Hauptbild
Foto: Martin Hufner
Foto: Martin Hufner
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Bürgerschaftliches und institutionelles Engagement

Untertitel
Die Antworten der deutschen Musikverbände auf die nmz-Umfrage zum Flüchtlingsthema
Autor
Publikationsdatum
Body

Die große humanitäre, politische und kulturelle Herausforderung macht vor unserem Musikleben nicht halt. Auch die nmz-Redaktion hat die musikpolitische Dimension des Themas in den Fokus genommen und an Repräsentanten der großen Musikverbände des Landes folgende Frage gerichtet: „Wie wollen Sie in Ihrer Arbeit auf die Situation flüchtender Menschen eingehen – aktuell und in perspektivischer Sicht?“

Bundesverband Musikunterricht

Die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge haben die Situation an unseren allgemein bildenden Schulen bereits in der Vergangenheit verändert; sie werden dies in verstärktem Maße sicherlich auch mittel- und langfristig weiter tun. Gerade Musizieren und Musikunterricht bieten ein großes Potential, tönende Willkommens- bzw. Integrationskultur zu gestalten und Kinder und Jugendliche in ihrer Vielfalt musikalisch zusammenzubringen. Der Bundesverband Musikunterricht (BMU) ermutigt seine Mitglieder, ihre musikalische Arbeit auch nach außen zu tragen und zum Beispiel in Unterkünften, Förderklassen, Interessengruppen anzubieten.

Unterstützend kann der Musikunterricht in besonderer Weise im Bereich der Entwicklungsförderung wirken. Dazu zählen vielfältige Möglichkeiten, über musikalische Aktivitäten die Sprache zu fördern und spielerisch zu fes­tigen. Musikunterricht vermag darüber hinaus wesentlich zur emotionalen und sozialen Identitätsstärkung beizutragen; in diesem Zusammenhang erweist er sich als geeigneter Rahmen für primären und weiterführenden Kontaktaufbau: Gemeinsame musikalische Betätigung wird zum kulturell-verbindenden Kommunikationsmittel und intensiviert Interaktionen von Lernenden mit unterschiedlichen Lerngeschichten. Hierdurch werden sowohl Musiklehrerinnen und -lehrer als auch alle Lehramtsstudierenden vor anspruchsvolle Herausforderungen gestellt, für die sie Unterstützung, beispielsweise durch geeignete Fortbildungsmaßnahmen, dringend benötigen. Zu den angesprochenen Bereichen liegen fachdidaktische Konzeptionen bereits vor. Der BMU wird hierzu verstärkt fachlich fundierte Fortbildungen anbieten und auch im Rahmen seines Bundeskongresses 2016 in Koblenz  einen deutlichen Akzent setzen. Perspektivisch wird der BMU sich außerdem dafür einsetzen, dass sich die Musiklehrerausbildung der Vermittlung von Fördermaßnahmen in musikalischen Kontexten ganz konkret annimmt.

Prof. Dr. Ortwin Nimczik, Dr. Michael Pabst-Krueger (Präsidenten des BMU)

Deutscher Musikrat

Die Vielzahl und Vielfalt der Initiativen im Zeichen der Willkommenskultur, welche in ganz Deutschland mit erstaunlicher Kreativität und Spontaneität im Bereich der Musik entwickelt wurden, bezeugen in beeindruckender Weise die Intensität des Bürgerschaftlichen Engagements im Musikland Deutschland. Auch zahlreiche Projekte und Angebote öffentlich-rechtlicher oder weitestgehend öffentlich getragener bzw. finanzierter Institutionen beruhen auf weit über den dienstlichen Rahmen hinausgehendem, von demselben Impetus getragenen und damit ungeachtet des formalen Rahmens aus demselben Geist geborenen Einsatz. Gemeinsam legen sie nachdrücklich Zeugnis ab von der Bedeutung des bürgerschaftlich getragenen wie des institutionellen Musiklebens in seiner Gesamtheit für eine lebenswerte und friedens­orientierte Gesellschaft.

Um diese Vielfalt sichtbar zu machen und Anregungen zu vermitteln für diejenigen, welche nach Wegen suchen, Brücken zu schlagen durch Musik, hat der Deutsche Musikrat im Deutschen Musikinformationszentrum – MIZ – eine Online-Plattform eingerichtet, auf welcher in schnell wachsender Zahl Projekte unterschiedlichster Art präsentiert werden: „Im Fokus: Willkommen in Deutschland: Musik macht Heimat – Engagement für Dialog“ (http://www.miz.org/fokus_musik_macht_heimat.html).

