Ein lebendiger Ort für eine lebendige Fragestellung: Im Berliner Max Liebermann-Haus fand anlässlich des 65. Geburtstages von Ulrich Mahlert das Symposium „Musizieren und Glück“ statt, veranstaltet von der Universität der Künste Berlin in Kooperation mit der Stiftung Brandenburger Tor, der Pro Musica Viva – Maria Strecker-Daelen Stiftung und der Friedrich Stiftung. Mit großem Engagement organisiert und konzipiert wurde es von Katharina Bradler von der Universität der Künste Berlin im Verbund mit ihren Kollegen Martin Losert von der Universität Mozarteum Salzburg und Andrea Welte von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.
Gegen die Tendenzen eines eindimensionalen Strebens nach Optimierung und Effektivität sollte der Tag mit Vorträgen, Diskussionsrunden und Musikbeiträgen zur entschleunigenden Besinnung rufen und allen Anwesenden die Möglichkeit einer erholsamen Atempause von ihrem künstlerisch-pädagogischen Alltag schenken. Dabei stand mit der Umkreisung der Phänomene Musizieren und Glück der Versuch im Vordergrund, einer ebenso zentralen wie bislang unterbewerteten Zielperspektive der Musikpädagogik auf Augenhöhe zu begegnen und dabei gleichzeitig ein Thema in den Fokus zu rücken, das Ulrich Mahlert im Rückblick auf seine pädagogische Arbeit jüngst zu einer besonderen Herzensangelegenheit geworden ist.
So hatten sie sich an diesem aufblühenden Sommertag also alle in den einladenden Räumen des Pariser Platzes 7 versammelt, um den Jubilar gebührend für seine jahrzehntelange Tätigkeit an der Berliner Universität der Künste zu ehren: Wegbegleiter, Freunde, Kolleginnen und Kollegen und nicht zuletzt auch eine große Zahl an Studierenden, Absolventinnen und Absolventen, die Ulrich Mahlert mit väterlicher Fürsorge und Zuneigung durch ihr künstlerisch-pädagogisches Studium oder bis zur Promotion geführt hatte. Nach den humorvollen wie persönlichen Grußworten Peter-Klaus Schusters von der Stiftung Brandenburger Tor und des Präsidenten der Universität der Künste Berlin, Martin Rennert, war es dem Dekan der Fakultät Musik Reinhard Schäfertöns zu verdanken, dass Loriot für den Rest des Tages immer wieder durch die Vorträge und Redebeiträge des Symposiums geistern sollte: Entgegen der zugespitzten Bemerkung Vicco von Bülows, „das Land des Lächelns“ sei an und für sich „keine angemessene Umschreibung der Bundesrepublik“, habe Mahlerts freudvolles Wirken täglich unter Beweis gestellt, wie man das Loriot’sche Diktum ganz unaufdringlich widerlegen könne. Diese Einschätzung reichte wiederum Christoph Richter umgehend den Staffelstab für seine siebenstrophige Laudatio, die Ulrich Mahlert aus ebenso ernsthafter wie humoriger Perspektive als musikpädagogischen Glücksbringer zu charakterisieren verstand. Der Geehrte dankte in gewohnter Bescheidenheit mit der Bemerkung, das größte Glück seiner beruflichen Laufbahn habe immer wieder in der Möglichkeit bestanden, junge Menschen nach bestem Wissen und Gewissen in ihrer persönlichen und musikalischen Entwicklung zu fördern.
Nachdem der letzte wortgewaltige Blumenstrauß überreicht worden war, eroberten Expertinnen und Experten aus Musikpädagogik, Philosophie und Neurologie das Podium, um sich in den kommenden Stunden dem Thema Musizieren und Glück aus unterschiedlichster Perspektive anzunähern. Künstlerisch umrahmt wurde ihr Defilee durch musikalische Interpretationen von Werken Ravels, Mendelssohns und Chopins, ergänzt um Klavierimprovisationen und szenische Performances, die überzeugend die vielfarbige Ausdruckspalette der Lehrenden und Studierenden im künstlerisch-pädagogischen Studiengang vor Ohr und Auge zu führen wussten.
