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Erfolgsstory im Paragrafendschungel

Untertitel
Fünfundsiebzig Jahre „Dreigroschengesellschaft“ &#183
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Am 26. April 1928 sind zwei junge Männer, klein, aber sie sollten groß werden, auf dem Weg zu einer geschäftlichen Verabredung in einem Büro am Nickolsburger Platz in Berlin-Wilmersdorf. Kurz bevor sie das Gebäude betreten, könnte folgender Dialog zu hören gewesen sein, da die Lautstärke ihrer vorherigen Unterhaltung deutlich überschritten wurde. „Der Aufricht will doch Ihre Musik gar nicht, der will doch eher Mackeben oder die alte Musik. Mehr als 25 Prozent sind nicht drin.“ – „Das darf doch wohl nicht wahr sein, wir reden über eine Oper, meine Musik wird neu, sie wird gut, mindestens 50 Prozent.“ – „Also überlegen Sie es sich, entweder 25 Prozent oder nichts. Dann können Sie gleich umkehren.“

Wir wissen wie sich der jüngere der beiden entschieden hat. Beide betreten das Büro des Theaterverlages Felix-Bloch-Erben (FBE), wo sie von dessen Inhaber Fritz Wreede empfangen werden. Ein Formularvertrag ist bereits vorbereitet, aber Wreede weiß, so ganz einfach liegt die Chose hier nicht. Die zwei vor ihm haben nämlich noch wenig zu bieten: Der eine behauptet er wolle die Beggar´s Opera neu einrichten, der andere er wolle dazu neue Musik schreiben. Und: Ernst Josef Aufricht will das Stück in seinem Theater am Schiffbauerdamm aufführen. Das allerdings trifft zu und Aufricht hatte die Herren Weill und Brecht aufgefordert, sich an Wreede zu wenden. Auch andere Personen hätten Grund gehabt, den Termin wahrzunehmen: Elisabeth Hauptmann hielt sich „vornehm“ zurück, obwohl sie doch bislang fast ausschließlich an der deutschen Übersetzung und Bearbeitung von John Gay aus dem Jahre 1728 gesessen hatte, aber sie wollte es natürlich nicht mit Brecht verderben. Ein großer Musikverlag hätte dringend dabei sein müssen. Denn seit 1924 war Kurt Weill an die Universal Edition A.G. in Wien vertraglich exklusiv gebunden. Doch sie wollte (noch) nicht in die Verantwortung, denn noch konnte niemand vorhersagen, ob und was aus dem Projekt würde. Also schickte man Kurt Weill vor, der ermächtigt war, auch für die Universal Edition mit zu verhandeln.

Aus Mangel an Erfahrung

Den beiden noch recht unerfahrenen Autoren wird es nicht aufgefallen sein, auf welch merkwürdige Konstruktion sie sich da einließen: einen Gesellschaftsvertrag, mit dem „die Herren Bert Brecht und Kurt Weill und die Firma FBE (sich) zur gemeinsamen Verwertung des geistigen Eigentums an dem von den Herren Bert Brecht und Kurt Weill bearbeiteten beziehungsweise vertonten Werk ‚The Beggar’s Opera’ vereinigen“. Die Gesellschafter Brecht und Weill versicherten, ihnen stünden ausschließlich alle Rechte zu. FBE wurde zum geschäftsführenden Gesellschafter bestellt, die Firma sollte während der Dauer des Vertrages allein und ausschließlich zur Ausübung der in die Gesellschaft eingebrachten Rechte ohne jede Einschränkung befugt sein. Die Laufzeit des Vertrages wurde „auf die Dauer des gesetzlichen Schutzrechtes“ festgesetzt. Die Autoren waren nicht befugt, bei der Geltendmachung der sich aus dem Gesellschaftsvertrag für die Firma FBE ergebenden Rechte „zu intervenieren“. „Die Bühnen-Tantiemen des Werkes werden zwischen Herrn Bert Brecht, Herrn Kurt Weill und Frau Elisabeth Hauptmann, die an dem Buch mitarbeitet, wie folgt verteilt: Herr Bert Brecht erhält 62,5 Prozent, Herr Kurt Weill erhält 25 Prozent, Frau Elisabeth Hauptmann erhält 12,5 Prozent“, hieß es in der ökonomisch wichtigsten Passage. Damals war es nicht ganz unüblich, mit unerfahrenen Künstlern Gesellschaftsverträge zur Werkverwertung abzuschließen, denn diese, so die Vorstellung der Bühnenverlage, befähigten sie, die Autoren von der Verwertung und allen, sich damit stellenden Fragen auszuschalten.