Über die Möglichkeit eines weiterreichenden Projekts sprechen wir derzeit mit der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien und dem Bundestag. Lediglich ergänzend sei erwähnt, dass auch die Projekte des DMR sich mit Möglichkeiten eigener Zeichensetzung befassen.

Die Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrats hat am 24. Oktober die Resolution „Willkommen in Deutschland: Musik macht Heimat! Von der Willkommens- zur Integrationskultur“ verabschiedet. Wenn wir von Nachhaltigkeit und Integration sprechen, hat kulturelle und damit musikalische Bildung zentrale Bedeutung. Der Deutsche Musikrat hat 2014 erstmals einen Bundesfachausschuss Kulturelle Vielfalt eingesetzt. Im Bundesfachausschuss Bildung ist ein Sitz für diesen Bereich reserviert. Grundsätzlich bedeutet Bewahrung kultureller Vielfalt im Sinne der UNESCO-Konvention: respektvoller Dialog im Zeichen einer als Wert und Gewinn akzeptierten Unterschiedlichkeit von Kulturen in unserem Land. Integration steht im Spannungsfeld zwischen dieser gelebten Vielfalt einerseits, dem notwendigen Beharren auf allgemeiner Gültigkeit der zu achtenden Werte andererseits. Diese müssen sicher alle im Grundgesetz definierten umfassen, aber wohl auch darüber hinausreichen. Diese Diskussion hat erst begonnen.  

Martin Maria Krüger,
Präsident des Deutschen Musikrates

Deutscher Chorverband

Gemeinsames Singen verbindet, und der Deutsche Chorverband (DCV) ist sehr froh darüber, dass die Vokalszene selbst – über die alltägliche Chorarbeit hinaus – so engagiert Projekte ins Leben ruft, die die Integration der hier neu ankommenden Menschen fördern und die dazu beitragen, Berührungs­ängste auf allen Seiten abzubauen. Konkret denke ich etwa an den Begegnungschor, in dem Berliner gemeinsam mit Flüchtlingen singen, oder das Projekt „Heimatlieder aus Deutschland“. Der DCV möchte diese Initiativen unterstützen, ihnen Raum geben, sich einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen, sich zu vernetzen und weitere Kreise zu ziehen – dies geschieht aktuell bereits bei unseren großen Veranstaltungen und Festivals wie der chor.com in Dortmund, Chor@Berlin oder dem Chorfest im nächsten Jahr in Stuttgart.

Der wesentliche Schlüssel allerdings, um dauerhaft aktiv und erfolgreich an unsere Gesellschaft teilhaben zu können und hier eine neue Heimat zu finden, ist die Sprache. Dabei geht es langfristig um die Förderung der Heranwachsenden. Der Zusammenhang zwischen Singen, Bewegen und Spracherwerb ist wissenschaftlich ja erwiesen – hier sehen wir als Deutscher Chorverband unsere Hauptaufgabe darin, uns weiter dafür stark zu machen, dass alle Kinder in ihren Kindergärten, Kitas und Schulen fachgerecht zu Gesang und Bewegung angeleitet werden. Dafür müssen schnellstmöglich qualifizierte Musik-Pädagogen aus- und weitergebildet werden. Unsere bundesweite Initiative „Die Carusos“, die das gemeinsame Musizieren in Vorschuleinrichtungen zur täglichen Selbstverständlichkeit machen möchte, ist in dieser Hinsicht nur ein Anfang. Was momentan fehlt und wofür sich der DCV mit einsetzt, ist eine Art „nationale Bildungsallianz“ zwischen Hochschulen, Universitäten, Musikakademien, Verbänden und anderen Initiativen. Eine solche Allianz kann jedoch nur flächendeckend wirksam sein, wenn das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in Sachen Bildung aufgehoben wird.

Henning Scherf, Präsident des DCV

Deutscher Tonkünstlerverband

Zum dritten Mal initiiert der Deutsche Tonkünstlerverband nun einen bundesweiten Wettbewerb mit dem Ziel, Kinder bereits in den ersten Jahren mit dem Singen von Liedern in Berührung zu bringen, ein Kulturgut, dass in unserer Gesellschaft weitestgehend verloren gegangen ist. Die Absicht ist zudem, gleichermaßen Eltern, Großeltern und Geschwister zum Mitsingen zu animieren und ihnen allen nicht nur die Freude am Singen nahezubringen, sondern auch den Spaß bei der gemeinsamen Aktion: Singen, Bewegung und Sprache. Denn besonders bei der ausdrucksvollen Artikulation von einfachen Texten wird die Sprachkompetenz besonders gefördert. Das hilft nicht nur den Kleinen,  Worte deutlich zu sprechen und zu singen, das hilft ganz besonders beim Erlernen einer fremden Sprache.

