Zur Eröffnung gab es eine Beruhigungsspritze: Kultur sei und bleibe ein wesentlicher Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Auftrags, versicherte BR-Hörfunkdirektor Johannes Grotzky den Teilnehmern des Pressegesprächs zur Programmreform bei Bayern 4 Klassik und Bayern 2. Auch nach dem 1. Juli – dem Stichtag der Programmreform – werde der BR mit seinen Kulturprogrammen „gegen den Strom schwimmen“.
Ziel der Programmreform seien deswegen „keine stromlinienförmigen Formate“, es müsse aber darum gehen, Hörergewohnheiten stärker aufzunehmen. Ähnlich äußerte sich Axel Linnstädt, Leiter der Hauptabteilung Musik: Man werde bei Bayern 4 Klassik und Bayern 2 weiterhin Minderheiten bedienen. Diese Minderheiten dürften aber nicht zu klein werden.
Wie groß oder klein diese Minderheiten aktuell sind, darüber gibt die neueste „Funkanalyse Bayern“ Aufschluss, deren Zahlen Johannes Grotzky vorstellte: demnach hat Bayern 4 Klassik eine Hörerquote von 2,6 Prozent (0,7 Prozent mehr als gegenüber der letzten Erhebung; 1 Prozent entspricht etwa 30.000 Hörern). Bayern 2 kommt auf 3,9 Prozent (Steigerung um 0,6 Prozent). Trotz dieser kurzfristigen Hörergewinne sei über die letzten zehn Jahre jedoch ein kontinuierlicher Schwund der Bayern 4- und Bayern 2-Hörer zu beklagen, so Grotzky. Die kritische Marke sieht Klaus Kastan, der neue Wellenchef bei Bayern 2, bei zwei Prozent erreicht: Ein öffentlich-rechtlich finanziertes Radioprogramm, dessen Hörerquote unter zwei Prozent falle, laufe Gefahr, in Frage gestellt zu werden.
Sorgen macht den Verantwortlichen beim BR auch das Durchschnittsalter der kulturinteressierten BR-Hörer: Der durchschnittliche Bayern 2-Hörer sei 56 Jahre alt, so Kastan. Wesentliches Ziel der Programmreform beider Wellen ist es deswegen, viel stärker als bislang junge und jüngere Hörer anzusprechen.
Bayern 4 Klassik
Mit dem neuen Bayern 4 Klassik-Programm, das auch stärker als bislang als „Promotionfläche für die eigenen Klangkörper“ (Johannes Grotzky) dienen soll, will Wellenchef Jürgen Seeger eine „Antwort auf die Klassikkrise“ geben. Der Ansatzpunkt Seegers und seiner Redaktion ist ein doppelter: als neue Zielgruppe soll Bayern 4 Klassik mit neuen Sendungen zum einen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene erreichen. Eine weitere neue Zielgruppe sind Klassikeinsteiger und eine breitere Hörerschaft, die von Bayern 4 Klassik bislang nicht erreicht wurde.
Im neuen Programmschema ab 1. Juli hat sich das Angebot für Kinder und Jugendliche im sonntäglichen Vorabendprogramm niedergeschlagen: Das vom Kinderfunk produzierte „Do-Re-Mikro“ (17.05 bis 18.00 Uhr) soll junge und jüngste Hörer zum Zuhören und Mitmachen einladen. „19/4“ (Sonntag, 19.04 Uhr) richtet sich an Jugendliche und soll laut Info-Broschüre klassische Musik mit Lifestyle und Zeitgeist zusammenbringen und Überschneidungen zwischen Klassik und Pop ausloten.
Darüber hinaus wird Bayern 4 Klassik laut Jürgen Seeger die Zusammenarbeit mit Schulen und Musikschulen suchen. Ziel sei eine „Offensive für musikalische Erziehung“ und ein „Beteiligungsprogramm“. Zum Weltkindertag am 20. September werde es deswegen ein zwölfstündiges Spezialprogramm von, über und mit Kindern geben, das sich als „landesweite Aktion für gute Musik und bessere musische Erziehung“ versteht.
