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Melisa Elgün beim Einstudieren türkischer Lieder. Ihr interkulturelles musikgeragogisches Projekt spricht Senioren mit deutschem und türkischen Hintergrund an. Foto: Edward Haspelmann
Melisa Elgün beim Einstudieren türkischer Lieder. Ihr interkulturelles musikgeragogisches Projekt spricht Senioren mit deutschem und türkischen Hintergrund an. Foto: Edward Haspelmann
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Die Vermessung der Musikpädagogik

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Drei künstlerisch-pädagogische Persönlichkeiten entdecken ihre Zielgruppen außerhalb des Unterrichtsraumes
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Melisa Elgün erreiche ich am Nachmittag über eine Mobiltelefonnummer in Istanbul. Wie erging es Ihnen in der Zeit nach dem Hochschulwettbewerb? „Mir geht es gut“ sagt sie, die Verbindung ist immer wieder gestört, aber die Botschaft kommt an: „Der Wettbewerb hat mir natürlich Aufmerksamkeit geschenkt und Türen geöffnet. Ich habe einen einsemestrigen Lehrauftrag an der Kölner Musikhochschule für dieses Fach bekommen. Alle wichtigen Personen im Bereich Musikpädagogik kennen mein Projekt, viele wollten sich das Projekt anschauen.“

Das „Projekt“ heißt „Elementare Musikgeragogik mit türkischen Migrantinnen und Migranten“ und wurde von Elgün im Dezember 2011 am dem Städtischen Senioren- und Behindertenzentrum Köln-Mülheim durchgeführt. Eher zufällig bewarb sie sich am 60. Hochschulwettbewerb der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen. „Ich hab in meiner Hochschule ein Plakat gesehen und war erfreut, dass der Wettbewerb auch der Musikpädagogik galt. Erst ein knappes halbes Jahr vorher hatte ich meine Diplomarbeit geschrieben – die Theorie zu diesem Projekt – da waren die Voraussetzungen für eine Teilnahme schon gegeben.“

Seit drei Jahren hat der ehrwürdige Hochschulwettbewerb neue Zielgruppen im Fokus. Mit dem Wettbewerb „Musikpädagogik“ möchten die Rektorenkonferenz und der Stifter des Preisgeldes, der Verband deutscher Musikschulen (VdM), auf die Bedeutung musikalischer Bildung und der musikpädagogischen Ausbildung öffentlich aufmerksam machen. Im Rahmen des Preisträgerkonzertes wurden Anfang Juni zwei Förderpreise in der Kategorie Musikpädagogik in Düsseldorf öffentlich verliehen. Einen Förderpreis erhielten Sina Gottbrath und Anne Miebach, beide Hochschule für Musik Det­mold, mit ihrem Projekt „Wir singen gemeinsam“. Ein weiterer Förderpreis wurde an Melisa Elgün (Hochschule für Musik und Tanz Köln) für ihr interkulturelles Projekt „Elementare Musikpädagogik in einem türkisch-deutschen Seniorenheim“ verliehen.

Sina Gottbrath erreiche ich Mitte November unter einer Detmolder Nummer. Erst vor wenigen Wochen ist sie aus Kenia zurückgekehrt, wo sie drei Monate in einem Waisenhaus arbeitete und auch als Mathematik- und Englischlehrerin tätig war. Dass die Musik bei ihr immer zum Lehrplan gehört, braucht nicht besonders  hervorgehoben zu werden. Auch für Gottbrath und ihre Koautorin Anne Miebach hatte der Förderpreis Folgen: „Wir wurden zunächst von der in Detmolder Hochschule nochmal angesprochen, denn Ende Oktober findet ein musikpädagogisches Forum ‚Menschen mit Behinderung an Musikschulen‘ statt und da werden wir unser Projekt nochmals vorstellen und darüber diskutieren.“ Weitere Dinge ergaben sich weniger aus dem Wettbewerb selbst, als aus der Projektarbeit an und für sich. Dazu Miebach: „Von der Lebenshilfe in Detmold gab es die Anfrage, ob wird auch bei ihnen ein solches Projekt in noch größerem Umfang durchführen könnten. Das haben wir jedoch an die nächste Generation Studenten weitergegeben, die schon mit unserem Projekt zu tun hatten, weil wir anderweitig beschäftigt waren.“

