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Bleiplatte bis Song-Plugging

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Musikverlage an der Schwelle zum 21. Jahrhundert
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„Das Wort ,Musikverlag‘ bezeichnet den gewerbsmäßig mit der Vervielfältigung und Verbreitung von Kompositionen und musikalischem Schrifttum beschäftigten selbständigen Teil des Buchhandels.“ Was uns da die Enzyklopädie „Musik in Geschichte und
Gegenwart“ mitteilt, ist sicher nicht falsch. Mittlerweile aber sind Geschäftsfelder und Organisationsstrukturen viel zu weit gefächert, um mit einer einheitlichen Definition das ganze Spektrum der Musikverlage abzudecken. Alleine schon die Tatsache, dass unser Musikleben nach wie vor in E und U – ob zu Recht oder zu Unrecht, sei dahingestellt – aufgeteilt ist, zeigt, dass eine pauschale Begriffsbestimmung nahezu unmöglich ist. Was aber macht ein Musikverlag dann? Und wie rüstet er sich in den Zeiten der Krise für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts?

Die zirka 140 im Deutschen Musikverlegerverband organisierten E-Musikverlage (bei zirka 280 U-Verlagen) entsprechen noch am ehesten dem klassischen Bild eines Musikverlages, auch wenn einige über beachtliche U-Kataloge verfügen. Hier bildet das so genannte Papiergeschäft, nämlich der Notendruck und -vertrieb, einen Schwerpunkt des traditionsreichen Verlagsgeschäfts. Schon im 18. Jahrhundert (die Anfänge allerdings reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück) wurden etliche Musikverlage gegründet, von denen auch heute viele noch zu den Platzhirschen in der Branche zählen. Namhafte Verlage wie etwa C.F. Peters, B. Schott´s Söhne (heute: „Schott Musik International“) oder Breitkopf & Härtel gehören dazu. Den immer kleiner werdenden Markt teilen sich in Deutschland die acht großen Verlage, nämlich die Familienunternehmen Bärenreiter, Breitkopf, Peters, Schott, Sikorski sowie Henle und als Ableger ausländischer Verlage Boosey & Hawkes und die BMG-Tochter Ricordi mit etwa 130 kleineren Häusern. Diese großen, auch international führenden Verlage bedienen in der Regel ein breites Programmspektrum von der Blockflötenschule bis zur großen zeitgenössischen Oper – dazu kommt oft noch ein Musikbuchprogramm –, die kleineren sind in der Mehrheit spezialisiert.

Zurück zum „Papiergeschäft“, dessen Volumen bei etwas über zehn Prozent des Gesamtumsatzes bei E und U (um die 700 Millionen Euro pro Jahr) liegt. Das tägliche Brot der Musikverlage besteht hier aus dem fast unmöglichen Spagat zwischen den Produktionskosten, die im Notenbereich wegen der technisch sehr aufwendigen Herstellung (der professionelle Notensatz per Computer ist entgegen landläufiger Meinung übrigens keineswegs billiger als Großvaters Notenstich) relativ hoch liegen und der branchenüblich niedrigen Auflage. So liegen die Produktionskosten für ein 30-seitiges Klavierheft im oberen vierstelligen Bereich, die einer Partitur plus Material zu einer klassischen Sinfonie oder eines Klavierauszugs zu einer Mozart-Oper im mittleren bis oberen fünfstelligen Euro-Bereich. Und die Produktion einer zeitgenössischen Oper mit Partitur, Klavierauszug und Orchesterstimmen kommt auf mindestens 80.000 Euro, wobei diese Summe bei traditionellen Opern oder großen Chorwerken geringfügig niedriger liegen kann. Die Auflagen für Kaufausgaben indessen liegen sowohl im Bereich Musikbuch als auch im Bereich Noten häufig unter 3.000 Exemplaren, bei zeitgenössischen Werken oft sogar im einstelligen Bereich. Jede Neuerscheinung (insgesamt mehrere Tausend pro Jahr) ist also das Ergebnis einer kalkulatorischen Gratwanderung, denn die Preise müssen natürlich dem Markt angemessen sein und dürfen nicht gleich die Käufer verschrecken. Und auch der Handel braucht seine Spanne. Deswegen sind vom – gebundenen – Ladenpreis immer noch der übliche Rabattabschlag und die Mehrwertsteuer an den Händler abzuziehen sowie Autorenhonorare und etwaige Lizenzgebühren. Bevor es also endlich an die Kostendeckung geht, müssen erst einmal bis zu 75 Prozent vom Ladenpreis abgezogen werden. Dass da bei den geringen Auflagen am Ende nicht viel beim Verlag übrig bleibt, lässt sich schnell nachrechnen. Ein echtes wirtschaftliches Problem stellt auch die Kapitalbindung durch die branchentypisch riesigen Lagerbestände dar, denn anders als die Buchverlage verfügen die Musikverlage über große Backlists. Hier muss abgewogen werden zwischen der Lieferfähigkeit auch hinsichtlich uralter Lagerhüter und einer betriebswirtschaftlich notwendigen Reduktion des Lagerbestands.