Der Wettbewerb „Singen mit Kuscheltieren“ 2016 wendet sich daher gezielt an Kitas bzw Einrichtungen, die Kinder mit Integrationshintergrund betreuen. „Spielerisch Deutsch lernen mit den Kuscheltierliedern“ ist der Hauptaspekt der Ausschreibung, der durch die Einsendung von Kurz-Videos mit gemeinsamen Singe-Aktionen in Kindergruppen demonstriert, wie begeistert schon Kleinkinder sich um richtigen Wort-Gesang bemühen. Dieses pädagogische Konzept ist ein wichtiger Baustein für die Integration von Kindern in unsere Gesellschaft. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat für dieses wichtige Projekt die Schirmherrschaft übernommen und bedankt sich in ihrem Schreiben an den Deutschen Tonkünstlerverband für das Engagement hinsichtlich einer besseren und wirksamen Integration für Kinder mit angemessenen deutschen Liedern.

Die Auswahl der Kuscheltierlieder des Komponisten Klaus Wüsthoff, der zu den bekanntesten Komponisten zeitgenössischer Jugend- und Kinderliedliteratur gehört, treffen die Kitas oder Kindergruppen selbst. Auch selbst ausgedachte Lieder mit deutschen Texten sind willkommen. – Einsendeschluss per Internet oder Post ist der 31. März 2016. Die Jury, zusammengesetzt aus Sängerprominenz, Hochschulprofessoren und Fachleuten aus dem Berufsfeld, tagt im Juli 2016, um die besten Ergebnisse zu prämieren.

Die Sieger erhalten eine Urkunde und eine Plakette als „beste Institution für kreativen Spracherwerb und Integration“ – eine sichere Unterlage, um hiermit bei Stadt oder Land berechtigte Förderungen zu beantragen.

Unterstützt wird der KITA-Wettbewerb nicht nur vom Komponisten selber, der seine Liedbände für die Kandidaten zur Verfügung stellt, sondern auch von den Labels „Dorado junior“ und „Ars Vivendi“ sowie vom Ministerium für Kultur und Medien.

Adelheid Krause-Pichler, 1. Vizepräsidentin des DTKV
www.kuscheltierwettbewerb 2016.de

Jeunesses Musicales Deutschland

Der Wunsch nach „Völkerverständigung“ war nach der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs Anlass für junge Musiker, die Jeunesses Musicales zu gründen. Und auch die Menschen der JMD von heute sind mit ihrem Engagement für die JMD dem Ideal menschlicher Begegnung und eines gegenseitigen Verstehens durch Musik verpflichtet. Das auf internationaler und nationaler Ebene erfolgreiche Format „Ethno“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Jeunesses Musicales junge Musiker ver­schiedener Länder und Kulturen auf Augenhöhe zusammenkommen lässt.

Gerade arbeiten wir an dem Konzept für eine Fortbildung in der Musikakademie Schloss Weikersheim, in der Musikpädagogen lernen, wie sie „Ethno“ ggf. in adaptierter Form auf lokaler Ebene verwirklichen können. In Weikersheim bereitet unsere derzeitige Freiwillige im FSJ-Kultur, Alisia Maier, eine musikalische Aktivität mit jugendlichen Asylsuchenden vor, die vielleicht ebenfalls auf andere Orte übertragbar sein könnte. Unser Präsidiumsmitglied Martin Lentz leitet das neu gegründete Orchester syrischer Musiker in Bremen, über das derzeit in vielen Medien berichtet wird. Er tut dies und kann dies, weil er selbst einige Jahre in Palästina gelebt hat und in der arabischen Musiktradition „zuhause“ ist.

Es ist gut, dass die mediale Aufmerksamkeit auf das Thema „Willkommenskultur“ gerichtet ist, aber wir lassen uns nicht dazu verführen, „Schnellschuss“-Projekte zu starten um der Öffentlichkeitswirksamkeit willen.

Viele Menschen, die sich in unser Land flüchten, werden bleiben. Die JMD wird dieses Zusammenleben aktiv mit gestalten. Unser Weg dabei geht über qualitätvolle musikalische Projekte, in denen Menschen verschiedener Herkunft ehrlich aufeinander zugehen und offen sind für ihnen noch unbekannte musikalische Traditionen. Auch wir sagen „Willkommen!“ und nehmen uns Zeit, einander kennen zu lernen und herauszufinden, wo Berührungspunkte sind und was unser Beitrag sein kann und sollte.

