Von Ursula Mamloks Kammermusikwerk „Movements“ borgt Anne Berrini den Titel ihres Films, und tatsächlich ist „Bewegung“ für die Komponistin eine wesentliche Kategorie. Als eine Reise im Kleinen beschreibt die Filmemacherin den Weg, den Mamlok im Großen vollzog: 1939 konnte die 16-jährige Ursula Lewy in buchstäblich letzter Minute mit ihren Eltern aus Berlin nach Ecuador ausreisen und sich ein Jahr später in New York eine der Musik gewidmete Existenz erobern.
Nach dem Tod ihres Mannes kehrte sie in ihre Geburtsstadt zurück, die ihr seit dem Rausschmiss durch die Nazis keine „Heimat“ mehr sein kann. Berrini zeigt die mittlerweile 91-Jährige, die immer noch unermüdlich komponiert, in ständiger Bewegung – sprich: auf Reisen – für die Aufführungen ihrer Werke. Am Ausgangspunkt Berlin spielen Mitglieder der „Spectrum Concerts Berlin“ ihre „Confluences“ zum 90. Geburtstag. Der Cellist Jakob Spahn und sein Klavierpartner Holger Groschopp nehmen die eigens für sie geschriebenen „Rotations“ auf; Kolja Lessing widmet sich den ebenfalls erst 2009 entstandenen „Aphorismen“ für Violine solo. Der Einstieg in die deutsche Kulturszene scheint also geglückt zu sein, und Mamlok spricht davon, dass ihre Aufführungen in New York trotz ihrer etablierten Position zurückgingen und sie selbst aufgrund ihres starken deutschen Akzents („mein Englisch war nie perfect“) vielleicht nie ganz aus der Rolle des „komischen Vogels“ herauskam – Fremdheit also auch dort. Jedenfalls hat die Aufmerksamkeit, die ihr als „zurückgekehrter“ Jüdin in Deutschland entgegengebracht wurde, ihrem Werk gutgetan. An Aufträgen mangelt es nicht; prominentester Interessent ist der Schweizer Komponist und Oboist Heinz Holliger. Ihm schrieb sie „Kontraste“ für Oboe und Harfe zum 70. Geburtstag. Für Holliger überarbeitete sie auch ihr Oboenkonzert, zu dessen Aufführung die Reise nach New York geht. Das Werk mag symptomatisch für die große Zäsur in ihrem Leben sein, da zwischen seiner ersten und dritten, jetzigen, Fassung 27 Jahre liegen, von 1976 bis 2003. Mamloks Aufenthalt in New York dauerte noch 40 Jahre länger, mehr als ein ganzes Berufsleben.
In schnellen Schnitten beschreiben das Bilder ständiger Ortswechsel: Mamlok im Auto, im Flugzeug, im Schiff auf der Überfahrt zur Freiheitsstatue. Vogelschwärme zeigen an, dass es hier noch um anderes gehen könnte. Berliner und New Yorker Stadtlandschaften ähneln und unterscheiden sich, grandios eingefangen von Kameramann Ronald König. Geschickt werden Dokumente der Vergangenheit eingestreut: die Schülerin Ursula mit Freundinnen unterm Hakenkreuz, mit der Mutter bei der Überfahrt ins ungelobte Land Ecuador – „Wir waren priviligiert und durften Kleinmöbel mitnehmen. Ich war da sehr zielbewusst, mein Klavier musste mit.“ Später sieht man Mamlok als junge Frau mit ihrem Ehemann Dwight, ein kunstsinniger jüdischer Geschäftsmann aus Hamburg, der ihr die Gedichte zum Liederzyklus „Der Andreasgarten“ schrieb. Das Funkeln in ihren Augen, ihr breites Lachen lassen verstehen, wieso Holliger in der komplexen Anlage ihres Oboenkonzerts „eine unbezähmbare Lebensfreude“ erkennen will. Verständlich wird aber auch die „Zielstrebigkeit“, mit der sie 17-jährig, allein, ohne Geld und ohne Sprachbeherrschung nach New York kam und ihr Studium begann, die Lehrer wechselte, bis Stefan Wolpe und Ralph Shapey sie auf den Weg einer ihr zeitgemäß erscheinenden Musik führten, an der Manhattan School of Music noch einmal studierte und dann vierzig Jahre dort unterrichtete, als einzige Professorin mit einem dezidiert atonalen Ansatz ihrer Musik.
Das alles erfährt der Zuschauer durch Begegnungen mit Freunden und ehemaligen Kollegen, das Aufsuchen der alten Orte wie Schule und Bibliothek und immer wieder Mamloks eigene Erzählungen. Alles hier ist O-Ton, kein externer Kommentar stört das dichte Geschehen. Analytischer versuchen sich einige Statements von Mamlok-Biograph Habakuk Traber und Heinz Holliger: mit Aussagen über eine frische, unsentimental bodenständige Musik, die bei vielfältigen Einflüssen originell und in komplexer Konstruiertheit klangvoll bleibt, eine Musik, „die nie lügt, keine Uniform trägt und sich nicht anbiedert“. Diese Musik ist fast ständig präsent, wird – unter Verzicht auf Titel und sonstige Angaben – ein wenig zu sehr zum bloßen Soundtrack, von besonderer Qualität versteht sich.
Von Gefühlen der Heimatlosigkeit und des Alleinseins, dem Schock der Lebensbedrohung und den schweren Anfängen des Exils ist nur am Rande die Rede. Das lässt Mamlok selbst nicht zu, wie dies ihre Kompositionen auch nur ausnahmsweise thematisieren. Im Vordergrund steht stets der unbedingte Wille zum Musikmachen, unter allen Lebensumständen. Und wenn auch für den Mamlok-Unerfahrenen bei der rasanten Erzählweise des Films einige Fragen offenbleiben mögen, so macht er doch unbedingt Lust auf Vertiefung: etwa mit Trabers Mamlok-Biographie „Time in Flux“.