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Ehrungen, Wandlungen, letzte Worte

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Zum Tode von Ruth Zechlin · Von Dirk Hewig
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Am 4. August 2007 ist Frau Professor Ruth Zechlin, Ehrenmitglied des Passauer Tonkünstlerverbandes und dem Landesverband Bayerischer Tonkünstler in ihrem Wirken eng verbunden, verstorben. Der Landesverband hat der international anerkannten Komponistin, die auch als Organistin, Cembalistin und langjährige Hochschullehrerin hohes Ansehen genoss, einen eigenen Band in seiner Monographienreihe „Komponisten in Bayern“ gewidmet. Aus Anlass ihres 80. Geburtstages hat der Landesverband ein Festkonzert im Münchener Gasteig veranstaltet, bei dem die Komponistin am Cembalo ein Fragment von Johann Sebastian Bach und anschließend eine von ihr ergänzte Fassung spielte. Im Rahmen dieses Konzertes hielt der Vorsitzende des Landesverbandes, Dr. Dirk Hewig, die nachfolgende Laudatio (leicht gekürzt):

In diesem Jahr feiert die musikalische Welt den 250. Geburtstag von W.A.Mozart. Die Festakte am 27. Januar, dem Geburtstag Mozarts, die Mozartfeste an verschiedenen Orten, die Aufführung aller 22 Bühnenwerke Mozarts bei den Salzburger Festspielen und vieles andere, was uns von und über Mozart präsentiert wurde und wird, stehen uns lebhaft vor Augen. Dabei vergessen wir allzu leicht, dass Mozart zu seiner Zeit neue Musik schrieb, Musik, die oftmals die Hörgewohnheiten seiner Zuhörer überstieg und sie verstörte. Mozart kann deshalb – gerade auch in diesem Jahr – Anreger und eine Brücke zur neuen, zeitgenössischen Musik sein.

Neue Musik komponiert Frau Prof. Ruth Zechlin, die am 22. Juni dieses Jahres ihr 80. Lebensjahr vollendet hat. Frau Zechlin hat aus Anlass des Mozartgedenkjahres auch ein Stück „Dank an Wolfgang Amadeus Mozart“ komponiert, eine Auftragsarbeit der Festspiele Europäische Wochen Passau, die in diesem Jahr beim Festival in Passau uraufgeführt wurde. Aber nicht Mozart, dessen 250. Geburtstag mit dem runden Geburtstag von Ruth Zechlin zusammenfällt, sondern ein anderer Großer, der sie von Kindheit auf begleitet hat, stand im Mittelpunkt ihres Denkens und Schaffens: Johann Sebastian Bach. „Bach ist und bleibt mein Zentrum,“ bekennt Ruth Zechlin in einem Interview, „ich wuchs mit Bach auf.“ Und damit wären wir schon bei ihrer Vita.

1926 in Großhartmannsdorf bei Freiberg in Sachsen geboren, siedelte ihre Familie bereits 1928 nach Leipzig über. Ab dem 5. Lebensjahr erhielt sie Klavierunterricht, mit sieben schrieb sie ihre erste Komposition. Bei ihrer Klavierlehrerin spielte sie zusammen mit anderen Schülern auf mehreren Instrumenten Werke von Bach. Regelmäßig besuchte sie die Kantaten- und Motteten-Aufführungen in der Thomaskirche. Von 1943 bis 1949 – mit kurzer Unterbrechung am Kriegsende – studierte Ruth Zechlin an der Hochschule für Musik Leipzig neben Klavier Komposition bei Johann Nepumuk David und Wilhelm Weissmann und – zusammen mit Karl Richter – Orgel bei dem Thomaskantor Karl Straube und dessen Nachfolger Günter Ramin. Nach dem Abschlussexamen zunächst als Nachwuchsdozentin an der Leipziger Hochschule tätig, erhielt sie 1950 eine Dozentur für Tonsatz an der neu gegründeten Deutschen Hochschule für Musik Berlin. Es folgte 1969 eine Professur für Komposition an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. 1970 wurde Frau Zechlin in die Akademie der Künste der DDR gewählt, wo sie eine Meisterklasse für Komposition leitete. Gleichzeitig konzertierte sie als international gefragte Organistin und Cembalistin vorwiegend mit altenglischer Musik, Werken Johann Sebastian Bachs und eigenen Kompositionen. Nach ihrer Emeritierung im Jahr 1986 nahm sie Gastprofessuren wahr. Sie war von 1990 bis 1993 Vizepräsidentin der Akademie der Künste Berlin Ost, seit 1993 ist sie ordentliches Mitglied der vereinigten Akademien von Ost- und West.

Die Zahl der Ehrungen, die sie erhielt, ist kaum überschaubar: zahlreiche Kunst- und Musikpreise der ehemaligen DDR und aus dem Ausland, Ehrenmitgliedschaft des Deutschen Musikrats, Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, Bayerischer Maximiliansorden.

Frau Professor Zechlin war und ist – auch mit wachsendem Alter – stets bereit, zu neuen Ufern aufzubrechen. 1991 siedelte sie zu Ihrer Tochter nach Griesbach/Niederbayern und folgte ihr anschließend nach Pfaffenhofen/Oberbayern. 2002 nahm sie ihren Wohnsitz in Passau. Hier entwickelte sie in Verbindung mit den Europäischen Festspielen umfangreiche kompositorische Aktivitäten. So entstand als Auftragswerk der Festspiele „Tryptichon 2000“, das am 28. Juli 2000, an Bachs 250. Todestag, vom Polnischen Radio-Sinfonieorchester im Passauer Dom uraufgeführt wurde. Gleichzeitig wandte sie sich wieder verstärkt dem Cembalo und der Orgel zu. Am 8. November 1999 schrieb sie mir: „Wie Sie sehen können, bin ich zu meinem ,Ur‘-Instrument, der Orgel, zurückgekehrt und übe wieder fleißig.“ So gab sie im Rahmen der Europäischen Wochen im Passauer Dom Orgelkonzerte. Auf zahlreichen CDs, in Rundfunk- und Fernsehaufnahmen ist sie als Interpretin eigener und insbesondere der Werke Bachs zu hören.

