Jahre konnte er nicht darüber sprechen, jetzt erzählt der 74jährige Gitarrist Coco Schumann aus seinem bewegten Leben. In seiner Autobiographie, von zwei jungen Reportern auf Hochglanz gebracht, wird ein Leben ausgebreitet, bei dem dem Leser mitunter der Atem stockt.
„Wild und bunt lief es, manchmal zu lang und immer zu kurz“. Es „hat sich“, so Schumann, „unglaublich böse und entsetzlich schön gezeigt“, doch „schrecklich war es nie“. Viel hat er erlebt, der Berliner Coco Schumann, einer der wenigen Jazzmusiker in Deutschland, der bereits in den dreißiger Jahren musikalische Erfahrungen sammeln konnte. Im finsteren Nationalsozialismus verlief die Kindheit des Halbjuden „unbekümmert und heiter“. Auf dem Höhepunkt des Swingfiebers, während der Olympiade 1936, fand er zum Jazz, dem damals eine „eigenartig widersprüchliche Akzeptanz“ widerfuhr. Es war eine kurze musikalische Freiheit für die später geächtete, aber nie vollends ausgerottete „Niggermusik“. „Die Musik“, schreibt Schumann, „war wie ein Bazillus, das ich nie wieder loslassen sollte“. Sie „wirkte wie eine Droge“, „bestimmte mein Leben, der Rest war mir egal“. Begierig hörte der junge Fan all die Bigbands jener Zeit, die im Delphie-Palast, dem „Mekka aller Swingfans“, oder anderswo gastierten, das Orchester Teddy Stauffers etwa oder das des Holländers van’t Hoff’s.
Wie besessen übte Schumann auf seiner Gitarre, hatte alsbald „eine Art Mischung aus der Melancholie Django Reinhardts und der rhythmischen Akkordspielweise Freddie Green’s“ intus. So tingelte er durch die Clubs um Berlins Kurfürstendamm. Im März 1943, heißt es dann in dieser lesenswerten Biographie kryptisch, „fiel für mich der Vorhang“. Schumann wird denunziert, verhaftet und in das Lager Theresienstadt verbracht. Auch dort, in der Scheinwelt des KZ, wird Musik gemacht. Schumann wird Mitglied einer der hochkarätigsten Jazz-Combos des Dritten Reichs, den „Ghetto-Swingers“. „Verbotene“ amerikanische Hot-Musik, von Basie bis Ellington, steht auf dem Programm. Schumann gelang das Überleben dank der Musik, wie er immer wieder betont.
Ob als Mitglied der Ghetto-Swinger oder beim zwangsweisen Aufspielen von „La Paloma“ in Auschwitz („nie vorher hatte ich auf einem so guten Instrument gespielt“) oder beim Abgesang auf das Regime in Dachau: Musik war „fester Bestandteil dieser makrabren Welt“. Nach der Hölle der KZ’s treibt es den Entwurzelten durch die Welt, deren einzige ihm verbliebene Heimat Jazz und Swing sind. Er spielt wieder mit dem Geiger Helmut Zacharias und wurde der erste deutsche Musiker mit einer elektrisch verstärkten Gitarre. Mit seiner Autobiographie sieht Schumann eine Verpflichtung, gegen das Vergessen anzukämpfen. Es ist ihm sowohl auf humorvolle als auch auf nachdenkliche Art, gut gelungen. Seine Bilanz ist einfach, aber eindringlich: „Ich bin Musiker. Ein Musiker, der im KZ gesessen hat, kein KZ’ler, der Musik macht. Ich habe viel zu sagen. Die Richtung ist klar: Back to the roots, in jene Welt, in der meine Seele zu Hause ist, in den Swing. Wer den Swing in sich hat, ob er im Saal steht oder auf der Bühne, kann nicht mehr im Gleichschritt marschieren“.
- Coco Schumann, Der Ghetto-Swinger. Eine Jazzlegende erzählt, Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1997, 233 Seiten, 28,40 DM