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Sportliche Virtuosität, dynamische Show: „Soleo“ aus Frankreich beim Big Bang Festival. Foto: Anna Schäflein
Sportliche Virtuosität, dynamische Show: „Soleo“ aus Frankreich beim Big Bang Festival. Foto: Anna Schäflein
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Große Kunst, nicht nur für kleine Leute

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Beim Hamburger Big Bang Festival gibt es ebenso viel zu hören wie zu sehen wie zu staunen
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Als international agierendes Netzwerk und zusammenarbeitende Künstlervereinigung sind die Akteure von Big Bang in Deutschland bislang noch nicht sehr bekannt. Zum zweiten Mal war das Netzwerk, in dem große europäische Kulturzentren, Konzert- und Opernhäuser aus Lissabon, Athen, Stavanger, Lille, Brüssel, Antwerpen und Gent zusammengeschlossen sind, auf Einladung des Vereins KinderKinder e.V. in Hamburg vertreten. Anfang April fand auf Kampnagel ein Big Bang Festival für Kinder, Familien und Schulklassen statt, das Balsam für alle war, die in den vergangenen Jahren eine qualitative Weiterentwicklung von Musikvermittlungsprojekten im Kontext kultureller Bildung vermisst haben.

Hauptakteure waren die internationalen Künstlerinnen und Künstler von Kammermusikensembles, Duos und Solisten gepaart mit regionalen Ensembles. Sie alle haben es sich auf ihre jeweils individuelle Art zur Aufgabe gemacht, ihre Musik für Menschen allen Alters zu einem Abenteuer werden zu lassen. Ihr oberstes Ziel ist es, die Vielfalt, welche in ihrer oftmals improvisierten Musik zu finden ist, mit einem jungen Publikum zu teilen und Besonderheiten darin gemeinsam aufzuspüren. Dass die einzelnen Veranstaltungen genaue Altersangaben in Hinsicht auf ein Mindestalter aufweisen, ist lobenswert. Nach oben sind den Konzerten weder Altersgrenzen gesetzt noch würden sie spürbar. Alle Erwachsenen, die den Weg als Begleitpersonen oder allein in die Kulturfabrik Kamp­nagel gefunden haben, werden dies bestätigen.

International und regional

Obwohl das Konzept von Big Bang aufgrund seiner überwiegend nichtsprachlichen Programmgestaltung vollständig international ausgelegt ist, ist die Integration nationaler und regionaler Künstlerinnen und Künstler explizit gewünscht. In Hamburg war dies insbesondere durch namhafte Ensembles der Region wie das Ensemble Resonanz, die NDR-Bigband, das bizarr und virtuos auf und mit Fahrrädern agierende Frantic-Percussion Ensemble sowie das Decoder Ensemble aus dem Hamburger Umland gegeben, darüber hinaus waren über 100 Schülerinnen und Schüler verschiedenster Orchester und Tanzgruppen musizierend aktiv. Des Weiteren ermöglichten Klangskulpturen des MobilenMusikMuseums sowie Stationen zum Ausprobieren von Instrumenten des Klingenden Museums Hamburg, dass alle Besucherinnen und Besucher auch selbst nach Lust und Laune musikalisch experimentieren konnten. Wie es gelingt, dass sich das Publikum und die Akteure gleichermaßen als Abenteurer für die Musik erleben können und die Musik selbst, wie zuvor angekündigt, „abenteuerlich daherkommt“, lässt sich allgemein durch den extrem hohen künstlerischen Anspruch in der interdisziplinären Anlage von Musik, Malerei, digitaler Videokunst, szenischem Agieren und damit korres­pondierender Auslotung der jeweiligen Räume erklären. In jedem Einzelfall sind besondere Momente und Indikatoren einer hohen ästhetischen Kommunikation identifizierbar, die im Folgenden nur exemplarisch angedeutet werden können.

„Caban“ von dem belgischen Ensemble „De Spiegel“ wendet sich an Menschen ab dem zarten Alter von 0,5 Jahren. Bereits beim Betreten des intim gestalteten Raumes wird jeder Mensch zum Protagonisten eines einmaligen Musikspielplatzes, auf dem alle ihrem Alter und Interesse gemäß spielen, träumen, Klänge entdecken und aktiv mitmusizieren können. Die Kulissen werden gleichzeitig und nacheinander zu Bühnen im großen Ganzen, alle Musiker spielen mehrere Instrumente, nie passiert nichts und dennoch lebt die Veranstaltung von einer faszinierenden Ruhe und einem großen Staunen zwischen einer Bambus-hütte, einem Tunnel, vielen Leitern, riesigen Papiersäcken, einer Tänzerin und den vollkommen frei und selbstbestimmt agierenden Kindern.

