im Umkreis von C. P. E. Bach, sowie die autografe Lautenversion um 1730 in g-Moll nach der 5. Violoncellosuite. Die Handschriften sind so verschieden, dass daraus kein einheitlicher Notentext herzustellen ist. Die beiden ersten Handschriften von Johann Peter Kellner und von Bachs zweiter Frau halte ich nach wie vor für die beiden Hauptquellen, die zwar beide ungenau sind und schon so verschieden, dass die Vermutung nach zwei verschiedenen Vorlagen aufkam.
Sie ergänzen und berichtigen sich jedoch auch in vielerlei Hinsicht gegenseitig und scheinen dem mutmaßlichen Original näher zu sein als die beiden späteren Quellen. Die vielfach geäußerte Behauptung, Kellners Abschrift sei als eine Spielvorlage für Klavier gedacht, finde ich nicht nachvollziehbar, ebenso wenig, dass seine Artikulationen nicht streicherisch sondern pianistisch beeinflusst seien. Das Ausmaß der Unzuverlässigkeit der beiden Hauptquellen können wir ganz gut durch den Vergleich mit deren Abschriften von den Violinsolosonaten Bachs, von denen das Autograf vorliegt, erkennen. Die beiden anderen Abschriften aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind durchgehend wesentlich genauer mit Punkten und Bogen artikuliert und bezeichnet, sie haben jedoch eine solche Häufung von Vorhalten, dass ich nicht glauben kann, dass hier eine spätere Version Bachs als Vorlage zu vermuten ist, wie es Ulrich Leisinger in seiner Ausgabe annimmt. Jedenfalls ist in der allgemeinen Entwicklung von Bachs datierbaren Werken eine solche Inflation an Vorhalten nicht erkennbar. Damit ist auch schon die Unmöglichkeit einer „richtigen“ oder „gültigen“ Ausgabe umrissen. Jeder Musiker und jeder Herausgeber kann nur eine auf seinem Kenntnisstand und seinem Geschmack fußende Version erstellen, die möglichst dem entspricht, was hinter den Noten steht.
Neue Bärenreiter-Ausgabe
Die Herausgeber der neuen Bärenreiter-Ausgabe, Bettina Schwemmer und Douglas Woodfull-Harris, haben diese Fragen offen gelassen und den Interpreten anheim gestellt. Dafür bieten sie Faksimiles der vier Abschriften und des Erstdruckes an, sowie einen blanken Notentext ohne Artikulationen mit der Darstellung der verschiedenen Lesarten, was unterschiedliche Töne und Rhythmen betrifft. Artikulationsfreie Ausgaben gab es übrigens bereits von Ernst Kurth 1921, von Daniel Vandersall 1998 (?) in sechs Einzelausgaben und bei Amati Music (www.amati.net). Für die Spieler dieser neuen Ausgabe ist dabei nicht unbedingt vorteilhaft, um nicht zu sagen ärgerlich, dass diese Lesarten mit kleinen Zwischenräumen nacheinander in den laufenden Notentext eingedruckt sind. Diese Notation erweist sich schnell als mentale Spielbremse im Vortrag der Suiten nach Noten, auch wegen der unmöglichen Umblättersituation. Diese Ausgabe vermittelt eher den Eindruck einer Studierausgabe, die in dieser Hinsicht allerdings eine Menge zu bieten hat. Zweifel an der direkten Nutzbarkeit kamen mir beim stichprobenartigen Vergleich der Quellen mit der Sarabande der 3. Suite. Den Erstdruck als Quelle in diese Ausgabe direkt mit einzubeziehen betrachte ich wegen seines Bearbeitungscharakters nicht nur als überflüssig sondern auch hinderlich, zumal seine Dynamik, wie merkwürdigerweise auch die der Quellen B–D, und Fingersätze hier keine Berücksichtigung finden.
