Sie ist nur eine Behörde, die Künstlersozialkasse (KSK), eine Abteilung der Unfallkasse des Bundes. Und Behörden gehören ja zu den weniger spektakulären Einrichtungen in Deutschland. Die Idee, die zur Gründung der KSK geführt hat, ist jedoch überzeugend und einmalig gleichermaßen: Denn nirgendwo in Europa gibt es ein vergleichbares soziales Sicherungssystem für Selbstständige in kreativen Branchen, in das alle diejenigen einbezahlen, die die Kraft der Kreativen nutzen, und von dem diejenigen profitieren, die auf eigenes Risiko die Bundesrepublik kreativ mitgestalten. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Über den mitunter steinigen Weg hin zum paradiesischen Zustand des gleichberechtigten Gebens und Nehmens sprach Susanne Fließ von der neuen musikzeitung mit Sabine Schlüter, stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin der Künstlersozialkasse.
neue musikzeitung: Freischaffende Kreative applaudieren, Angestellte rätseln und von Arbeitgebern hört man leises Murren über die KSK. Seit wann entzweit sie die Geister?
Sabine Schlüter: Von Beginn an. Die Künstlersozialkasse ist 1983 von der damaligen sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt gegründet und in den ersten Tagen der Kohl-Regierung ins Leben gerufen worden. Sie führt das Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) durch, ist Teil der Bundesverwaltung und bundesweit zuständig. Die Aufsicht über die Künstlersozialkasse führt das Bundesversicherungsamt.
Auslöser für die Gründung dieses Sicherungssystems für Selbstständige in den Branchen Bildende Kunst, Musik, Darstellende Kunst und Publizistik waren ein umfänglicher Künstlerreport über die soziale Lage der Künstler und ein Autorenreport, finanziert vom „Spiegel“. Beide Studien kamen zu dem Ergebnis, dass es eine krasse prekäre Situation für freiberufliche Kreative in den genannten Sparten gab. Das Künstlersozialversicherungsgesetz gehört zu den am besten vorbereiteten Sozialversicherungsgesetzen der Bundesrepublik.
nmz: Wie finanziert sich die KSK?
Schlüter: Wir funktionieren wie die Personalabteilung eines großen Betriebs, müssen allerdings prüfen, ob derjenige, der Antrag auf Aufnahme in die Versicherung stellt, tatsächlich nachweisen kann, dass er überwiegend von Einnahmen aus selbstständiger künstlerischer, beziehungsweise publizistischer Tätigkeit lebt. Das ist die eigentliche Schwierigkeit, vor der wir stehen. Wir versichern also abhängig davon, was von den Versicherten als Haupteinkommen genannt wird. Sie müssen zudem eine Prognose über ihr Einkommen angeben. Dann wird von uns die Höhe der Beiträge berechnet. Die Hälfte des errechneten Beitrags zahlen die Versicherten selbst, sie sind damit den Arbeitnehmern, die abhängig beschäftigt sind, gleichgestellt, 20 Prozent schießt der Bund dazu, 30 Prozent finanzieren wir aus der so genannten Künstlersozialabgabe, die auf alle Honorare fällig wird, die in die freiberuflichen Tätigkeiten fließen. Das kann auch ein Honorar für eine ehrenamtliche Unterrichtstätigkeit nach Feierabend sein. Wer zahlt, muss uns dies melden und bekommt dann einen Abgabebescheid von uns, wenn die Übungsleiterpauschale überschritten wird. Es geht darum, eine solidarische Umlagefinanzierung zu sichern und diejenigen, die selbstständig von solchen Honorareinnahmen leben, vor dem Wettbewerb mit denen, die davon nicht hauptberuflich abhängen, zu schützen.
nmz: Selbstständige in anderen, nicht kreativen Sparten empfinden das Gesetz als ungerecht.
Schlüter: Ich würde nicht so sehr von Ungerechtigkeit sprechen, eher von Unverständnis, beispielsweise sehen selbstständige Handwerker nicht recht ein, weshalb sie mit ihren Beiträgen eine Berufsgruppe „sponsern“ sollen, sie selbst erhalten ja auch nichts, so ihr Argument. Die KSK ist ausdrücklich ein System zur Sicherung von Selbstständigen in Kreativberufen. Das Geld, das die KSK einnimmt, wird nicht an andere staatliche Zwecke gebunden, sondern fließt unmittelbar in die Grundsicherung der freiberuflich Kreativen zurück.
nmz: Haben andere Länder vergleichbare Sicherungssysteme für Kreative?
Schlüter: Ich empfehle hier das Buch des Deutschen Kulturrates zum Thema „Künstlersozialversicherungsgesetz – Hintergründe und aktuelle Anforderung“, das über das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu beziehen ist. Darin ist auch ein Ländervergleich in Europa bezüglich steuerfinanzierter Grundsicherung. Und da werden Sie sehen, dass es nirgendwo in Europa solch wirksame Maßnahmen gibt wie in Deutschland und dass sie vor allem nirgendwo so umfassend sind wie bei uns.
nmz: Angesichts dieser in Europa vorbildlichen Sicherungsmaßnahme wäre sehr viel mehr PR der KSK vorstellbar. Die Website ist zwar sehr informativ (www.kuenstlersozialkasse.de), als Begünstigter findet man schnell, was man sucht. Allerdings gibt es keine Pressemitteilungen oder Downloads für die Presseöffentlichkeit. Haben Sie PR nicht nötig?