Bei den Klassikeinsteigern, die Bayern 4 Klassik ansprechen möchte, lauten die neuen Schlagwörter „Leichtigkeit“ und „Moderation“. Von Sendungen wie „Allegro“ (täglich von 6.00 bis 9.00 Uhr), die „heiter, munter, bewegt“ ausfallen sollen, erwartet sich Seeger eine „leichtere Anmutung“ des Bayern 4 Klassik-Programms.
„Bayern 4 Klassik“ soll sich stärker als bislang als „angenehme Begleitung durch den Tag“ (Pressetext) präsentieren und den „Elfenbeinturm verlassen“. Ziel sei ein Radioprogramm, das „klassisch unterhält“ und mit klassischer Musik das „Lebensgefühl seiner Hörer harmonisiert“ (Seeger). Daneben setzt Seeger auf mehr Moderations- und Wortanteile als bislang: Bayern 4 Klassik wolle weg vom bloßen Abspielen der Musik. Klassikeinsteiger sollen mit kurzen Selbstaussagen der Komponisten und Sendungen wie „Starke Stücke – Meisterwerke der Musik“ (Samstag, circa 16.45 Uhr) gewonnen werden, bei denen ausgewählte Kompositionen populär erklärt und anschließend in voller Länge abgespielt werden.
Journalisten, denen das alles ein wenig zu sehr nach „Klassikradio“, Vanessa Mae oder Nigel Kennedy klang, versicherte Seeger, dass das „Klassikradio“ kein Vorbild für Bayern 4 Klassik darstelle: Es werde keine „Häppchenkultur“ geben. Im Gegensatz zu Bayern 4 Klassik entwickle sich „Klassikradio“ zu einem Vollprogramm mit einem klassisch ummantelten Musikteppich, das Bundesliga- und Börsenberichterstattung biete. Bayern 4 Klassik werde diesen Weg nicht gehen und auch weiterhin seine Stammhörer bedienen.
Dem Jazz, der mittlerweile bis auf Sendungen wie „Jazzpresso“ (Bayern 2, Samstag, 13.05 bis 13.30 Uhr) und die „radioJazznacht“ (Bayern 2, Samstag, 0.05 bis 2.00 Uhr) fast vollständig bei Bayern 4 Klassik zu Hause ist, werden ab 1. Juli zwei neue Sendeplätze eingeräumt: Neben der althergebrachten „Jazztime“ (Werktags, 23.05 Uhr) ist das „Pour le Piano“ (15.05 Uhr) jeden Freitag dem Jazz gewidmet. Eine weitere halbe Stunde Jazz gibt es außerdem jeden Samstag ab 21.30 Uhr.
Während es bei Bayern 4 Klassik mehr Moderationsanteile als bislang geben wird, setzt Bayern 2-Wellenchef Klaus Kastan auf mehr Musik. Die drei tagesaktuellen Magazine „radioWelt“ sollen mit bis zu 20 Prozent Musik aufgelockert werden – Musik, die nichts mit den Formaten Bayern 3 oder Bayern 1 zu tun haben werde, wie Kastan versicherte. Mit der Ausweitung des „Heimatspiegels“ (6.06 – 7.00 Uhr) auch auf das Wochenende erhöht sich jedoch der Anteil von „Volks- und heimatnaher Musik“ auf Bayern 2. Das Abendprogramm auf Bayern 2 soll weiterhin der Kultur vorbehalten bleiben. Das populäre Szenemagazin „Zündfunk“ wechselt vom Nachmittag auf den frühen Abend (19.00 bis 20.30 Uhr). Und wer sich für Weltmusik interessiert kann auf Bayern 2 den „Weltempfänger“ (Montag bis Freitag, 14.30 bis 14.45 Uhr) einschalten.
Nach den Zielen der Reform gefragt, wollte sich Grotzky nur auf ein Minimalziel festlegen: Ziel sei es, die Hörerzahlen zu halten. Für den nicht erwarteten Fall sinkender Quoten für Bayern 4 Klassik gab Grotzky so etwas wie eine Bestandsgarantie für die Klassik im Hörfunkprogramm des Bayerischen Rundfunks ab: Der BR werde als Sitz von Deutschlands erster Klassikwelle nicht auf klassische Musik verzichten. Solange das UKW noch nicht voll durch das digitale Radio ersetzt sei, werde der BR die klassiche Musik auch nicht auf das digitale Radio abschieben, sondern ein Klassik-Programm sowohl für UKW- wie DAB-Hörer anbieten.
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