Neben den bisherigen Autoren traten nun weitere auf den Plan: Brecht nahm Balladen von Villon und Kipling, letztere von Elisabeth Hauptmann übersetzt, hinein. Niemand machte sich Gedanken darüber, wer die Villon-Balladen übersetzt habe. An den Proben nahmen illustre Gäste teil. Es war zum Beispiel Karl Krauss, der das Eifersuchtsduett um eine weitere Strophe bereicherte, weil er der Meinung war, das Publikum werde mit Sicherheit mehr verlangen. Brecht nahm dieses Autorengeschenk gerne an. Kurz vor der Uraufführung am 31. August 1928 war ein endgültiger Titel noch nicht gefunden. Lion Feuchtwanger schlug den Titel „Dreigroschenoper“ vor, auf sein Urheberrecht verzichtete er. Bei einem der Erfolgsstücke, der „Seeräuber-Jenny“, besteht Anlass nachzufragen, ob nicht ein weiterer Autor beteiligt war. Brecht hatte sein Gedicht schon im Jahr zuvor mit seinem damaligen „Hauskomponisten“, dem damals 24-jährigen Franz S. Bruinier, der in der Berliner Funkstunde den Pianisten der Frühgymnastik gab, wie übrigens auch Theo Mackeben, vertont. Im Jahr 2003 ist eine Aufnahme dieser Komposition mit Carola Neher aus dem Jahre 1927 an das Licht der Öffentlichkeit gelangt. Ausgegraben wurde sie von Peter Eckhart, der gerade bei dem Berliner Label Duo-phon die höchst kurzweilige „Entstehungsgeschichte der Dreigroschenoper“ als Hörbuch herausgebracht hat. Auch der oberflächliche Hörer wird dabei bemerken, dass Kurt Weill die Vorlage nicht nur platt aufgegriffen, sondern geradezu genial ins Unsterbliche gedreht hat. Unverkennbar ist jedoch der Grundduktus insbesondere des Refrains, der das Weill’sche Lied prägt, auch die Brecht/Bruinier’sche „Seeräuber-Jenny“. Urheberrechtlich hat das damals sicher niemand gekümmert, weil Franz Bruinier exakt einen Monat vor der Uraufführung der Dreigroschenoper starb. Seine Erben hätten allerdings darauf verweisen können, dass es sich hier keineswegs um eine freie Bearbeitung im Sinne des § 24 UrhG handelte, denn nach Absatz 2 dieser Vorschrift ist es urheberechtlich untersagt, dass „eine Melodie erkennbar dem Werk entnommen und einem neuen Werk zugrunde gelegt wird“. Eine mögliche Bearbeitung oder Umgestaltung nach § 23 UrhG ist möglich, eine solche stellt urheberrechtlich eine eigenständige schöpferische Leistung dar, bedarf allerdings der Einwilligung des ursprünglichen Urhebers. Doch da jetzt die gesetzliche Schutzfrist von 70 Jahren „post mortem auctoris“ abgelaufen ist, ist die Frage müßig, ob noch jemand sich hätte einen Groschen verdienen können. Als das Stück dann zur triumphalen Aufführung kam, war für das Publikum offensichtlich, dass es sich hier nicht um eine absolute Neuschöpfung handelte. Zu diesem Zeitpunkt unbekannt war jedoch, dass die Texte von Francois Villon keineswegs Bearbeitungen durch Brecht waren, sondern im wesentlichen Übernahmen der Übersetzungen des k.u.k.-Kavallerie-Offiziers Klaus Klammer, die dieser 1907 unter dem Pseudonym K. L. Ammer veröffentlich hatte. Alfred Kerr enthüllte, dass Brecht abgekupfert hatte. Dies führte zu dem geflügelten Wort Brechts, dass er eine grundsätzliche Laxheit in Fragen geistigen Eigentums habe. Nach Bekanntwerden des „Skandals“ nahm Wreede mit Klammer Verhandlungen auf, der die Offerte akzeptierte, aus den Bühnenaufführungen des Werkes in deutscher Sprache einen Anteil von 2,5 Prozent zu beziehen. Diese und die Tantiemen aus den daraufhin neu veröffentlichten Villon-Übersetzungen ermöglichten es Klammer, einem „Rechtsaußen“ der österreichischen Literatur, der Brecht als „Mords-Bolschewist“ bezeichnete, einen Weinberg zu erwerben, auf dem er einen „Dreigroschentropfen“ kultivierte. Die 2,5 Prozent wurden dem Brecht’schen Anteil abgezogen.