Von einem Staunen vollkommen anderer Art lebt die Veranstaltung „Vier Hände“. Dabei handelt es sich um ein Konzert mit jazzig improvisierter Klaviermusik und digitaler Malerei der portugiesischen Künstler António Jorge Gonçalves (Design und Malerei) und Filipe Raposo (pianistische Interpretation und Komposition). Das Programm zeigt ein großes Spektrum menschlicher Gefühle, bei dem die Musik und die digitale Malerei miteinander als nicht trennbare Einheit kommunizieren, sich überlagern, sich provozieren und beizeiten auch gegenseitig verdrängen. Ohne von der Malerei rasant in den Bann der Veränderungen gezogen zu werden, wäre es schwer, der Musik trotz spieltechnischer Brillanz allzu lange konzentriert folgen zu können, und ohne die Musik wäre wohl auch die Malerei auf Dauer nicht tragfähig. In ihrer Korrespondenz und in ihrem Zusammenspiel sind die vier portugiesischen Hände so interdisziplinär und unmittelbar aufeinander eingespielt, dass wohl niemand mehr in Frage stellen wird, ob Musik in ihrer von Vergänglichkeit lebenden Darbietung überhaupt visuelle Eindrücke benötigt.

Nah am Publikum

Während „Caban“ und „Vier Hände“ in ihrer Intimität bestachen, lebte „Soleo“ von sportlicher Virtuosität und einer dynamischen Show, getragen und durchzogen von Body-Percussion auf Höchst-Niveau. Als poetische Geschichte choreografiert, bildet die Begegnung zwischen einer Musikerin und zwei Musikern in spielfreudiger Dichte das gesamte Spektrum menschlichen Lebens ab. Die drei französischen Akteure erweisen sich dabei als tänzerisch wie musikalisch gleichermaßen meisterhaft und wirken trotz vollständig durchinszenierter Choreografie in ihren Rollen frei und dem Publikum sehr nah.

In „Petit Cirque gibt es so viel zu hören wie zu sehen“, kündigt der französische Künstler in seiner Begrüßung dem eng am Bühnenrand sitzenden Publikum an. Die Spielfläche erinnert an eine Mini-Manege, in der der als Zirkusdirektor agierende Laurent Bigot Figuren und Spielzeug mittels elektro-akustischer Sounds in klingende Bewegungen versetzt. „Objekte aus Holz, Plastik, Federn und Zerbrechlichkeit“, so steht es treffend im Programmheft. Welch virtuose Koordinationsbegabung hinter jeder neuen (Klang-)Aktion steckt, lässt sich nur erahnen. Kleine Mikrofone verstärken rätselhafte Klänge und sphärische Melodien. Als Zuschauerin fühlt man sich atmosphärisch an einem feinen magischen Ort zwischen Zirkus, Konzert, Kleinkunstfestival und buntem Jahrmarkttreiben.

Meilensteine mit Miles Davis

„Mile(s)tones“ ist mit drei belgischen Musikern und einem Techniker der Zonzo Compagnie Belgien zuzuordnen. Das Programm verführt das Publikum in die Welt des legendären Jazz-Komponisten und -Trompeters Miles Davis. Einem Perkussionisten, einem Pianisten und einem Trompeter gelingt es dabei, auch die Menschen im Publikum mit ihren Aktionen musikalisch in den Bann zu ziehen, die zuvor keine oder noch keine Miles Davis Fans waren. Ein wildes Wechselspiel an Stimmungen, Bildern, Klängen und räumlichen Veränderungen, das neben der hohen musikalischen Qualität ganz im Zeichen von technischen Raffinessen in Form sich verändernder Projektionen, live im Publikum gefilmter Szenen und dem projizierten Interieur eines in die Jahre gekommenen Varieté-Theaters steht. Auch das Publikum, egal ob jung oder schon etwas älter, ist zum Mitagieren durch soundpaintingartige Dirigate aktiv gefordert.

Selbst wenn viele Requisiten zunächst simpel erschienen und man­ches Kostüm nach Alltag aussah, lässt ein Blick hinter die Kulissen vermuten, dass der Aufwand, ein solches Festival zu realisieren, auf allen Ebenen enorm hoch war. Fast kein Programm kommt mehr ohne Technik und Techniker aus, viele Säle mussten für ein zahlenmäßig recht begrenztes Publikum aufwändig hergerichtet werden und für die meis­ten Raumkonzepte ist es selbstverständlich, dass während der Veranstaltungen immer wieder sich verändernde Spiel- und Improvisationsflächen entstehen. So kam man sich auf mitunter engem Raum auf Kampnagel nah. Welch Glück, dass die vermeintliche Musikstadt Hamburg, welche aktuell vornehmlich wegen anderer Kulturtempel auf sich aufmerksam macht, über einen solch vielseitig nutzbaren Ort verfügt.

Individuelles Erleben

Viele Programme waren für kleine Gruppen konzipiert, individuelles Erleben wurde groß geschrieben: Erwachsene wie Kinder zeigten sich gleichermaßen beeindruckt und das Expert/-innenohr war fasziniert von der enormen Konzentrationsstärke, die sich durch das gesamte Festival zog. Vielerorts war das Publikum so gebannt, dass man die berühmte Stecknadel fallen hören konnte –und dies ist bei wortlosen und nicht sprachlichen Programmen wie „Caban“ für Kinder ab sechs Monaten bis zum „Kleinen Zirkus“ für Kinder ab zehn alles andere als selbstverständlich. Soundpainting, improvisierte Musik und viele technische Raffinessen zogen sich bei Big Bang als roter Faden durch ein eindrucksvolles
Festival mit großer Kunst für kleine Leute.

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