Schlüter: Danke für das Kompliment über die Website. Dort haben wir zwei Mail-Accounts eingerichtet:
auskunft [at] ksk.de (auskunft[at]ksk[dot]de) und presse [at] ksk.de (presse[at]ksk[dot]de). Wir selbst verlinken jedoch mit der Presse nicht, sondern arbeiten eng mit dem Kreativ-Portal des Bundeswirtschaftsministeriums zusammen, die Pressearbeit läuft eigentlich darüber. Denn unsere Auffassung ist, dass Auskunft und Information Sache der Politik ist, wir sind ausführende Behörde und wir wünschen uns natürlich von der Bundesregierung und dem Wirtschaftsministerium als Ansprechpartner des Mittelstands, dass die KSK als ein System für die Begünstigung von Selbstständigen in besonders riskanten Berufen, nämlich denen der Medien- und Kreativwirtschaft, deutlich gemacht wird. Das ist Wirtschaftsförderung als Kulturförderung, und zwar pur.
nmz: Mit dem Sitz in Wilhelmshaven spielt die KSK in geografischer Hinsicht ein bisschen im Abseits. Wird denn an einen Umzug nach Berlin gedacht?
Schlüter: Herbert Ehrenberg, der bei Beschlussfassung dieses Gesetzes Bundesarbeitsminister war, war gleichzeitig Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Wilhelmshaven. Zufall oder nicht, auch heute gibt es einen guten Grund für den Standort Wilhelmshaven: Die Bundesregierung geht, auch mit anderen behördlichen Standorten, immer wieder in strukturschwache Gebiete, denn die gibt es bei Weitem nicht nur im Osten. Neben der Stadt und der Marine ist dort die Unfallkasse, zu der die KSK gehört, der drittgrößte Arbeitgeber, insgesamt sind wir 550 Beschäftigte, davon sind 210 bei der KSK.
nmz: Aufgrund des ständigen Kontakts mit der kreativen Branche in Deutschland können Sie sicherlich ein sehr differenziertes Bild der aktuellen Lage zeichnen.
Schlüter: Dieses Bild der Realität zeichnen zu können, betrachten wir als eine unserer Kernkompetenzen. Unsere Sicherungssystematik ist genauer als manch andere, die doch überwiegend mit abhängig Beschäftigten befasst ist. Auffallend ist, wie viele Kreative Mischtätigkeiten nachgehen. Beispielsweise sind die wenigsten Schauspieler ausschließlich Bühnendarsteller. Die meisten arbeiten zusätzlich als Regisseure, sie verfassen Texte, sie arbeiten als Synchronsprecher. Multitasking ist sehr angesagt und in der Musik ist das nicht anders. Viele praktizierende Musiker geben gleichzeitig auch Unterricht. Nicht zuletzt sind diese Erkenntnisse wesentlich für die Prüfung der Frage: Ist jemand selbstständig oder abhängig? Anhand der Verträge, die jemand mit einem Auftraggeber schließt, kann man das relativ genau beurteilen.
nmz: Sie beraten also Ihre Versicherten auch, wenn über die Art der Beschäftigung Zweifel bestehen?
Schlüter: Wir geben gezielte Hinweise, allerdings muss man sagen, dass bei der Frage der Beratung Wunsch und Wirklichkeit ein wenig auseinanderklaffen. Zwar haben wir unsere Erreichbarkeit verbessert, aber wir haben pro Sachbearbeiter 7.000 Versicherte, so dass wir nicht die ganze Zeit am Telefon sitzen können, dann könnten wir keine Fallentscheidungen mehr treffen. Hierin liegt aber das vorrangige Interesse unserer Antragsteller.
nmz: Sie erwähnten eben, Multitasking sei an der Tagesordnung. Empfehlen Sie Künstlern, sich möglichst breit aufzustellen?
Schlüter: Diese Art der Beratung ist eher Schwerpunkt der regionalen Zentren der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft, die das BKM zusammen mit dem BMWI jüngst gegründet hat. Acht Regionalzentren wurden geschaffen, an die sich die Kreativen wenden können. Sie werden dort auch gleich über ihre Rechte und Pflichten informiert. Bei Anfrage verweisen wir auf die Regionalzentren und beraten selbst zur Frage der sozialen Versicherung.
Den Kreativen zu sagen, wie es sich mit Krankenkassenbeiträgen verhält, wie das Abführungssystem funktioniert, also die gesamte Praxis der Renten, Kranken- und Pflegeversicherung, dazu sind wir mit dem gesetzlichen Auftrag versehen. Und häufig werden wir auch dann aktiv, wenn Versicherte den Status wechseln, zum Beispiel, wenn sie Arbeitslosengeld beantragen.
nmz: Wenn Sie auf den Arbeitsmarkt blicken, in welcher Weise hat er sich für die Kreativen verändert?