Mangelnde Professionalität

Hatten die beiden Protagonisten schon zu Beginn und während der Nazi-Zeit versucht, sich aus den vertraglichen Beziehungen zu FBE zu lösen, weil Aufführungen im deutschsprachigen Raum so gut wie unmöglich wurden und auch im Ausland kaum noch „Nachfrage“ bestand, wurden diese Bemühungen nach Kriegsende deutlich verstärkt. Allerdings fällt auch auf, dass sowohl Brecht als auch Weill mehr als unprofessionell, völlig amateurhaft, vorgingen und es nicht schafften, sich kompetente Rechtsberatung zu sichern. Dabei war die Ausgangslage wie folgt: Unabhängig davon, dass Brecht und Weill Deutschland verlassen hatten, unabhängig davon, dass Weill die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte und Brecht ausgebürgert worden war, unterfielen alle rechtlichen, auch urheberrechtlichen Zusammenhänge weiterhin deutschem Recht (§ 120 UrhG). Die entscheidende Frage war also: Bestand eine Möglichkeit, den Gesellschaftsvertrag mit FBE zu kündigen. § 723, Abs. 1 BGB sieht vor, die Gesellschaft jederzeit durch Kündigung zu beenden, wenn sie nicht für eine bestimmte Zeitdauer eingegangen ist. Außerdem ist eine Kündigung aus wichtigem Grunde bei wesentlicher Vertragsverletzung und bei Unmöglichkeit einer Verpflichtungserfüllung vorgesehen. Nach § 723, Abs. 3 BGB ist eine Vereinbarung, durch welche das Kündigungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird, nichtig. § 724 BGB legt fest, dass bei einem auf die Lebenszeit eines Gesellschafters abgeschlossenen Vertrag eine Kündigung wie im Falle einer für unbestimmte Zeit eingegangenen Gesellschaft möglich ist. Wie oben dargestellt, war die Gesellschaft für die Dauer der Schutzfristen abgeschlossen, das heißt, nach altem Recht 30 Jahre, nach neuem Recht 70 Jahre nach dem Tode des Urhebers (§ 64 UrhG). Alle Beteiligten gingen offenbar davon aus, dass diese Regelung wirksam sei. Diese Auffassung war aber rechtsfehlerhaft, sie ist es auch weiterhin, denn der Sinn des § 724 BGB greift immer ein, wenn die Lebenszeit eines Gesellschafters als Fest- oder Mindestdauer der Gesellschaft vereinbart ist1. Da die Schutzfrist erst weit nach dem Tode eines Urhebers ausläuft, war somit auf jeden Fall die Mindestlaufzeit die gesamte Lebensdauer eines der Urheber. Da die Lebenszeit eines Urhebers nicht das Ende des Gesellschaftsvertrages darstellen sollte, sondern sich daran noch eine weitere Frist knüpfen sollte, die man als „rechtliche Lebenszeit“ bezeichnen könnte, kann kein Zweifel daran bestehen, dass zusätzlich auch noch eine, nach den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen unzulässige, „überlange Gesellschaftsdauer“ vereinbart war. Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur angenommen, dass § 723 BGB und die daraus folgende jederzeitige Kündigungsmöglichkeit einer Gesellschaft nur dann anzunehmen ist, wenn sich kein abweichender Parteiwille ergibt. Weder aus dem Wortlaut des Gesellschaftsvertrages, noch aus den Umständen, noch aus den jeweiligen Interessen, ergibt sich ein Wille der Parteien des Gesellschaftsvertrages dafür, eine jederzeitige Kündigungsmöglichkeit nach § 723 BGB auszuschließen. Es ist auch nicht das Wesen eines Bühnenvertriebsvertrages, auf Dauer und unkündbar abgeschlossen zu sein. Es wäre möglich gewesen, sich über die Dauer der Kündigungsfrist zu unterhalten, eine Kündigung zur Unzeit (§ 723, Abs. 2, Satz 2 BGB) wäre sicherlich ausgeschlossen gewesen.