Die zusätzlichen Vorhalte in den beiden späteren Abschriften sind in dieser Ausgabe „der modernen Notationspraxis entsprechend vereinheitlicht und mit Bogen versehen.“ Warum? Es ist für einen praktischen und „wissenden“ Musiker durchaus ein Unterschied, ob ein Vorhalt beispielsweise als Achtel oder Sechzehntel geschrieben ist; zudem sind sich die Quellen hier in der Regel einig. Zu den Vorzeichen lesen wir im Vorwort: „Von Seiten der Herausgeber ergänzte Vorzeichen sind durch Kleinstich angezeigt. […] Warnvorzeichen wurden der heutigen Notationspraxis entsprechend gesetzt und nicht eigens markiert.“ Wie unterscheidet ein He-rausgeber „ergänzte Vorzeichen“ von „Warnvorzeichen“? Wäre Kleinstich nicht in beiden Fällen angezeigt gewesen? In der Sarabande finden wir sechs in den Handschriften nicht vorhandene Vorzeichen. Dafür fehlen vier dort vorhandene Kreuze, weil sie als wiederholte Vorzeichen nach moderner Notationspraxis automatisch weggelassen werden. Warum wurde dann aber das b im Takt 7 wiederholt, wenn auch nicht in der anderen Lesart? Als ärgerlich empfinde ich auch die zusätzlichen Pausen der Herausgeber bei Schlusstakten, die „mit dem zugehörigen Auftakt ausgeglichen“ wurden. Solche Pausen sind zwar philologisch richtig, sie suggerieren jedoch einen anderen Umgang mit der Länge der Schlussnote. Wenn man durch solche Einsichten als Spieler den Herausgebern gegenüber miss-trauisch wird, sieht man sich gezwungen, direkt zu den Quellen zu gehen, das heißt man muss die ganze Arbeit noch einmal selbst nachvollziehen.
Wiener Urtext Edition
Eine „wissenschaftliche Neubewertung der Quellen“ versucht Ulrich Leisinger mit seiner Ausgabe bei der Wiener Urtext Edition, betreut von Jochen Reutter. Leisinger, Mitarbeiter des Bach-Archivs Leipzig, kommt das besondere Verdienst zu, für die späte Abschrift, Quelle D, eine genauere Zuordnung herausgefunden zu haben: „Hamburger Abschrift […] Die Handschrift stammt aus dem Besitz des Wiener Musikalienhändlers Johann Traeg (1747–1805), der Kopien des Werkes seit spätestens 1804 zum Verkauf anbot. Die Quelle ist keine Verkaufsabschrift, sondern diente […] als Stammkopie. Der Schreiber ist auch im Jahre 1795 in einem im Auftrag der Erben von C. P. E. Bach entstandenen Stimmensatz zum Konzert Wq 9 […] belegt. Möglicherweise stammte die Abschrift aus dem Nachlass Gottfried van Swietens, der zahlreiche Kopien von Werken der Bach-Familie nach 1790 bei der Witwe Carl Philipp Emanuel Bachs anfertigen ließ.“ Leisinger vermutet, dass die späteren Handschriften auf eine andere nachgewiesenermaßen im Besitz von C. P. E. Bach befindlichen verschollenen Vorlage (anderes Autograf?) zurückgehen und misst ihnen als vermutlich spätere Bearbeitung Bachs höhere Quellenkompetenz zu als den beiden frühen Abschriften.
Das ist eine zumindest interessante und auch nicht ganz zu widerlegende These, die ich jedoch für unwahrscheinlich halte. Diese späten Quellen haben den großen Vorteil, dass sie viel einheitlicher sind und im Sinne des wachsenden Anspruchs an größere Genauigkeit der Notation in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weniger Fragen aufwerfen. Trotzdem wurden die Quellen A und B behutsam mit in den Notentext eingearbeitet. Das Druckbild und die Seitenaufteilung dieser Ausgabe sind sehr zu loben. Wesentliche Varianten sind durch Fußnoten mitgeteilt und behindern so nicht den Lesefluss. Der herausnehmbare Kommentarteil bietet neben der Darstellung der Quellen und deren Konsequenzen für die Interpretation einen vorbildlichen kritischen Bericht. Insgesamt eine interessante Alternative zu den bisherigen Ausgaben, die es in jedem Fall wert ist, zumindest vergleichend wahrgenommen zu werden. Die drei noch verbleibenden Ausgaben orientieren sich ausschließlich oder hauptsächlich an der Abschrift A. M. Bachs.
