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Der Saxophonsatz des JOR (v.li.): Lutz Häfner, Florian Trübsbach, Oliver Leicht, Herwig Gradischnig und Susanne Heitmann (nicht im Bild). Foto: Robert Fuchs
Der Saxophonsatz des JOR (v.li.): Lutz Häfner, Florian Trübsbach, Oliver Leicht, Herwig Gradischnig und Susanne Heitmann (nicht im Bild). Foto: Robert Fuchs
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Die Stadt und ihr improvisierendes Orchester

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Die dritte Regensburger Runde widmete sich dem Thema Jazzförderung
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Bürgerschaftliches Engagement ist in Regensburg untrennbar mit Jazz verbunden. Der mitgliederstärkste Verein der fünftgrößten Stadt Bayerns ist seit vielen Jahren der Regensburger Jazzclub. Die Stadt fördert das jährliche Festival „Bayerisches Jazzweekend“ und auch das Bayerische Jazzinstitut erhält Zuschüsse von Stadt und Land. Nachdem Ende 2008 mit dem Autohaus Bauer ein örtlicher Hauptsponsor gefunden worden war, stiegen Stadt und Kulturreferat ein und erweiterten das musikalische Angebot der Jazz-Stadt an der Donau noch um eine weitere Facette: das Jazzorchester Regensburg–Volvo Big Band (JOR) unter der künstlerischen Leitung von Ed Partyka. Diese Orchestergründung nahm die neue musikzeitung als Anlass, die dritte Regensburger Runde dem Thema Jazzförderung zu widmen. Mit nmz-Chefredakteur Andreas Kolb diskutierten Heike Lies vom Kulturreferat München, Ralf Dombrowski, Jazzkritiker, Buchautor und Künstlerischer Leiter des European Jazztivals auf Schloss Elmau, sowie der Bassposaunist, Komponist und Bandleader Ed Partyka, der auch Professuren und Lehraufträge an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Graz, der Musikakademie in Katowice/Polen und dem Jazzinstitut Berlin innehat.

neue musikzeitung: Heike Lies, München hat seit 1998 ein Jazzorchester, das International Composers and Improvisers Ensemble, kurz ICI Ensemble. Das Orchester arbeitete seither mit so verschiedenen Komponisten wie  Vinko Globokar, Barry Guy, Giancarlo Schiaffini oder Sebi Tramontana zusammen. Ist denn das Etikett Jazz für das Münchner ICI zutreffend? Oder wäre zeitgenössische Musik nicht besser?

Heike Lies: Gerade das ICI Ensemble ist diesbezüglich sehr flexibel und sehr frei. Ich würde eher von zeitgenössischer Musik sprechen und denke, dass diese viele unterschiedliche Facetten hat. Insofern finde ich es auch richtig, dass jetzt im Münchner Kulturreferat alle Sparten zusammengefasst wurden, weil viele der Musikerinnen und Musiker auch in den verschiedenen Bereichen tätig sind.

nmz: Ed Partyka, der Initiator des Jazzorchesters Regensburg, der Bassposaunist Christian Sommerer, konnte dich für den Job des Dirigenten und Künstlerischen Leiters gewinnen. Warum hast du zugesagt?

Ed Partyka: Christian hat mir erzählt, dass hier genug Spitzenmusiker zur Verfügung stehen, die Big-Band-Jazz spielen und mit denen man was Tolles aufbauen kann. Er nannte ein paar Namen, darunter Tobias Weidinger, Jean-Paul Höchstädter, Oliver Leicht und so weiter. Da habe ich sofort zugesagt.

nmz: Wie sieht das Konzept aus?

Partyka: Wir finden, dass Duke Ellington genauso viel Platz in einem Konzertprogramm fürs Jahr 2009 hat, wie Zeitgenössisches. Wir vergeben auch an unsere eigenen Bigband-Mitglieder Kompositionsaufträge und fördern und präsentieren damit neue Musik für Jazzorchester.
nmz: Ralf Dombrowski, warst du erstaunt, als du gehört hast, dass sich in Regensburg ein Jazzorchester gründet?

Ralf Dombrowski: Nicht wirklich. Man kennt Regensburg als eine Stadt, die regionale Jazzkultur seit langem fördert. Das Bayerische Jazzweekend war für mich ein Erlebnis, das es sonst in Deutschland so nicht gibt. Ich kannte das bisher nur aus Montreal, da ist es ähnlich: Man nimmt den Jazz raus aus den Clubs und stellt ihn mitten in die Stadt. Die Leute laufen dran vorbei und viele bemerken dann: „Hoppla, das ist Musik, die mir Spaß macht!“.

nmz: Ed Partyka, was ist deine Vision fürs Jazzorchester Regensburg?

