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Sängerin und Kulturmanagerin: Birgit Walter. Foto: privat
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JeKi in den Alltag der Kinder integrieren

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Das nmz-Gespräch mit Birgit Walter, der neuen Direktorin der JeKi-Stiftung
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Zum 1. August 2011 tritt Birgit Walter die Nachfolge von Manfred Grunenberg an der Spitze der Stiftung „Jedem Kind ein Instrument“ an. Die 36-jährige Leiterin der Musikschule Euskirchen ist gebürtige Essenerin und hat nach Abschluss ihres Studiums in den Fächern Gesang und Gesangspädagogik an der Hochschule für Musik Köln Kulturmanagement und Wirtschaftswissenschaften studiert. Für die neue musikzeitung sprach Andreas Kolb mit der designierten Direktorin und dem Mitglied des Vorstandes der JeKi-Stiftung.

neue musikzeitung: Welches war denn Ihr erstes Instrument?
Birigit Walter: Ich bin schon in ­frühester Kindheit durch meine Eltern mit Musik und vor allem mit Gesang in Berührung gekommen: Sie sind zwar keine Profimusiker, aber sehr gute ­Laienmusiker und Chorsänger, und nahmen mich überallhin mit. Mein ­Vater sagte immer über mich: acht Jahre alt, neun Jahre Chorerfahrung.

nmz: Also war Singen Ihr erstes „Instrument“?
Walter: Vielleicht, aber ich habe mit sieben Jahren auch mit dem Klavier­unterricht angefangen.  Als ich 12 ­Jahre alt war, hatte ich mit dem „Jungen Orchester“ unter dem damals auch erst 18-jährigen Ingo Ernst Reihl, heute Universitätsmusikdirektor in Witten-Herdecke, meinen ersten großen Auftritt mit einem Klavierkonzert von Mozart.
Danach war ich so fasziniert vom ­Orchester, dass ich unbedingt ein ­Orchesterinstrument lernen wollte: Ich fing mit der Geige an und ging kurze Zeit später ins Schulorchester. Mit 16 erhielt ich dann meinen ersten Gesangsunterricht, und nach dem Abitur nahm ich mein Musikstudium mit dem Hauptfach Gesang an der Hochschule für Musik Köln in den Klassen von Hans Sotin und Edda Moser auf. Dort habe ich die künstlerische Reife­prüfung und das Diplom in Musik­pädagogik erworben; ich wollte also von Anfang an das Pädagogische und das Künstlerische abdecken.

Stimme und Wirtschaft

nmz: Sie haben dann Kulturmanagement und Wirtschaftswissenschaften studiert. Woher kam die Motivation, noch ein Studium draufzusetzen?
Walter: Ich hatte Probleme mit meinen Stimmbändern, es war nicht ­sicher, ob ich mit der Stimme meinen Lebens­unterhalt verdienen kann. Ich studierte dann Wirtschaftswissenschaften mit dem Ziel, dieses Fach mit der ­Musik zu verbinden. Deshalb belegte ich parallel dazu an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Köln noch einen zweijährigen Aufbaustudien­gang Kulturmanagement.

nmz: Wie kam es dann zum Einstieg in den Musikschulberuf?
Walter: Ich lebte damals in Wiehl, im Oberbergischen, und dort wurde an der Musikschule der Homburgischen Gemeinden die Stelle der pädagogischen Leitung frei. Ich habe mich beworben und die Stelle bekommen. Nach diesem Einstieg wechselte ich zwei Jahre später im Jahr 2006 als Leiterin an die Musikschule Euskirchen.

nmz: Inwiefern hatten Sie in Euskirchen schon mit JeKi zu tun?
Walter: Euskirchen liegt ja nun außer­halb des JeKi-Landes. Aber im Sommer 2010 legte das Land NRW das ­Modellprojekt „Jedem Kind ein Instrument - außerhalb des Ruhrgebiets“ auf. Wir haben uns dort mit fünf Grundschulen in Euskirchen, insgesamt zehn ersten Klassen, beworben und den Zuschlag bekommen. Insofern verfüge ich über ein Jahr JeKi-Erfahrung aus der Sicht einer Musikschulleiterin: eine sehr wertvolle Erfahrung für meine künftige Position, damit ich nicht am grünen Tisch plane.