Aber auch in Passau hielt es Ruth Zechlin nicht. Seit diesem Jahr lebt sie in München in einer Wohnung an der Grünwalder Strasse, in der sie in einer künstlerisch gestalteten Umgebung auf einer eigenen Orgel übt und sich an ihrem Schreibtisch vielen kompositorischen Aufgaben und Plänen widmet.

Ruth Zechlin zählt heute international zu den bedeutendsten und produktivsten Komponistinnen. Ihr Werkverzeichnis, das sie für die vom Landesverband Bayerischer Tonkünstler 2001 herausgegebene Monographie zusammengestellt hat, weist Orchesterwerke, Vokalwerke und Kammermusik, außerdem Opern und Ballette, Fernseh-, Film- und Hörspielmusik auf. Ihre Werke wurden und werden von bekannten Orchestern und Solisten aufgeführt und sind in Rundfunk- und Fernsehaufzeichnungen und auf zahlreichen CDs zu hören.

Wie in ihrem Leben, hat Ruth Zechlin auch in ihrem Werk manche Wandlung durchgemacht. Ihren Kompositionsstil charakterisiert sie selbst wie folgt: „Am Anfang schrieb ich „freitonal“, also mit den Formen der Tradition verbunden (etwa bis 1960). Dann konnte ich endlich für mich die Zwölftontechnik studieren, die mir durch die Bachsche Kontrapunktik sofort vertraut erschien. Dabei war es besonders wichtig für mich, keine „Stil-Kopien“ vorzunehmen, sondern vielmehr die „atonalen“ Möglichkeiten meinen eigenen kompositorischen Vorstellungen „einzufunk­tionieren“ (etwa bis 1970)... Die serielle Musik faszinierte mich, weil die „Ordnung“ in der Musik, die auch mein Zentrum darstellt, ab 1971 auf alle Parameter erweitert wurde. Und inzwischen handhabe ich alle diese Möglichkeiten so frei und souverän – wie es geht – unter Einbeziehung anderer Kompositionstechniken wie Aleatorik, Klangbänder, Cluster, Geräusche.“

In den 90er-Jahren, wohl angeregt durch ihren Übertritt zur katholischen Kirche und durch ihren Mentor und Freund, den damaligen Passauer Bischof und jetzigen Altbischof Dr. Franz Xaver Eder, wandte sie sich verstärkt der geistlichen Musik zu. 1996 entstand das Orgelstück „Sieben letzte Worte Jesu am Kreuz“, bei dessen Uraufführung in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Berlin Walter Jens selbst die Texte las. Jens äußerte sich dazu: „Belebt durch Ruth Zechlins Musik und die Interpretamente ihrer Graphiken hörte ich die ‚Sieben Worte‘ plötzlich so intensiv wie nie zuvor, stellte Fragen und fühlte mich bestätigt.“
In den Jahren 1995 bis 1998 entstanden verschiedene Werke unter dem Titel „Geistige Kreise“, die die Komponistin auf der Orgel teilweise selbst vorstellte. Eines ihrer letzten Werke, die anlässlich des 80. Geburtstages von Altbischof Eder komponierte „Missa in honorem Sancti Stephanie“, wurde im November 2005 in St. Peter in Passau unter lebhafter Zustimmung der musikinteressierten Öffentlichkeit und der Presse uraufgeführt. Die verstärkte Hinwendung zur geistlichen Musik bedeutete aber nicht, dass sich Frau Zechlin darauf beschränkte. So überraschte sie 2005 mit der Oper „Elissa“, die nach einem Libretto von Hellmut Matiasek vom Südostbayerischen Städtetheater in Passau uraufgeführt wurde.

Ich persönlich durfte Frau Professor Zechlin, vermittelt durch den seinerzeitigen Präsidenten der Münchener Musikhochschule, Prof. Diethard Hellmann, bereits in den 80er-Jahren in München kennen lernen. Schon damals hat mich ihre Wachheit, ihre umfassende Bildung, ihre Offenheit für neue geistige Strömungen, ihre zupackende und zugleich verständnisvolle Art beeindruckt. Ich durfte dann ihren Neuanfang in Bayern, in Griesbach, Pfaffenhofen, Passau und nunmehr München mitverfolgen. Unvergessen ist für mich eine Auftragskomposition des Münchener Kammerorchesters an Frau Zechlin für Schlagzeug und Streicher, die in den 90er-Jahren im Münchener Herkulessaal ihre Uraufführung erlebte. Zahlreiche Aufführungen von Werken Zechlins in Passau, Scheyern und München, aber auch ihr virtuoses Orgel- und Cembalospiel haben sich mir eingeprägt.

Erwähnt werden soll noch, dass sich Ruth Zechlin als langjährige Hochschullehrerin in ihrem Unterricht, in Workshops, Kursen, Vorträgen, Aufsätzen und Interviews mit großem persönlichen Engagement und Erfolg für die Akzeptanz zeitgenössischer Musik und die Förderung lebender Komponisten und junger Interpreten eingesetzt hat.

So war ich nach Übernahme des Vorsitzes im Landesverband Bayerischer Tonkünstler dankbar und erfreut, dass wir Frau Professor Zechlin zunächst als Ehrenmitglied für den Passauer Tonkünstlerverband und dann auch für eine Mitwirkung im Landesverband gewinnen konnten.

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