Ries & Erler
Eine extreme Version ist die zuletzt erschienene Ausgabe von Hans-Christian Schweiker bei Ries & Erler, ohne kritischen Apparat und ohne hinreichende Rücksicht auf Wendemöglichkeiten. In dem Vorwort erklärt er seine Absicht: „Die hier vorliegende Ausgabe orientiert sich sehr viel strenger als bisher erschienene Ausgaben an der Abschrift Anna Magdalena Bachs. Der Herausgeber hat nicht versucht, wie sonst üblich, scheinbare Unstimmigkeiten, Inkonsequenzen und ungewöhnliche Artikulationsmuster zu glätten, sondern sie musikalisch sinnvoll im Dienst der plastischen Struktur dieser Werke wiederzugeben.“ Obwohl diese Auffassung wieder zunehmend auch prominente Anhänger (zum Beispiel Anner Bylsma 1998) findet, so ist sie doch in quellenkritischer Hinsicht und in Anbetracht der Artikulationsgewohnheiten Bachs rundweg abzulehnen. Natürlich ergibt auch die perfekte Übertragung der Ungenauigkeiten unter Umständen ein interessantes und für sich gesehen gelungenes künstlerisches Ergebnis, jedoch verdient eine solche keine öffentliche Verbreitung.
Auf seine zum Teil abenteuerlichen Strichvorschläge hätte Schweiker besser ganz verzichtet. Geradezu ungehörig empfinde ich den Hinweis am Ende der Ausgabe: Aufführungen, Sendungen oder Tonträgerproduktionen dieser Ausgabe sind unter Nennung des Verlages und Herausgebers meldepflichtig (VG-Musikedition). Diese Ausgabe kann bei einer Kaufentscheidung beruhigt übergangen werden, zumal es eine solche schon vor einem halben Jahrhundert gegeben hat, die von Paul Grümmer (und E. H. Müller von Asow) 1944. Damals glaubte man in dieser in politischer Hinsicht düsteren Zeit mit einem heiligen Ernst an die absolute Werktreue unter Hintansetzung der eigenen Persönlichkeit. Diese in ästhetischer Hinsicht schönste aller bisherigen Ausgaben, in einer Auflage von 1.000 nummerierten Exemplaren, bot das Faksimile A. M. Bachs in Originalgröße, von Grümmer als Autograf Bachs betrachtet, und einen Notentext mit hinzugefügten Strich- und Fingersatzhinweisen, bei welchem die Artikulationsbogen des Originales unter dem Millimeterpapier ermittelt wurden.
G. Henle Verlag
Egon Voss versucht in seiner Ausgabe bei Henle der intendierten Vorlage für die Abschrift A.M. Bachs auf die Spur zu kommen, mit Ergänzungen aus den anderen Quellen, welche der Grundidee seiner Vorlage nicht widersprechen. In einem klugen Vorwort beschreibt er sein Verfahren. Neben seinen Bemerkungen am Ende der Ausgabe verweist er auf die Erkenntnisse der Neuen Bach-Ausgabe. Hervorzuheben ist auch hier die Übersicht aller Sätze, ohne umblättern zu müssen. Den Schlusstönen verschiedener Teile, die mit zusätzlichen eingeklammerten Pausen korrigiert wurden, fehlt der dadurch überflüssige, ursprüngliche Punkt hinter der Note, was, wie schon gesagt wurde, philologisch korrekt ist, aber doch zu Fehldeutungen für den Spieler führen kann. Es erstaunt, warum der Ausgabe von Voss eine zweite beigelegt wurde, die von Reiner Ginzel mit Fingersätzen und Strichen eingerichtet wurde. Ginzel deutet den Voss-Text durch zusätzliche Bogen und Strichanweisungen so um, dass man nicht mehr von der gleichen Ausgabe sprechen kann. Seine Einrichtung ist im Übrigen so weit von allen Erkenntnissen der historischen Aufführungspraxis entfernt, dass man sich wirklich fragt, was sie in dieser Ausgabe zu suchen hat, so berechtigt sie für sich gesehen sein mag.