Aus der Zeit nach dem Wettbewerb hat Anne Miebach hat keine großen Forschungsreisen vorzuweisen: Sie betreibt die musikalische Vermessung der Welt von zu Hause aus, aber deswegen mit nicht weniger Forscherdrang als ihre Kolleginnen. Miebach studierte zunächst Gymnasiallehramt Musik, dann Musiktheorie/Komposition, zur Zeit macht sie das Staatsexamen für Grundschule neben dem Master im Singen. Diese Vielfalt zeigt eine Suche nach dem richtigen Weg als Musikpädagogin, aber auch ihre offene Auffassung: „Ich bin der Meinung, dass Schule sich sehr öffnen muss. Ich habe bei meinem Projekt die Erfahrung gemacht, dass die musikalischen Tätigkeiten, die ich selbst künstlerisch mache, ganz wichtig für meine Arbeit mit den Kindern waren. Ich war für die Kinder nicht nur Lehrerin, sondern vor allem Musikerin. Diese Kombination muss immer gegeben sein. Wenn ich mir den heute üblichen Musikunterricht in den Grundschulen ansehe, dann liegt der meistens weit unter dem, was die Kinder selbst gemacht hätten.“

Drei engagierte Musikpädagoginnen am Beginn ihrer Laufbahn und zwei ausgezeichnete Projekte, bei denen die außerschulische Musikvermittlung im Zentrum stehen. Ist das ein Trend, oder nur eine Frage der Wettbewerbsausschreibung, gar ein Zufall? Die Projekte von Elgün, Gottbrath und Miebach sind auf jeden Fall Ausdruck einer Suche nach einem neuen Bestimmungsort von Musikpädagogik. Die enge Welt des Klassenzimmers wird verlassen, aber wo und wie findet Musikpädagogik dann statt? Auf diese Frage haben die drei Lösungsvorschläge gemacht, bei denen ihre pädagogisch-künstlerische Persönlichkeit ganz im Mittelpunkt steht. 

Bei Elgün spielen die multikulturellen Erfahrungen einer türkisch-deutschen Familie eine Rolle – der Vater ist Türke, die Mutter Deut-sche. Die Vita wird zum ausschlaggebenden Impuls für eine musikpädagogische Orientierung. Auch bei Mie­bach und Gottbrath spielt Identifikation mit ihrem Tun eine zentrale Rolle. Weitere Antworten auf diese Fragen wird der nächste Musikpädagogische Wettbewerb 2013 bringen. Der 60. Hochschulwettbewerb war zugleich auch der letzte seiner Art: Er wird fusioniert mit dem Felix Mendelssohn Bartholdy-Wettbewerb Berlin. Der musikpädagogische Preis bleibt allerdings außen vor: Er ist zukünftig ein Appendix der Sommer-Rektorenkonferenz. Das schmälert seine Qualität nicht, nimmt ihm aber den Imagegewinn und die Aufmerksamkeit, die er ursprünglich durch die Angliederung an den renommierten Hochschulwettbewerb erhalten hatte. 

Möglichen Bewerbern sei auf jeden Fall der Rat von Anne Miebach ans Herz gelegt: „Bei uns ging es im Vorhinein oft um die Frage, wie wir uns präsentieren. Uns hat geholfen, dass wir beide sehr überzeugt von unserem Projekt waren und dadurch überzeugen konnten. Ich würde immer empfehlen, dass man weiß, warum man was tut und auch nur das präsentiert, worüber man sich ganz sicher ist.“

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