nmz: In der Presseerklärung des Minis­teriums für Familie, Kinder, ­Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen stand, mit ihrer Berufung werde ein deutliches Zeichen in Richtung Zukunft gesetzt. Welche Zukunft hat JeKi?
Walter: JeKi hat als Kulturhauptstadt-Projekt begonnen, und viele solcher Projekte verschwinden wieder in der Versenkung, wenn die Kulturhauptstadtphase vorbei ist. Anders bei JeKi – es hat die Welt der Musikpädagogik schon jetzt so stark geprägt, dass es nicht mehr wegzudenken ist. Nun geht es darum, es nachhaltig zu etablieren. JeKi wurde immer vorgeworfen, den ein oder anderen Schnellschuss gemacht zu haben. Aber hier braucht es einen etwas differenzierteren Blick: JeKi stand noch bis vor kurzem unter dem unglaublichen Druck, im Jahr der Kulturhauptstadt 2010 ein bestimmtes Ergebnis erreicht zu haben, und ­unter diesem Zeitdruck war so manch bedächtiger Schritt schlicht unmöglich. Der Leitungswechsel zum Ende der Kulturhauptstadtphase bietet nun die große Chance, zurückzutreten, die Perspektive zu erweitern und zu schauen: Wo stehen wir? Wem kann ich nun ein Angebot zu machen, mitzugestalten, um die Personen und Gruppen mit ins Boot zu holen, die sich vielleicht bisher zurückgesetzt fühlen?

nmz: Welche Gruppen gehören denn einbezogen?
Walter: Ich sehe hier zunächst einmal die Hauptkooperationspartner Grundschulen und Musikschulen. Ich habe am 25. März 2011 in der Landesmusikakademie Heek den Kongress „Schulische und außerschulische musikalische Bildung – Wie kann eine erfolgreiche Verzahnung gelingen“ besucht und dort mit großem Interesse von Seiten der Schulmusiker gehört, „man hätte uns doch mal fragen können, wir kennen uns doch damit aus.“ Und ich weiß von Musikschul-Seite, dass es große Anfangsschwierigkeiten gab in der Art des Zusammenwachsens von JeKi-Stiftung und JeKi-Musikschulen. Auf der strategischen Ebene kommen die Musikhochschulen dazu. Ich freue mich auf die Gespräche mit den Hochschulvertretern und wünsche mir, daran mitwirken zu können, dass die Musikhochschulen Curricula erstellen, die uns Lehrer bescheren, die für die neuen Anforderungen in diesem Beruf besser gerüstet sind: Für JeKi muss die Instrumentalpädagogik um Komponenten der elementaren Musikpädagogik und durchaus auch der Sozialpädagogik erweitert werden.

Master of JeKi

nmz: Stellen Sie sich da einen Bachelor, einen Master of JeKi vor?
Walter: Das wäre der völlig falsche Ansatz. Es gibt nicht den „richtigen Musikschullehrer“ und den „JeKi-­Lehrer“. JeKi ist keine Ausnahmeerscheinung, sondern die Erweiterung eines bestehenden Berufsbilds. Es wird allerdings eine Generation ­dauern, bis die Musikhochschule Absolventen entlässt, die über diese Qualifikationen verfügen. Daher muss es parallel dazu Fortbildungen für die bestehende Lehrerschaft geben.