Brücke zwischen Kunst und Alltag
Aus der Reihe der Redner reflektierte zuerst Nicolai Petrat von der Hochschule für Musik und Theater Rostock den Zusammenhang zwischen Glücksgefühlen und künstlerischer Erfahrung und unterstrich dabei die Bedeutung positiver Unterrichtserlebnisse für die Langlebigkeit der Liebesbeziehung zwischen Schülerinnen beziehungsweise Schülern und Musik. Im Anschluss daran betonte Thomas Gil von der Technischen Universität Berlin in einer erheiternden Improvisation über Poesie und Glück die Notwendigkeit des aktiven Handelns als Voraussetzung für die Ermöglichung von Glück, um anschließend bei der Überlegung zu verharren, wie Sprache zu einem Hilfsmittel bei der Suche nach dem kostbaren Gut werden könne. Die daraus erwachsende erste Podiumsdiskussion stellte die Frage nach den allgemeinen wie persönlichen Zusammenhängen zwischen Glück und Musizieren. Dabei konnten sich alle Diskutanten schnell darauf einigen, dass Glück beim Üben, Proben und Konzertieren eine flüchtige und weitgehend unverfügbare Erfahrung ist, die sich immer wieder unwillkürlich in Momenten gelingender Verschmelzung von Mensch und Musik einstellen kann. Die von Wolfgang Lessing provokant aufgeworfene Frage, ob Alltag und künstlerische Aktivität überhaupt ohne weiteres miteinander in einen harmonischen Einklang zu bringen seien, regte zu kontroversen Diskussionen an. Wie Ulrich Mahlert zu bedenken gab, könne die Musikpädagogik im Idealfall die verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen, eine Brücke über den Graben zwischen Kunst und Alltag zu bauen, um Lernenden wie Lehrenden die Chance zu bieten, sich in ihrer Mitte zum selbstvergessenen Tanz mit der Kunst zu treffen. Der Begriff des Glücks sei in dieser Szenerie eine Art „motivationale Superformel“, ein weitgefasster Leitgedanke für eine Musikpädagogik, deren übergeordnete Aufgabe neben der Vermittlung musikalischer wie instrumentaler Fertigkeiten letztlich doch auch immer wieder in der beiläufigen Anbahnung individueller Glückserlebnisse liege.
Andrea Welte und Martin Losert umzingelten das Glück in ihrem als Rede und Gegenrede aufgebauten Doppelvortrag mit Hilfe von Klangbeispielen und Videoprojektionen. Kernpunkt ihrer Ausführungen war ein Plädoyer für den Mut, den von Lebensratgebern und Esoterikern stark vereinnahmten Begriff des Glücks trotz mancher definitorischer Unschärfe als übergeordnetes Fernziel jeglicher musikpädagogischer Bestrebungen ins Auge zu fassen und in Zukunft durch weitere Forschung differenziert zu reflektieren. Als sinnlich unmittelbare und selbstgesteuerte künstlerische Aktivität, die jedem Menschen die Option einer ganzheitlichen Erfahrung offenhalte, habe das Musizieren auf jeder Niveaustufe eine hohe Glücksrelevanz. Die Verschmelzung mit der Musik durch die Entdeckung der eigenen Ausdrucksfähigkeit sei dabei das eine Standbein, die soziale Erfahrung des kommunikativen Miteinanders das andere.
