Weltweit für Furore sorgte das Ensemble mit der szenischen Gesamturaufführung von Karlheinz Stockhausens Oper „Sonntag“ 2011 in Köln sowie der europäischen Erstaufführung von Harry Partchs „Delusion of The Fury“ beim Festival Ruhrtriennale 2013, wofür Schlagzeuger Thomas Meixner in jahrelanger Arbeit Nachbauten sämtlicher Partch-Instrumente angefertigt hatte.
Anschließend war diese Produktion bei verschiedenen großen Musikfestivals zu erleben, in Genf, Edinburgh, Holland, New York sowie jetzt aktuell im Oktober in Taiwan. Der Aktionsradius des Ensembles umfasst jährlich etwa 90 Konzerte in Köln, Deutschland, Europa und Übersee. Die 16 festen Mitglieder entscheiden dabei selbst auf der Basis eines Vereins über ihre Zusammenarbeit mit Komponisten, Dirigenten, Solisten, Aushilfen. Kooperationspartnern und – sofern die Veranstalter es zulassen – ihre Programme. Das war indes nicht immer so.
Im Gegensatz zu anderen Solistensembles verdankt sich die Gründung der Musikfabrik keinem Selbsthilfeimpuls junger Musiker, die sich für Neue Musik begeisterten und zusammenschlossen, um gemeinsam Kompositionen einzustudieren und für Aufführungen das nötige Geld zu beschaffen. Bei allen Initiativen, die dieses Spitzenensemble im Laufe seineEnsembless 25-jährigen Bestehens entfaltete, fehlte ausgerechnet dieser initiale Impuls. Stattdessen kam der Anstoß 1990 aus dem Düsseldorfer Kultusministerium, von Ministerialrat Dieter Starzinger, der die Gründung eines Ensembles an der Folkwang-Hochschule Essen vorschlug. Als sich diese Idee zerschlug, gelang es ihm, die hierfür bereits eingeplanten Finanzmittel so aufzustocken, dass ein Landesensemble für Neue Musik NRW mit Sitz in Düsseldorf zusammengestellt werden konnte. Unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Johannes Rau gab die junge Formation dann im April 1991 ihr Debüt bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik.
Bei der Namensfindung dachte man zunächst an „Beuys-Ensemble“, weil die Gruppe Avantgardemusik in all ihren Strömungen spielen und im Sinne der Loftkultur auch mit Tänzern, Schauspielern, Film und anderen Medien arbeiten sollte. Der neutralere und umfassendere Name „musikFabrik“ mit großem „F“ betonte schließlich den Fabrikgedanken, also das Herstellen von Neuem und die Herkunft des Ensembles aus dem Industrieland Nordrhein-Westfalen, das damals einen gewaltigen Strukturwandel erlebte. Zunächst entschieden ein Vorstand und der feste künstlerische Leiter Johannes Kalitzke alle Belange: Programm, Personal, Management, Finanzen. Die Musiker selbst hatten kein Mitspracherecht, sondern einfach zu spielen, was ihnen vorgesetzt wurde, vor allem Komponisten aus NRW. Da ihnen das auf Dauer nicht genügte, gab es eine hohe Fluktuation und 1997 endlich eine Umstrukturierung.
Formatvielfalt
Seitdem liegt die künstlerische Leitung bei den Mitgliedern des Ensembles selbst und einem aus ihren Reihen für je drei Jahre gewählten dreiköpfigen Vorstand. Von seinen letzten ministerialen Eierschalen befreite sich das weiterhin vom Land geförderte Ensemble 2003 durch den Umzug nach Köln. 2008 bezog es dort im innenstadtnahen MediaPark die umgebauten Räumlichkeiten eines ehemaligen VIVA-Fernsehstudios. In Köln veranstaltet man seitdem pro Saison vier bis fünf Konzerte im Rahmen der Reihe „musikFabrik im WDR“ sowie im eigenen Studio regelmäßig zu freiem Eintritt „Montagskonzerte“ mit Kammermusik, die jeweils ein anderer Musiker kuratiert. Unter dem Namen „Studio Musikfabrik“ betreut das Ensemble auch das seit 2012 von Peter Veale geleitete Jugendensemble für Neue Musik des Landesmusikrats NRW mit Mitwirkenden im Alter von 14 bis 21 Jahren. Hinzu kommen jedes Jahr zahlreiche Edukationsprojekte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Aus der Kölner, deutschen und internationalen Szene der Neuen Musik ist die Musikfabrik längst nicht mehr wegzudenken.
Zu den Mitgliedern gehören Solisten mit internationaler Reputation, etwa der Trompeter Marco Blaauw, die Hornistin Christine Chapman, die Pianisten Benjamin Kobler und Ulrich Löffler, der Tubist Melvyn Poore, Klarinettist Carl Rosman und Oboist Peter Veale. Die allesamt ausgezeichneten Musikfabrikanten brachten bisher hunderte Stücke zur Uraufführung, darunter auch etliche für sie komponierte Werke für Soloinstrument und Ensemble. Weltweit einmalig an diesem Ensemble dürfte der komplette Satz an Doppeltrichterinstrumente der Blechbläser sein, für die bereits mehrere Werke in Auftrag gegeben wurden. Die Sonderanfertigungen verfügen jeweils über zwei Schallstücke, so dass mit bloßem Ventilgriff schnell zwischen offenem Trichter und mit Dämpfern verändertem Klang gewechselt und die Abstrahlcharakteristik der Instrumente im Raum wahlweise nach hinten oder vorne, rechts oder links variiert werden kann.