Zum Papiergeschäft zählt auch noch ein weiterer, sehr bedeutsamer Bereich, nämlich das so genannte Leihmaterialgeschäft. Fast jeder Verlag, der Orchesterwerke im Katalog führt, verleiht – oder juristisch korrekter: vermietet zum beiderseitigen Wohl zahlreiche Aufführungsmateriale an Bühnen und Orchester. Verlag und Kunde sparen Lagerkapazitäten, die Orchester bekommen auf Wunsch bezeichnete Materiale. Entscheidend aber: Ein Verkauf wäre bei vielen, insbesondere sehr groß besetzten Werken für den Verlag schlicht nicht rentabel und fürs Orchester nicht finanzierbar. Berücksichtigt man nämlich die hohen Herstellungskosten, wird schnell klar, warum nur bei Mietmaterial (mit den üblichen Materialentgelten auch bei Rundfunksendungen oder CD-Einspielungen) wenigstens die Chance auf Amortisierung besteht. Ohne diese Chance würde so manches Opern- oder Orchesterprojekt von den Verlagen sicher nicht realisiert werden können, auch wenn oftmals noch Tantiemen für das Werk oder die Ausgabe (werden bei Bühnenwerken direkt an die Verlage gezahlt) hinzukommen. Davon wiederum geht der Löwenanteil natürlich an die Autoren.

Ein Wort zur zeitgenössischen Musik: Angesichts der immens hohen Herstellungskosten zeitgenössischer Werke bei gleichzeitig immer schwieriger zu erreichenden Aufführungen, Sendungen oder Tonträgereinspielungen stellt es für alle Verlage mehr denn je ein großes ökonomisches Risiko dar, Neue Musik zu verlegen, wenn es nicht gerade um die Superstars des Metiers geht. McKinsey jedenfalls würde entsprechende Aktivitäten, die im Grunde reines Mäzenatentum sind, sofort stoppen. Trotzdem gibt es so gut wie keinen Verlag, jedenfalls nicht unter den größeren Universalverlagen, der sich nicht der Förderung Neuer Musik und auch jüngerer, noch nicht arrivierter Komponisten und Komponistinnen verschrieben hat. Möglich ist das aber nur im Wege der Mischkalkulation, ohne die Brotartikel ließe sich so manches Projekt nicht verwirklichen. Übrigens betätigen sich die Verlage hier schon lange nicht mehr nur als Notendrucker. Sie arbeiten – ein weiterer Kostenfaktor – als Agenten, Manager und Sekretäre ihrer Autoren, promoten Aufführungen und Plattenaufnahmen und sind so im Grunde Gesamtdienstleister geworden. Sie tun das, weil sie wissen, dass das Engagement für Neue Musik gleichzeitig eine lebenswichtige Investition in die Zukunft der Branche ist. Obendrein allerdings ist hier auch noch eine gehörige Portion verlegerischer Leidenschaft dabei. Sollten aber jemals die großen Medienkonzerne wie Bertelsmann oder Holtzbrinck auch im Musikverlagsbereich an Einfluss gewinnen – wovon man dank der recht stabilen Eigentümerstrukturen in den meisten großen Familienunternehmen allerdings noch weit entfernt ist – , dürfte sich diese Situation entscheidend ändern.