Edition Breitkopf
Kirsten Beißwenger zog für ihre Edition bei Breitkopf & Härtel einzig die Abschrift A. M. Bachs heran, welche zur Überprüfung der Herausgeberentscheidungen als Faksimileheft beigelegt ist. Durch einen intensiven Vergleich mit A. M. Bachs Abschrift der Violinsoli versucht Beißwenger Rückschlüsse auf die richtige Platzierung der Bogen für die Violoncellosuiten zu ziehen: „Sowohl die Artikulation als auch Triller, Dynamikangaben und Vorschläge richten sich ausschließlich nach Quelle A; vereinzelt notwendig erscheinende Ergänzungen werden in eckige Klammern hinzugefügt, insbesondere von Trillern, die nach allgemeiner zeitgenössischer Spielpraxis sinnvoll erscheinen. Die entsprechenden Angaben der Quellen B–D bleiben unberücksichtigt und werden in den ,Einzelanmerkungen’ auch nicht aufgelistet.“ Nicht in jedem Fall hält sich die Herausgeberin an die selbst gewählten Vorgaben. In ihrem Nachwort referiert Beißwenger die verschiedenen Thesen aus der Fachliteratur, die manchmal zu vorschnellen Schlüssen genutzt werden. Ich kann der Beweisführung nicht folgen, wieso die Cellosuiten vor den Violinsolowerken komponiert sein sollen. Ich halte es eher für wahrscheinlich, dass sie in Köthen nicht unbedingt beendet wurden. Einem Übersetzungsfehler aus Johann Gottfried Walthers Lexikon von 1732 folgend anzunehmen, dass eine Viola de Baßo damals üblicherweise eine Viola da Gamba bezeichnete, ist ebenso fahrlässig wie die Behauptung, bei einem fünfsaitigen Violoncello sei als höchste Saite ein d1 üblich gewesen. Wer kann ein Violoncello piccolo in Beinhaltung aus der Bachzeit belegen? Warum soll zur Zeit der Komposition der 6. Suite der Daumenaufsatz noch gar nicht gebräuchlich gewesen sein? Ist das eine gesicherte Erkenntnis? Die Ausgabe ist jedoch insgesamt gewissenhaft und nachvollziehbar, allerdings nicht blätterfreundlich, und es sind auch die obigen Anmerkungen zu den Schlusstakt-Pausen zu wiederholen. Ein prüfender Vergleich mit dem beigelegten Faksimile sei dem Benutzer empfohlen.
Was nun? Haben wir für die nächsten Jahre genug Editionen der Violoncellosuiten Bachs? Ist noch eine neue Herangehensweise zu suchen? Ich wünsche einen intensiveren Austausch von Philologen mit „wissenden“ Musikern, die viele Werke von Bach aus eigener Spielerfahrung und aufführungspraktischer Beschäftigung kennen. Warum ist keiner der Ausgaben eine größere Konferenz dieser Art vorausgegangen? Die Abschrift von Kellner kommt bei allen hier besprochenen Ausgaben viel zu schlecht weg, sie hat einem Musiker viele interessante Details und Ergänzungen zu A. M. Bachs Version zu bieten. Die späteren Abschriften bleiben in ihrer Andersartigkeit eine Herausforderung. A. M. Bachs Abschrift allein in den Vordergrund zu stellen, ist verlockend, ich empfinde sie als nicht ausreichend. Jeder Spieler sollte sich der größeren Mühe einer synoptischen Gesamtschau unterziehen. Immerhin sind heutzutage alle Quellen als Faksimile erreichbar. Wenn wir also noch eine neue Ausgabe brauchen, dann doch eine, die alle Handschriften gleichzeitig sichtbar macht. Das sollte mit den neuen Medien kein so schwieriges Problem mehr darstellen, wäre aber auch in herkömmlicher Drucktechnik als Faksimile-Collage oder als Übertragung in einer „Studienpartitur“ möglich. Dazu sollte ein durchlaufender blanker Notentext ohne Blätterprobleme erscheinen, in dem die Spielentscheidungen des Musikers eingetragen und auch wieder verändert werden können. So könnte jeder interessierte Violoncellist sein eigener Editor werden.