Die Schöpfungen von Künstlern, seien es Komponisten, Schriftsteller, Bildhauer oder andere, sind zunächst künstlerische Werke mit hohem immateriellen, das heißt „geistigen“ Wert. Dennoch sind sie auch hergestellte Produkte im wirtschaftlichen Sinn, das heißt, sie haben einen materiellen Wert. Der Künstler, der sein Werk verkauft, speziell der Musiker, dessen Komposition aufgeführt wird, erwartet zu Recht eine Vergütung. Welchen Wert kann man nun solchen Produkten zumessen, was ist der Veranstalter, was ist der Nutzer bereit zu zahlen? Und was ist das geistige (künstlerische) Eigentum unserer Gesellschaft wert?
Theo Geißler: Michael Karbaum, wenn man so zurückblickt auf 100 Jahre Schutz des geistigen Eigentums, was waren die wichtigsten Stationen?
Michael Karbaum: 100 Jahre GEMA ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte der Komponisten und der mit ihnen gemeinsam musikalische Werke schaffenden Textautoren, unterstützt von den Verlegern. Diese „Dreifaltigkeit“ – Komponisten, Textautoren, Musikverleger – kennzeichnet die Struktur der GEMA. Alle Willensentscheidungen werden von diesen drei disparaten Berufsgruppen gemeinsam getroffen. Vor 100 Jahren war es ein kleines Häuflein Komponisten. An ihrer Spitze stand der damals auch schon berühmte Richard Strauss, aber ihm zur Seite standen Komponisten wie Friedrich Rösch und Hans Sommer, um zwei der wesentlichen Protagonisten zu nennen.
Theo Geißler: In welcher Weise befasst sich das Max-Planck-Institut mit geistigem Eigentum?
Adolf Dietz: Das Max-Planck-Institut in München befasst sich mit der Erforschung des Auslandsrechts auf dem Gebiet des geistigen Eigentums, sprich auch des Urheberrechts. Und dass das Auslandsrecht und das internationale Recht hier so wichtig ist, ist eine unmittelbare Folge der internationalen Dimension der Werkverwertung. In Europa versucht man durch so genannte Harmonisierungsgesetzgebung wenigstens ein gewisses Maß an Einheitlichkeit der nach wie vor nationalen Urheberrechtsregelungen herbeizuführen. Das ist mit einem doch erstaunlich hohen Maß gelungen. Der deutsche Bundestag ringt gerade mit der Umsetzung der letzten und wohl auch der bedeutendsten der Harmonisierungsrichtlinien, der Richtlinie über das Urheberrecht und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft.
Geißler: Olaf Zimmermann, der deutsche Kulturrat umfasst aber auch andere Urheberrechtsverwertungsgesellschaften. Sind das Kopien des Erfolgsmodells GEMA?
Olaf Zimmermann: Es sind eigentlich schon Kopien – oder zumindest hat man gelernt vom Erfolgsmodell GEMA. Da gibt es die VG Wort für den Wortbereich, da gibt es die VG Bildkunst für die bildenden Künstler, da gibt es die GVL, die Leistungsschutzrechte für die darstellenden Künstler verwertet – also das ist schon flächendeckend geregelt, aber es ist schon so, dass die GEMA eindeutig die Größte dieser Verwertungsgesellschaften ist.
Geißler: Herr Karbaum, was ist Kreativität wert? Wie kann man sie messen?
: Wenn man genauer hinsieht, dann ist es immer noch ein großes Wagnis in diesem Land, kreativ zu sein. Die Öffentlichkeit sieht und begreift die Erfolge von Popstars und gefeierten Künstlern. Die verstellen allerdings leider den Blick auf die Wirklichkeit: Hinter den Stars, in der zweiten, dritten und bis zur letzten Reihe sitzen andere Urheber, die etwa im Bereich der so genannten Ernsten Musik hinnehmen müssen, dass die durchschnittliche Aufführungshäufigkeit Werk eins ist. Das ist schon etwas, was den Autor heute freut und dafür erhält er dann vielleicht 25 Euro von der GEMA.Wenn er dann das Glück hätte, ein Orchesterwerk aufzuführen, erhält er dafür eine Vergütung von 200 Euro. Fachleute unter Ihnen wissen, wie gering die Chancen sind, zeitgenössische Orchesterwerke aufzuführen. Da liegt die durchschnittliche Aufführungshäufigkeit unter eins, etwa im Bereich von 0,3 bis 0,5, das heißt vielleicht alle drei Jahre einmal. Auch davon kann er nicht leben – und trotzdem setzt er seinen Weg fort. Sein Ziel ist es natürlich, dass Aufführungen häufig stattfinden – im Inland, im Ausland – vor allem aber auch, dass die Medien ihn hierbei unterstützen.
Wenn Sie sich ein deutsches Rundfunkprogramm anschauen, dann begegnen Ihnen in der Tat darin zu fast 80 Prozent musikalische Ereignisse nicht inländischer Herkunft. Das ist eine Beobachtung, die die Urheber sehr schmerzt und die sie veranlasst ihre Organisationen zu mobilisieren, mit den Rundfunkverantwortlichen darüber zu sprechen.
Geißler: Olaf Zimmermann, was tut der deutsche Kulturrat dafür, dass es seinen Kreativen gut geht?