Seit 2004 wirkte Thomas Oesterdiekhoff als Manager, später als „Geschäftsführender Intendant“ des Ensembles. Mit Umsicht, Ideenreichtum, Durchsetzungsstärke und guter Vernetzung erweiterte er die Aktivitäten der Formation, die er auf internationale Plattformen, renommierte Spielstätten und Festivals weltweit brachte. Zudem verband sich das Ensemble strategisch geschickt durch einen Freundes- und Förderkreis sowie ein prominent besetztes Kuratorium mit Vertretern aus Politik, Medien, Wirtschaft und Gesellschaft. Gleichzeitig wuchs – Kehrseite des Erfolgs – die Abhängigkeit von Veranstaltern. Den Spielplan dominierten immer mehr namhafte Altmeister und etablierte Komponisten der mittleren Generation: Birtwistle, Boulez, Eötvös, Ferneyhough, Henze, N.A. Huber, Kagel, Kurtág, Lachenmann, Ligeti, W. Rihm, Stockhausen, Andre, Furrer, R. Saunders, Lim, Poppe … Wenig bekannte jüngere Komponistinnen und Komponisten drohten ebenso ins Hintertreffen zu geraten, wie der Experimental- und Fabriksgedanke des Ensembles, das seinen Namen heute „Musikfabrik“ mit großem „M“ und kleinem „f“ schreibt.
Junge Künstler statt Altmeister
Auf Kritik an dieser Programmentwicklung anlässlich des 20-jährigen Ensemblebestehens reagierte vor fünf Jahren Thomas Oesterdiekhoff: „Das schmerzt und sorgt auch bei unseren Musikern für Frust, weil wir das gerne ganz anders handhaben würden. Stärker als Labor für junge Künstler zu wirken, gehört zu den Aufgaben der nächsten Jahre.“ Fünf Jahre später sehen das der Schlagzeuger Dirk Rothbrust und die Geigerin Hannah Weirich genauso, beide seit 2006 feste Mitglieder des Ensembles: „Das kann ich“, so Rothbrust, „nur unterstreichen und genau das haben wir damals auch sofort in die Hand genommen. Wir haben die Reihe der ,Montagskonzerte‘ installiert, weil wir auch eine Plattform für Kammermusik brauchen, die sich bei Veranstaltern oft nicht gut verkaufen lässt. Dazu werden häufig auch kleinere Aufträge an junge Komponisten vergeben, wie etwa zuletzt an Oxana Omelchuk, Johannes Fischer oder Tobias Schwenke.“
Neu hinzu kamen auch die Reihe „Departure“ in Zusammenarbeit mit dem Studio für Elektronische Musik der HfMT Köln sowie die Reihen „Composers Colider“ und „Solo-Colider“, bei der das Ensemble beziehungsweise einzelne Instrumentalisten Stücke von Kompositionsstudierenden nordrhein-westfälischer und internationaler Musikhochschulen einstudieren, die auch aufgezeichnet und seit neuestem öffentlich aufgeführt werden. Offenheit und Neugierde für junge Talente zeigt das Ensemble laut Weihrich auch im Rahmen sogenannter „Campus“-Phasen: „Wir bekommen so viele Partituren von Komponisten zugeschickt, dass die Menge kaum zu bewältigen ist und man bei flüchtigem Lesen und Hören den Arbeiten nicht gerecht werden kann. Daher laden wir ausgewählte junge Komponisten ein, die wir intensiver kennenlernen möchten, sich uns vorzustellen und mit uns zusammenzuarbeiten, um ihnen dann gegebenenfalls einen Auftrag für ein neues Stück zu geben.“
Im Rahmen des Projekts „Pitch 43“, an dem sich mehrere Konzerthäuser beteiligen, werden Aufträge vergeben, neue Stücke für die 43-tönig gestimmten Partch-Instrumente zu schreiben, darunter an Martin Smolka und Phillip Sollmann, den DJ des Berliner Clubs Berghain. Fest verabredet ist ferner ein Projekt mit dem Choreographen Xavier le Roy. Für die Zukunft angedacht sind neue Musiktheaterwerke von Rebecca Saunders, Enno Poppe und Oscar Bettison. Ihr aktuelles Jubiläum feiert die Musikfabrik zu Hause in Köln mit vier Konzerten unter dem Titel „Self-Portrait“, der sich einem Stück von Tom Johnson verdankt: „Wir möchten in diesen Konzerten“, so Rothbrust, „uns und einige Facetten unserer Arbeit vorstellen: Hier sind wir nach 25 Jahren, da stehen wir!“ Laut Weirich gehört dazu auch, „dass wir sowohl die Tradition der Neuen Musik pflegen als auch jüngere Komponisten wie Kampe, Schüttler oder Schmickler präsentieren, und zudem mit anderen Sparten zusammenarbeiten, in diesem Fall mit Tänzern und Film.“ Nun denn, weiter so, ad multos annos: Das eine tun, ohne das andere zu lassen!