Partyka: Ich denke einmal weit in die Zukunft: Es gibt etwa 130 Kulturorchester deutschlandweit und dagegen drei feste Rundfunkbigbands, eine Profibigband hier am Start, natürlich auch das ICI Ensemble in München. Ich möchte noch eine Zukunft erleben, in der wir eine Parallelstruktur mit Big Bands zu unseren Kulturorchestern in Deutschland aufbauen. Wo man wirklich als Bigband- oder Jazzorchestermitglied einen Hauptarbeitsplatz hat.

nmz: Das Modell eines städtischen Jazzorchesters – Was sagt Heike Lies als Vertreterin der Landeshauptstadt dazu? Der größte Brocken der Münchner Kulturförderung geht ja in Institutionen wie die Münchner Philharmoniker und diverse Theater. Ist ein Jazzorchester als Institution vorstellbar?

Lies: Institutionell fördern wir im Jazzbereich nur den Jazzclub Unterfahrt, der hervorragend arbeitet und dessen Zuschuss gerade deshalb im letzten Herbst erhöht wurde. In München liegt die Priorität beim Jazz eher auf projektbezogener Förderung – wie auch sonst im Bereich der zeitgenössischen Musik. Endlich gibt es jetzt in unserer Stadt auch wieder ein Festival, das weit über München hinaus ausstrahlen wird, das internationale „Jazzlines Festival“ Ende März, mit acht Tagen Jazz und improvisierter Musik. Es ist vom Kulturkontor initiiert und wird sowohl vom Freistaat als auch von der Stadt gefördert.

nmz: Ralf, aus der Sicht des Kritikers: Brauchen wir Profi-Jazzorchester?

Dombrowski: Auch wenn das vielleicht ein bisschen provokant klingt, ich habe sowohl die WDR- als auch die NDR-Bigband schon unglaublich langweilig erlebt. Das ist nämlich genau das Problem der Institution, wenn man ein Beamtenorchester hat, und die irgendein Projekt spielen müssen, dann sind die zum Teil so was von fade.

Partyka: Niemand würde auf die Idee kommen, ein Kulturorchester zu schließen, weil es manchmal ein bisschen langweilig spielt. Was passiert dann schon? Die wichtige Frage ist, ob Jazz eine ernstzunehmende Musik ist. Ich glaube, wir können alle dazu ja sagen. Diesen Hunderten von jungen Leuten, die jährlich für Jazz ausgebildet werden, kann man eine Zukunftsperspektive geben, indem man Arbeitsplätze schafft, die in etwa der Prozentzahl der tatsächlich ausgebildeten Musiker entsprechen. Dazu müsste man in jeder deutschen Stadt ein Jazzorchester ins Leben rufen.

Lies: Von städtischer Seite aus darf man nie vergessen: Je mehr Mittel man an Institutionen bindet, desto weniger ist da für die freie Szene, desto weniger ist es möglich, auch mal spontan auf Neues zu reagieren.

nmz: Ed, ist denn ein Publikum da, für den anspruchsvollen Jazz, den das JOR macht?

Partyka: Selbstverständlich ist das Publikum da, das haben wir hier in Regensburg erlebt.

nmz: Wie sieht eine Jazzförderung 2020 idealerweise aus? In München gibt es den Verein Spielmotor, der die Veranstaltungen Münchner Biennale, das Theaterfestival SpielArt und Dance durchführt. Ein Modell auch für den Jazz?

Lies: Spielmotor ist eine Public Private Partnership zwischen BMW und der Stadt, die vor inzwischen 30 Jahren gegründet wurde und bis heute noch vorbildlich existiert – es ist ein Projekt, auf das beide Partner stolz sind. Spielmotor kümmert sich um zeitgenössische Darstellende Künste aller Sparten. Das Besondere an dieser Struktur ist, dass es eine Verbindlichkeit von beiden Seiten, sowohl von BMW als auch von Seiten der Stadt ist. Das funktioniert, ohne dass sich BMW inhaltlich einmischt. Und ich würde mir für das Jahr 2020 wünschen, dass die bereits sehr gute Förderung der zeitgenössischen Musik in München noch weiter ausgebaut wird.

nmz: Ralf, wo siehst du den Jazz in zehn Jahren?

Dombrowski: Ich fände es sehr wichtig, dass mehr Wert darauf gelegt wird, ein größeres Publikum zu bekommen. Da müsste etwa der Rundfunk zu anderen Zeiten Jazz spielen, als nur mitten in der Nacht. Da müssten Zeitungen den Jazz wieder mehr in den Mittelpunkt stellen.

nmz: Ich möchte unser Gespräch beenden mit einem Satz von Ornette Coleman, der wunderbar auf das Jazzorchester Regensburg und die Musik, die das Orchester macht, zutrifft: „Let’s play the music, not the background.“

Eine Dokumentation der dritten Regensburger Runde finden Sie  in Kürze unter www.nmz.de

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