: Es gibt die kleine Spitze des Eisberges der Künstlerinnen und Künstler, die von ihren Schöpfungen sehr gut leben können. Aber es gibt auch die große Menge an Künstlerinnen und Künstlern, für die das eben nicht zutrifft. Nach den Zahlen der Künstlersozialkasse verdienen Künstler im Durchschnitt ungefähr 11.000 Euro im Jahr.
Deswegen ist es notwendig, dass wir uns darüber Gedanken machen. Etwa über die Frage der angemessenen Vergütung, die jetzt im Urhebervertragsrecht geregelt ist. Der zweite Punkt, der im Moment diskutiert wird, ist tatsächlich eine Quotierung. Gerade im Bereich der Musik scheint es mir sehr sinnvoll zu sein darüber nachzudenken, wie man erreicht, dass zumindest im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mehr deutsche Titel gespielt werden als das heute der Fall ist.
Wenn in einem durchaus denkbaren Fall – ich denke hier an die Dritte Welt, wir müssen ja nicht nur über Deutschland reden – ein Entwicklungsland zum Beispiel über 90 Prozent der genutzten Werke aus dem Ausland bezieht, bedeutet das bei einem funktionierenden System der Verwertungsgesellschaften, dass 90 Prozent der Einnahmen ins Ausland abfließen müssten und das steht meiner Meinung nach in einem Widerspruch zu dem Grundanliegen des Urheberrechts, nämlich die rechtlichen Voraussetzungen für Kreativitätsförderung im eigenen Land zu schaffen.
Geißler: Sind das nicht eigentlich Antagonisten – Kreativität und Quotierung?
: Kann ich überhaupt nicht erkennen. Man muss den Mut haben zu sagen: ,Wir wollen von den in Deutschland lebenden Komponisten und Künstlern auch Werke in den Rundfunkanstalten ausstrahlen, zumindest im Bereich der öffentlich-rechtlichen Anstalten, denn die bezahlen wir ja alle gemeinsam mit unseren Rundfunkgebühren.‘
Geißler: Michael Karbaum, die GEMA ist da sicherlich auch klar „pro“.
: Die ist klar „pro“. Die Verwertungsgesellschaft GEMA macht keine Musik, sie programmiert auch nicht – das machen Rundfunkanstalten, das machen Konzertveranstalter. Das machen Private und Unternehmer. Insofern ist eine Verwertungsgesellschaft lediglich eine Art Reflektor dessen, was in einem Land passiert. Es ist hier im Lande einfach festzustellen, dass es eine große Ignoranz gegenüber Musik aus dem Inland gibt.Geißler: Wir sitzen hier zusammen, weil wir uns Gedanken darüber machen wollen, wie man den Status des Kreativen in unserer Gesellschaft stärken kann. Der deutsche Kulturrat hat sich da eine Kampagne überlegt – dürfen wir über die etwas erfahren, Olaf Zimmermann?
: Künstlerinnen und Künstler sollen für das entlohnt werden, was sie tun. Sie sollen nicht eine grundsätzliche Alimentierung erhalten. Das wäre der falsche Weg. Es soll immer darum gehen, dass wenn jemand eine Leistung erbringt, er auch die Chance haben muss, für diese Leistung vernünftig entlohnt zu werden. Das ist auch der direkte Übergang zu unserer Kampagne, die wir jetzt versuchen zu starten. Eine Kampagne, die sich mit dem Wert der Kreativität auseinandersetzt. Das heißt mit der Frage: Wie sehen wir eigentlich die Kreativität? Haben wir das Gefühl, dass Kreativität einen wirklichen, auch einen materiellen Wert darstellt?
Sie wissen alle: wir haben die große Debatte um das illegale Kopieren im CD-Bereich. Wir wollen doch nicht wirklich ernsthaft in der Zukunft an die Schulhöfe Polizisten stellen, die dann aufpassen, ob da irgendwelche CDs hin und hergehandelt werden, sondern es ist eine Frage der Werte. Dieselben Kinder und Jugendlichen gehen natürlich nicht in den Supermarkt und holen sich dort ihre Schokolade oder anderes heraus. Denn sie wissen: das ist verboten, das macht man nicht, das muss ich bezahlen. Aber wenn ich einen Musiktitel habe, gibt es so etwas wie eine gesellschaftliche Übereinkunft: Das ist schon nicht schlimm, wenn ich den kopiere.
Und da versuchen wir anzusetzen und ein Bewusstsein für den Wert, den die Kreativität hat, zu schaffen. Das machen wir nicht alleine, da ist die GEMA dabei, da ist die phonografische Wirtschaft dabei, da sind die Musikverleger dabei – das wird eine ganz interessante und spannende Struktur werden, bei der wir wirklich versuchen, nicht mit dem erhobenen Zeigefinger herumzulaufen und nicht zu drohen.
Wir wollen überzeugen, dass es sich hier um einen Wert handelt und dass der Künstler das Recht hat, hierfür eine Gegenleistung zu erhalten, wenn sie denn in irgendeiner Form gehandelt wird.
Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens, dass das Herunterladen vielleicht schon Kreativität sei. Nein, Kreativität hat natürlich ganz woan-ders angefangen und ihr wird der Boden entzogen, wenn man die Begriffe von den Füßen auf den Kopf stellt.