Musikschule in Gefahr?

nmz: JeKi wird nicht nur die Musikhochschule verändern, es hat bereits die Musikschule verändert. Ist das „Haus Musikschule“ in Gefahr?
Walter: In dieser Frage steckt eine ganze Menge Polemik, die differenziert gehört. Zunächst zum Begriff „Haus“: JeKi findet dezentral an den Grundschulen statt. Wer also das „Haus Musikschule“ darüber definiert, sich schön kuschelig in einem Haus mit dem Schild Musikschule einzurichten und darauf zu warten, dass die Kinder zur Musik kommen, anstatt mit der Musik selbst zu den Kindern zu gehen, dessen Vorstellung vom „Haus Musikschule“ ist tatsächlich in Gefahr. Nun zum Begriff ­„Musikschule“: Ich sehe die Musikschulen in einem Bildungsauftrag, der sich nicht darin erschöpft, denjenigen Kindern, die ohnehin an die Tür der Musikschule geklopft hätten, Unterricht zu erteilen, sondern darin, möglichst vielen, wenn nicht allen Kindern diese Welt zu erschließen. Im Deutsch­unterricht nimmt der Lehrer Goethes Faust ja auch nicht nur mit den Schülern durch, die explizit danach gefragt haben, sondern es ist seine Aufgabe, solche Werke einer ganzen Genera­tion nahe zu bringen. Wessen Bild vom „Haus Musikschule“ also noch diesen Vorstellungen entspricht, dessen Bild ist tatsächlich in Gefahr, aber das finde ich dann ehrlich gesagt auch gut so.
Und ich gebe Ihnen noch ein zweites Argument, warum JeKi die Musikschule nicht gefährdet, sondern eher rettet: Wir erleben eine zunehmende Entwicklung zur Ganztagsschule, d.h. das Zeitfenster für alles Außerschulische wird immer kleiner. Trotzdem gehen Institutionen wie Sportvereine, Musikschulen usw. immer noch davon aus, dass die Kinder ihnen von mittags bis abends zur Verfügung stehen. Man muss aber doch vom Kind ausgehen und überlegen, wie das Kind Schule und außerschulische Aktivitäten unter einen Hut bekommt. Indem JeKi nun in die Grundschulen geht, ist JeKi hier ein unglaublich geschickter Schachzug gelungen: So findet JeKi dort statt, wo innerhalb eines bestimmten Alters der Alltag eines jeden Kindes stattfindet, und bietet den Kindern so die Möglichkeit, innerhalb dieses Alltags ein Instrument zu erlernen, und dies noch im Rahmen eines Systems, so dass die Organisation viel effizienter vonstatten gehen kann als wenn dieses Arrangement auf einer Vielzahl von Individualvereinbarungen von örtlichen Grundschulleitern und Musikschulleitern beruht.

Den Tanz mit einbeziehen

nmz: Ist Jedem Kind ein Instrument nicht zu eindimensional angelegt? Was ist mit Tanz, Zirkuspädagogik, Singen-Bewegen-Sprechen und vielem mehr?
Walter: Es ist geplant, die Komponenten Gesang und Tanz künftig stärker einzubeziehen, was mich als Sängerin­ und Leiterin einer Musikschule mit ­einer großen Tanzabteilung besonders freut.
Ich würde aber nie auf das Instrument verzichten wollen: Die Beschränkung auf Tanz und Gesang ist mir für diese Altersgruppe zu abstrakt, es fehlt das Objekthafte und damit das im wahrsten Sinne Begreifbare eines Instruments.
Und ich halte es in der heutigen Welt, in der man auf viele Knöpfe drückt, aber keine Ahnung hat, wie beispielsweise ein iPod funktioniert, für extrem heilsam, mit einem Musikinstrument etwas in der Hand zu halten, bei dem man genau weiß, warum welcher Ton herauskommt. Damit spürt man wieder einmal das, was Psychologen Selbstwirksamkeit nennen.

nmz: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass JeKi Ersatz für einen schulischen Musik­unterricht wird?
Walter: Ich würde mir wünschen, dass die Schulmusik im Grundschulbereich gerade weil es JeKi gibt, ­einen Aufschwung erlebt, denn JeKi ist ­darauf angewiesen, dass die Musikschulen in den Grundschulen Ansprech­partner haben.

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