Lage verkannt

Mit anderen Worten, in völliger Verkennung der Rechtslage, entweder nicht oder falsch beraten, gingen Brecht und Weill davon aus, sie seien während der Nazi-Herrschaft und danach weiterhin „Gefangene“ des Vertrages mit FBE. Eine einzige, kurze Willenserklärung nur eines Gesellschafters hätte das Gesellschaftsverhältnis insgesamt beendet. Es war dem Verfasser nicht möglich, zu ermitteln, warum sich die Protagonisten in einem solch massiven Rechtsirrtum befunden haben. Die anwaltliche Korrespondenz schleppte sich hin, Brecht wurde zusehends unzufriedener, er wollte endlich von FBE loskommen. Er hatte nämlich schon am 7. Februar 1949 mit Peter Suhrkamp einen Vertrag abgeschlossen, wonach er sämtliche Rechte an den Suhrkamp-Verlag vergab. Brecht stand also unter erheblichem Druck, er musste, um vertragstreu zu sein, die Dreigroschenoper von FBE loseisen. Brecht deutete Weill gegenüber lediglich an, dass bei einer Auflösung des Vertrages mit FBE der Suhrkamp-Verlag bereit stehe. Ende Juni muss es erneut in Wilmersdorf zu einer erregten Szene gekommen sein, als Brecht und Ruth Berlau die Witwe Wreedes im Büro von FBE aufsuchten und „aufräumkommen sein, als Brecht und Ruth Berlau die Witwe Wreedes im Büro von FBE aufsuchten und „aufräum-ten“. Zwar hatte FBE schon Ende 1948 Brecht angeboten, man wolle den Bühnenvertrieb der Dreigroschenoper weiterführen, verzichte auf eigene Ansprüche, wolle also den Vertrag auf eine neue Basis stellen. Da Brecht jedoch an Suhrkamp gebunden war, kam das jetzt für ihn nicht mehr in Betracht. Brecht behauptete in aggressiver und verletzender Weise, bei FBE habe es sich um einen Nazi-Verlag gehandelt, Nazi-Schergen hätten ihm seine Tantieme vorenthalten, Prokurist Spitzner sei ein Nazi, dass er immer noch im Verlag sei, sei ein Skandal. Frau Wreede, die möglicherweise zwischenzeitlich auch rechtlich sachkundig darüber war, dass der Vertrag so und so jederzeit gekündigt werden konnte, was Brecht immer noch nicht wusste, wollte sich so ein Verhalten nicht bieten lassen und empfand es als absolute Unverschämtheit, wie sie von Brecht und Berlau behandelt wurde. Sie warf Brecht den Vertrag buchstäblich vor die Füße und rief: „Da ist die Tür, junger Mann!“ Brecht meinte, eine grandiose taktische Meisterleistung begangen zu haben und jubelte: „Ich habe jetzt endlich das Vertragsverhältnis bezüglich der Dreigroschenoper mit FBE gelöst. Es ist dort immer noch dieser Herr Spitzner in Prokura, der den Vertrag unter Wreede mit uns abschloss, dann den Nazis die Tantiemen in Skandinavien einzog und so weiter. Ich bin also froh, dass ich das Pack los bin“. Mit keinem Wort erwähnt er, welcher Methoden er sich bedient hat, mit keinem Wort erwähnt er, daß es sich hier um eine abstruse Intrige gegen FBE gehandelt hat, die aber, wie dargestellt, gar nicht erforderlich gewesen wäre. Tatsächlich waren sämtliche Behauptungen Brechts barer Unsinn: Weder war der Prokurist Spitzner ein Nazi, noch waren aus politischen Gründen Tantiemen der 3GO einbehalten worden, sondern schlicht deshalb, weil Brecht nicht vertragstreu war. Auch die Behauptung, FBE hätte mit den Nazis kollaboriert, ist abenteuerlich. Da Brecht im Krankenhaus lag, musste sich Berlau um die weitere Abwicklung kümmern. Am 11. Juli 1949 suchte sie FBE auf und erhielt die formelle Erklärung, „dass wir den Vertriebsvertrag über die Dreigroschenoper vom 26. April 1928 mit dem heutigen Tage als gelöst ansehen. Damit bestehen keinerlei Rechte und Ansprüche mehr aus diesen Verträgen. Hinsichtlich des Herrn Kurt Weill… hatte Ruth Berlau in der Unterredung erklärt, daß Herr Kurt Weill mit der Lösung des Vertrages einverstanden ist“. Die „Drei-groschenopergesellschaft“ war beendet, aber nicht der Streit zwischen den Erben, doch das ist eine neue Story.

1 so Ulmer in Münchner Kommentar zum BGB, 2. Aufl., Anm. 5 zu § 724; Keßler in Staudinger, BGB, 12. Aufl., Anm. 2 zu § 724; von Gamm, RGRK-BGB, Anm. 13 zu § 723; Gummert in Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 1, Seite 304.

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