Bei nicht wenigen Verlagen auch im E-Sektor ist das Papiergeschäft aber heute schon nur ein Bereich von mehreren, hier bildet die Rechteverwaltung eine starke Säule. Glücklich sind die Verlage, die die großen, noch bis 70 Jahre nach dem Tod des Autors geschützten Klassiker des 20. Jahrhunderts betreuen dürfen. Denn da sorgen Aufführungstantiemen und Tantiemen für CD-Einspielungen, Rundfunk- oder Fernsehsendungen, Verfilmungen, Werbespots (Zarathustra, Carmina Burana) und sogar Handyklingeltöne – jedenfalls noch – für schwarze Zahlen und tun als Finanzierungsquelle für andere, wirtschaftlich weniger interessante, dafür aber kulturpolitisch und künstlerisch bedeutsame Projekte segensreiche Wirkung. Wer aber solche Rechte nicht oder nicht in größerem Umfang hat, muss sich seinen Platz im Business erst mühsam erkämpfen und sich Nischen suchen, in denen sich noch nicht so viele Konkurrenten tummeln. Musterhaft vorgeführt haben das relativ junge Häuser wie etwa der Münchner G. Henle-Verlag mit seinen fast schon klassischen blauen Ausgaben für die Praxis und der Kasseler Bärenreiter-Verlag, der mit seinen wissenschaftlich-kritischen Gesamtausgaben (unter anderem von Bach, Mozart und Schubert) neue Wege im Musikverlag und für die Praxis erschloss.

An der Schwelle zum 21. Jahrhundert sind allerdings die goldenen Jahre für ausnahmslos alle E-Musikverlage vorbei. Die wirtschaftlichen und demographischen Rahmenbedingungen sind nicht dazu angetan, mit euphorischer Begeisterung in die Zukunft zu schauen. Zu heftig ist der Gegenwind in nahezu allen Bereichen, auch im lange Zeit recht stabilen Papiergeschäft geht die Tendenz nach unten. Einige wichtige Auslandsmärkte wie USA und China gelten als Wachstumsmärkte. Der hiesige Musikalienhandel mit seinen circa 1.500 Geschäften leidet unter erheblichen Absatz- und Nachwuchsproblemen,steht unter einem enormen Kostendruck und wird von einer heftigen Insolvenzwelle erfasst, während sich Aldi und Lidl als Könemann-Nachfolger mit Billigstausgaben oftmals dubioser Herkunft auf den Notenmarkt wagen. Über so manchem Orchester und Opernhaus schwebt das Damoklesschwert der Schließung oder Fusion, also werden die wegen der Tantiemenzahlungen teureren Aufführungen zeitgenössischer Musik zurückgefahren, bei den Noten wird aus Kostengründen oft auf billige Nachdrucke zurückgegriffen. Die gebeutelten großen Plattenfirmen suchen unterdessen ihr Heil bei Rieu, Bocelli und Crossover und feilschen, wenn sie denn noch echte Klassik produzieren, ansonsten mit den Verlagen und Verwertungsgesellschaften um jeden Cent. Auch die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten (die privaten spielen hier ohnehin keine Rolle) müssen massiv einsparen, in ARD und ZDF gibt es praktisch keine Klassik mehr und auch im Rundfunk gibt es starke Einschnitte vor allem bei der Neuen, aber auch der traditionellen Musik. Und der Blick auf die GEMA-Ausschüttungen verursacht als logische Folge all dieser Probleme kaum noch reine Freude. Zum guten Schluss sorgen dann das Internet mit seinen gigantischen Pirateriemöglichkeiten (praktisch ist schon jetzt jede Note illegal im Web zu bekommen) und das Fotokopiergerät als größter Feind der Verlage für den Rest. Und so wird zwangsläufig bei den Verlagen der Gürtel enger geschnallt, Risiken werden gemieden, die Kataloge verschmälert. Outsourcing und Personalabbau sind schon lange keine Fremdwörter mehr, der Einfluss der Controller wächst. Nicht zuletzt macht auch das große Fressen vor der doch eher konservativen E-Musikverlagsbranche nicht halt. Verlagsaufkäufe etwa durch Bertelsmann (unter anderem Ricordi und Durand) gestalteten sich jedoch in den wenigsten Fällen zum Wohl des Verlages und seiner Autoren, – ob es wenigstens zum Wohl des Käufers geschah, sei dahingestellt. Jedenfalls: Die Marktgesetze und -gebräuche von gestern gelten nicht mehr ohne weiteres. Das Großreinemachen beginnt.

Präsentation & Marketing

Was wird getan? Im Papiergeschäft bemüht man sich, zunächst einmal den kranken Handel nach Kräften und im partnerschaftlichen Dialog zu unterstützen. Der wiederum ist gefordert, sich gerade in Präsentation und Marketing verstärkt den neuen Entwicklungen anzupassen. Angebote wie das elektronische Bestellsystem auf der Basis der neuen Datenbank IDNV (ähnlich dem PhonoNet im Tonträgerhandel) werden noch längst nicht von allen Händlern – die Verlage allerdings müssen ebenfalls ihren Teil beitragen – genutzt, wertvolle Ressourcen verschenkt. Auch das Internet ist in der täglichen Arbeit der Händler, vor allem als Marketinginstrument, noch viel zu wenig präsent.