Schlüter: Die Frage der Nebentätigkeit hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Als Beispiel nenne ich die Darstellende Kunst. Noch vor drei Jahren gab es 45.000 abhängig beschäftigte Bühnendarsteller, heute zählt der Deutsche Bühnenverein noch 38.000. Gleichzeitig sind bei uns die Versichertenzahlen im Bereich der Darstellenden Kunst um 18.000 gestiegen. Das Muster „Selbstständigkeit“ nimmt zu, die Möglichkeiten der abhängigen Beschäftigung nehmen dagegen kontinuierlich ab.
Im Bereich der Musik lässt sich feststellen, dass die Musikhochschulen seit Jahren über Bedarf ausbilden. Gleichzeitig haben wir seit Jahren eine rückläufige Zahl an festen Stellen in den Orchestern. Und wenn man dann noch die Tatsache dazunimmt, dass 75 Prozent der kreativen Unterrichtsfächer in den Vorschulen und Grundschulen aus Gründen der Finanzierbarkeit ausfallen, dann können Sie Rückschlüsse auf den beruflichen Status der Kreativen ziehen: Sie arbeiten entweder freiberuflich, oder es gibt sie nicht mehr. Gleichzeitig erreichen die Kreativen ein immer professionelleres Niveau und werden immer flexibler. Überhaupt ist das Niveau, auf dem in Deutschland die Kulturausbildung stattfindet, unglaublich hoch.
nmz: Zum Stichwort „finanzielle Mittel“ gehört auch die Entrüstung vieler Unternehmen, für einen kleinen Fotografenjob KSK-Beträge zahlen zu müssen.
Schlüter: Tatsache ist, dass wir seit 25 Jahren ein eklatantes Vollzugsdefizit haben, weil diejenigen, die diese Honorarzahlungen leisten müssen, ihren gesetzlichen Pflichten nicht gerecht werden und sich nicht selbst bei uns melden.
nmz: Gibt es wirksame Mittel, diese Versäumnisse zu ahnden?
Schlüter: Mit der dritten Novelle des Künstlersozialversicherungsgesetzes, die 2007 in Kraft trat, wurde die Überprüfung und Erfassung von abgabepflichtigen Arbeitgebern auf die Deutsche Rentenversicherung übertragen. Die Rentenversicherung prüft ja 3,3 Millionen Arbeitgeber hinsichtlich ihrer Beitragspflichten, und seit drei Jahren prüft sie nun auch, ob KSVG-Pflichten erfüllt worden sind. Ein Blick in die Buchhaltung genügt seitdem also, dann können bei Versäumnis bis zu fünf Jahre rückwirkend Beiträge erhoben werden. Wer erwischt wird, riskiert außerdem bis zu 25.000 Euro Bußgeld, denn nicht zu zahlen, ist schlichtweg Sozialversicherungsbetrug. All diejenigen, die eben dabei sind, das Gesetz wieder zu ändern, weil das Vollzugsdefizit geschlossen wird, sollten sich ernsthaft fragen, wie glaubwürdig sie sind, wenn sie einerseits den Sozialstaat feiern, er aber andererseits nichts kosten soll.
nmz: Was hat die Novelle nach heutigem Stand eingebracht?
Schlüter: Gebracht hat die Prüfung durch die Rentenversicherung in den vergangenen drei Jahren ein zusätzliches Einnahmevolumen an Künstlersozialabgabe von über 90 Millionen Euro. Das ist eine ordentliche Summe. Sie zeigt aber auch, wie sehr die Beitragsgerechtigkeit gelitten hatte. Durch dieses Einnahmevolumen konnten auch die Beitragssätze von 5,8 auf 3,9 Prozent gesenkt werden. Eine Kostenentlastung vor allem für die Medien- und Kreativwirtschaft selbst, denn da fallen ja die größten Beiträge an.
Sie sehen daran: Wenn alle Abgabepflichtigen ihrer Verpflichtung nachkämen, dann wäre das ein wunderbares System zur Grundsicherung in der Kreativwirtschaft. Die Abgabepflicht erstreckt sich übrigens auch auf Vereine als Non-Profit-Unternehmen. Sie sind verpflichtet, Beiträge für ihre freiberuflich Beschäftigten zu zahlen. Zugute kommen diese Beiträge den Kreativen, allein im Großraum München arbeiten 844 freiberufliche Musiklehrer, die über die KSK versichert sind.
nmz: Welchen Wert hat die Kreativität in Deutschland für Sie?
Schlüter: Sie bringt unser Land voran. Je mehr wir uns verändern müssen, desto mehr brauchen wir sie. Und: Ich freue mich, dass wir mit dem KSVG etwas für die Künstlerinnen und Künstler tun können. Ich werde allen meinen Ehrgeiz darein setzen, das System zu stützen und weiterzuentwickeln, indem die Lasten immer gerechter verteilt und die Kosten immer sachgerecht eingegrenzt werden.
Interview: Susanne Fließ