In einem mitreißenden Vortrag beleuchtete anschließend Eckart Altenmüller von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover das Glücksversprechen beim Musizieren aus neurologischer Perspektive. Er plädierte dabei vor allem dafür, die Glücks- und Erlebnisfähigkeit der Schülerinnen und Schüler im musikalischen Unterricht bewusster als bisher herauszufordern. Menschliche Lernprozesse könnten vom Moment der ersten Annäherung bis hin zur letzten Phase der souveränen Beherrschung aus emotionaler Perspektive als eine Transformation von Angst zu Sicherheit charakterisiert werden. Was der Mensch beim erfolgreichen Gelingen dieses Verwandlungsprozesses als berauschendes Gefühl des Glücks in sich wahrnehme, sei, neuropsychologisch gesehen, eine hormonelle Belohnung, die die Wiederholung komplexer Lernprozesse für den individuellen Gefühlshaushalt auch in Zukunft höchst attraktiv machen könne. Damit werde Lernen im günstigsten Fall zu einer lebenslangen Lust an der Eroberung intellektuellen wie emotionalen Neulands. Das schließe, so Altenmüller abschließend, die bereichernde Erfahrung des gesamten Spektrums der Musik mit ein, obwohl sich deren Ausdrucksreichtum bei weitem nicht simplifizierend auf die alleinige Ästhetisierung von Glück reduzieren lasse.
Nach einer weiteren angeregten, von Michael Dartsch moderierten Diskussionsrunde neigte sich das Symposium schließlich mit der feierlichen Überreichung einer umfangreichen Festschrift an Ulrich Mahlert seinem Ende zu. Ein bei Schott in der Reihe Texte zur Instrumentalpädagogik erschienener Band mit dem Titel „Musizieren und Glück. Perspektiven der Musikpädagogik“ vereinigt weitere wertvolle Beiträge, von den Chancen der Elementaren Musikpädagogik bis hin zu den Bereicherungen des Musizierens im Alter, vom Glück beim Singen über glückliche Momente beim Vierhändigspiel bis hin zum Glück des Musikhörens.
Vor Trivialisierung wird gewarnt
Angesichts der thematischen Ausrichtung des Symposiums konnte es nicht überraschen, dass an diesem Tag von Glück viel die Rede war. Es beschränkte sich angenehmerweise nicht auf die reine Reflexion, denn seine fühlbare Gegenwart bestand nicht zuletzt auch immer wieder aus der sich Bahn brechenden Freude an der Begegnung mit jener Gruppe an diskussionsfreudigen und glücksmotivierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die Christoph Richter augenzwinkernd in seiner einführenden Laudatio als „Mahlert-Gesellen“ bezeichnet hatte. Dass der Jubilar mit einem Anflug von Selbstironie am Ende dieses ereignisreichen Tages in leichter Erschöpfung darum bat, den Begriff des Glücks lieber nicht über Gebühr zu strapazieren und das Hauptaugenmerk der musikpädagogischen Arbeit fortan wieder eher auf die greifbarere Vermittlung von Sinn und Zusammenhang in der Musik lenken zu mögen, zeugt von seinem Feingefühl im Umgang mit einem wertvollen Gut, das man weder künstlich herbeireden noch künstlerisch forcieren kann. So offenbarte sich gegen Ende des Symposiums balancierenderweise auch noch einmal die anfällige Fragilität eines Begriffs, der, obschon er ohne Zweifel eines der wichtigsten Leitmotive jeder musikpädagogischen Partitur ausmachen sollte, bei allzu oftmaliger Erwähnung in den tieferen Registern der alltäglichen Arbeit sehr schnell trivialisiert würde.
Letzten Endes wollte die gedankliche Auseinandersetzung mit dem Glück, die an jenem Freitag für einige Stunden die elfenbeinernen Etagen des Max Liebermann Hauses spielerisch in Besitz nahm, auch nicht mehr als eine kleine geistige Zwischenbilanz sein, eine Art tiefenentspanntes Atemholen, ein Kräftesammeln für die zukünftigen Herausforderungen des musikpädagogischen Handwerks.
Wie schön es doch wäre, wenn es dem musikalischen Unterricht in den nächsten Jahren gelänge, der Republik aus allen Himmelsrichtungen die eine oder andere glückliche Lachfalte ins Antlitz zu zaubern. Loriot würde sich wohl auch posthum noch darüber freuen.