Dazu wird nach neuen Vertriebs- und Lieferwegen (letztere sind gegenüber dem Buchhandel oftmals zu lang) gesucht. Neue Märkte und Produktbereiche werden erschlossen, Sparpotentiale entdeckt, Synergien genutzt. Die Verlage wissen, dass sie all die Möglichkeiten der neuen Medien mit Mut und verlegerischer Kreativität nutzen müssen, bevor es andere statt ihrer tun. Entsprechende verlagsfremde Initiativen gab es schon. CD-Roms als Buch/Noten-Substitute oder Noten zum Downloaden sind bereits Bestandteile der Verlagsprogramme, haben sich aber auf legale Weise – aus vielerlei Gründen – noch kaum durchgesetzt. Auch in den verstärkten Aufbau eines wirklich kundenfreundlichen Online-Handels, in Kooperation mit dem traditionellen Handel, wird investiert. POD (Publishing on Demand) wird eine immer größere Rolle spielen.

Die E-Verlage rücken enger zusammen, denn die Herausforderungen der Zukunft können letztlich nur gemeinsam bewältigt werden. Ist man zwar von Produktabsprachen noch weit entfernt, setzt sich doch die Erkenntnis, dass nicht jeder alles (und allein) machen muss, mehr und mehr durch. So häufen sich die Kooperationen vor allem bei Großprojekten. Immer mehr Verlage, gerade die kleineren, gehen auch hinsichtlich der Auslieferung ihrer Produkte Kooperationen ein oder verlagern ihre Auslieferung auf externe Dienstleister.

Gerade nach den für die E-Seite, vor allem der Komponisten, nahezu traumatischen Erfahrungen der letztjährigen GEMA-Hauptversammlung (die nmz berichtete ausführlich) gilt es auch im GEMA-Bereich, die E-Musik zu stärken und für die Herausforderungen der Zukunft zu wappnen. Die Gräben zwischen E und U vertiefen sich, zu gegensätzlich sind oftmals die Interessenlagen und daher auch die Forderungen bezüglich der Verteilungspraxis. Eine gerade neu gegründete Initiative „Pro Klassik“ will hier Kräfte bündeln, Verlage und Komponisten enger zusammenschweißen und eine klare Position beziehen. Mit der GEMA müssen ferner – im konstruktiven Dialog – etliche Schwierigkeiten (wie etwa bei Programmerfassung und Abrechnung) gelöst werden, mehr Aufführungen kann allerdings auch eine optimierte GEMA nicht herbeizaubern.

Die wichtigste – und zugleich schwierigste – Aufgabe aber ist es, vor allem den nachwachsenden Generationen die klassische Musik nahezu bringen. Denn da liegt die Wurzel des Übels. Und das kann auch nur im Verbund mit allen anderen Kulturbereichen und vor allem der Politik geschehen, denn alle, – seien es Verlage, seien es Bühnen, Konzertveranstalter oder Plattenfirmen jeglicher Größe und Couleur, – sitzen hier im gleichen Boot. Bestehende Schwellenängste müssen abgebaut, neue Kundenschichten aufgebaut, das aktive Musizieren gefördert werden. Auch die Neue Musik muss einen festeren Platz im Musikleben erhalten. Nur so besteht die Chance, dem allmählichen Schwinden des Stellenwertes der klassischen Musik Einhalt zu gebieten. Die Diskussion über eine verstärkte Förderung des Musikunterrichts in der Schule ist in vollem Gange – in Hamburg etwa gibt es mit dem Projekt „Bündnis für den Musikunterricht“ schon ein viel versprechendes Modell, das auch schon auf andere Bundesländer übergegriffen hat. Die Musikverlage (auch „Pro-Klassik“ wird sich beteiligen) arbeiten bereits intensiv an Problemlösungen; deren PR-Arbeit wird durch vielfältige Aktionen – wie etwa der Verleihung des Deutschen Musikeditionspreises oder des Preises für das beste Konzertprogramm – untermauert. Langsam, aber sicher scheint sich ein gewisses Problembewusstsein auch bei Politik und Wirtschaft durchzusetzen. Nachrichten, nach denen Persönlichkeiten wie Noch-Präsident Rau, Minister Schily oder BMG-Boss Thomas M. Stein entsprechende Aktionen unterstützen, stimmen da hoffnungsvoll.

Teil 2 in der nächsten Ausgabe >>>

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