Daniela Stork, Präsidentin Jeunesses Musicales Deutschland

Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen in der HRK

Die Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen schließt sich einer bundesweiten Initiative der HRK (Hochschulrektorenkonferenz) gegen Fremdenfeindlichkeit in Deutschland an. Die HRK-Mitgliedshochschulen bekennen sich mit dem Slogan „Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“ zu ihrer Haltung. HRK-Präsident Prof. Dr. Horst Hippler hatte die HRK-Mitgliederversammlung am 10. November 2015 in Kiel zu der Aktion aufgerufen.

Die Mitgliederversammlung hatte die Betroffenheit, aber auch die Handlungsbereitschaft in den Hochschulen deutlich gemacht. Gerade angesichts der dramatischen aktuellen Situation betrachten die deutschen Musikhochschulen ihr Engagement für Geflüchtete als gesellschaftliche Verantwortung. Sie sehen zugleich eine besondere Herausforderung und Chance darin, sich durch Unterstützung und Integration der geflüchteten Menschen als weltoffene und durch Vielfalt geprägte OrteP von Bildung, Kunst und Wissenschaft zu präsentieren und weiterzuentwickeln.

Prof. Dr. Martin Ullrich, Vorsitzender der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen, dankt all jenen, die sich bereits jetzt oder in naher Zukunft in vielfältigen Projekten an den deutschen Musikhochschulen engagieren und so in Ihrer Arbeit auf die Situation flüchtender Menschen eingehen.

Verband deutscher Musikschulen

Die öffentlichen Musikschulen im VdM machen Ernst mit Ihrem Bekenntnis zur kulturellen Vielfalt, wie es in der Potsdamer Erklärung zur Inklusion und im Musikschulkongress im Mai diesen Jahres unter dem Motto Erbe – Vielfalt – Zukunft immer wieder bekräftigt wurde, lange bevor die Dimension und die Brisanz dieser Herausforderung so greifbar war, wie heute. Eine Blitzumfrage Mitte Oktober, an der sich über 200 Musikschulen beteiligten, offenbarte, wie schnell und kreativ die Schulen vor Ort reagierten. Es gibt sowohl Initiativen, die Musikschulen mit eigenen Ideen und aus eigener Kraft umsetzen, bei den meisten handelt es sich jedoch um Bündnisse mit Partnern der Kommune, oder z.B. aus Kirchen und Wohlfahrtsverbänden. Der Ideenreichtum wird vielleicht am deutlichsten an den Titeln der Projekte, aus denen auch die Motivation und die Haltung der Initiatoren spricht. Bei Titeln wie „Musik für Alle“, „Musik verbindet“, „Internationale Musik-Deutsche Sprache“, „Musikgrenzenlos-wir musizieren mit Flüchtlingen“, „Music Worldwide-Bandprojekt für Hilfesuchende“, oder „KulturenMosaik“ handelt es sich um Beispiele der ersten „Bündnisse für Bildung“ für die die von der VdM-Jury in der letzten Sitzung am 18. November im Rahmen von „Kultur macht stark“ Mittel bewilligt wurden.

Täglich gehen im Projektbüro neue Anträge ein, die aufgrund der gebotenen Eile binnen acht Wochen im Umlaufverfahren von der Jury bearbeitet werden sollen. Nicht zu vergessen das große Spektrum der „Standardangebote“ von Musikschulen wie Instrumental- und Vokalunterricht im Einzel- und Gruppenunterricht, Ensembles aller Stile und Genres, Eltern-Kind-Gruppen und vieles mehr, das gebührenfrei oder reduziert offensteht.

Aus allen Projekten spricht eine große Sensibilität für den Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen. Natürlich: In dieser Situation haben wir das Know How, haben wir – mit etwas Glück und Überzeugungskraft – die finanziellen Mittel, die Räume, Instrumente und mehr. Wir wissen aber, wie wenig wir von denen wissen, denen wir etwas anbieten wollen. Wir wissen, wie sehr wir auf gute Zusammenarbeit mit Partnern angewiesen sind. Und wir ahnen vielleicht, wie unsere Kultur jung und reich werden kann durch das, was die Flüchtlinge mitbringen.

Prof. Ulrich Rademacher, Vorsitzender des VdM-Bundesvorstands

Autor
Print-Rubriken
Unterrubrik