Über den Copyright-Klau war in dieser Kolumne schon mehrfach zu lesen – die widerrechtliche Aneignung von geschützten Werken nach dem Grundsatz „Das hol’ ich mir!“. Und von der dazugehörenden Mentalität, die vielleicht den Ladendiebstahl gerade noch ablehnt, den geistigen Diebstahl aber gutheißt als Teil des hehren Kampfes gegen die Multis und den Kapitalismus überhaupt.
Wobei solche negativ konnotierten Oberbegriffe den Vorteil haben, dass sich ihnen alles zuordnen lässt, was nicht ins eigene Weltbild passt. Und wenn dann zufälligerweise ein lebender Komponist um seine wohlverdienten Tantiemen gebracht wird, dann läuft das eben unter Kollateralschaden im Kampf gegen das Böse.
Das Spiel hat aber noch eine Kehrseite, und auch hier könnte es geschehen, dass der ahnungslose Urheber als Kollateralschaden auf der Strecke bleibt. Die Akteure in diesem anderen Spiel nennen wir jetzt mal die Copyright-Hamster. Was die diebischen Vergesellschaftungsstrategen bis zur Gesetzlosigkeit überstrapazieren, nämlich den freien Austausch von geschützten Werken, verhindern diese Hamster dadurch, dass sie die Werke gar nicht erst herausrücken, beziehungsweise ihr Zirkulieren durch hohe Geldforderungen verunmöglichen. Sie verhalten sich nach dem Fafner-Prinzip: „Ich lieg’ und besitz’, lasst mich schlafen.“ Gähn. Den Schatz, den sie besitzen, wollen sie nicht mit anderen teilen.
Das geht dann so: Ein CD- oder DVD-Produzent möchte gerne ein interessantes Werk herausbringen, von dem er weiß, dass es viele begeisterte Käufer finden wird, und fragt beim entsprechenden Rechteinhaber, meist einem Verlag, um die Veröffentlichungsrechte nach. Wenn nun diese Rechte seine finanziellen Möglichkeiten übersteigen, so legt er das Projekt in die Schublade und das Werk kommt nicht auf den Markt. Leider geschieht das gar nicht selten, und dummerweise sind gerade im Geschäft mit der zu hundert Prozent geschützten zeitgenössischen Musik die Budgets am kleinsten. Wenn zum Beispiel ein Verlag für die Materialleihgebühren eines Orchesterwerks fünfzig Euro pro Minute verlangt, was noch bescheiden ist, und vom Orchester nochmals eine ähnliche Forderung für die Interpretenrechte dazukommt, dann sind für sechzig Minuten Orchestermusik schon einmal sechstausend Euro weg, bevor der Produktionsvorgang überhaupt angefangen hat. Bei den notorisch kleinen Auflagen in der zeitgenössischen Musik wäre der Verkaufspreis einer CD astronomisch hoch.
Nun gibt es überall vernünftig denkende Leute, die sich sagen: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Ich reduziere meine Rechteforderungen so weit, dass sich das Risiko bei meinem Geschäftspartner, dem CD-Produzenten, auf ein tragbares Maß reduziert. So kommen wir beide zu einem zwar bescheidenen, aber doch realen Geschäft und der Musikhörer zu seiner CD oder DVD. Doch leider gibt es auch die anderen. Sie handeln lieber nach dem Grundsatz „alles oder nichts“ und profilieren sich so mit schöner Regelmäßigkeit als Verhinderer. Der Musikkonsument erfährt davon nichts. Er wundert sich nur, dass immer das Gleiche produziert wird und gewagtere Dinge nie auf den Markt kommen.
Bisher war nur von der kapitalschwachen zeitgenössischen Musik die Rede. So richtig ins Geld geht es erst beim Handel mit Bühnenwerken, und das gilt von Puccini über Schönberg und Strawinsky bis zu Strauss, Orff und Ligeti. Neun Aufführungen des „Rosenkavalier“ in Salzburg, so rechnete der frühere Intendant Ruzicka einmal vor, spülen den Rechteinhabern glatte 280.000 Euro in die Kasse. Wer dann noch eine DVD herausbringen will, müsste nochmals Zehntausende auf den Tisch blättern. Da lässt er es lieber gleich ganz bleiben.
Von den Produzenten ist denn auch heute oft zu hören, der Musikfilmmarkt wäre um ein Vielfaches reichhaltiger und lebendiger, wenn nicht die Rechteinhaber, sprich die Verlage, mit ihren horrenden Forderungen so vieles blockieren würden. Bei Vorzeigeproduktionen mit beliebten Werken und Starinterpreten mag diese Preistreiberei einstweilen noch funktionieren. Doch die medialen Möglichkeiten erweitern sich täglich, und der Zeitpunkt ist absehbar, an dem die Copyright-Hamster ihren Poker beenden müssen. Sonst bleiben sie wie einst Fafner auf ihren Schätzen sitzen und das Geschäft machen die anderen.