„Die Gesellschaft wird sich im Jahr 2010 auf ihre tatsächliche Stärke besonnen haben: die Kreativität! Und das Urheberrecht garantiert national und international, dass Künstler und Verwerter von ihren Leistungen auch etwas haben. Dadurch schützt es die Kreativen als einen der wichtigsten Wachstumsmotoren der neuen Zeit.“ Das waren die Worte Gerd Gebhardts, des Vorsitzenden der deutschen Phonoverbände, auf der popkomm 2003. Für großen Aufruhr sorgte daher unter Komponisten, Textdichtern, Verlegern und der GEMA der Antrag der deutschen Phonoverbände, den Tarif für die Tonträgerlizenzierung von 9,009% auf 5,6% absenken zu wollen.
Auf jede hergestellte CD mit lizenzpflichtiger Musik (siehe Glossar auf ) müssen nämlich 9,009% vom Händlerabgabepreis an die GEMA abgeführt werden, wenn man Mitglied der deutschen Phonoverbände ist, sonst sind es zwölf Prozent. Die GEMA verteilte dann die auf diese Weise eingehenden Erträge an die Verlage und Autoren weiter (abzüglich der durch die Verwaltung enstehenden Aufwendungen von etwa sieben Prozent). Grundlage für diese Vereinbarung zwischen den Phonoverbänden und der GEMA ist ein Vertrag, der zwischen den internationalen Autorengesellschaften (BIEM) und den Vertretern der internationale Phonoverbände (IFPI) geschlossen wurde.
Die 9,009% für die Tonträgerlizenzierung schlugen sich für das Jahr 2002 total mit 160,9 Millionen Euro nieder und bildeten die zweitgrößte Ertragsquelle für die von der GEMA vertretenen Mitglieder, nach den Erträgen aus Aufführungs-, Vorführungs-, Sende- und Wiedergaberechten mit 357,4 Millionen Euro.
Absolut und relativ
Da nicht nur die Phonoverbände Lizenznehmer der GEMA sind, sondern auch Privatpersonen oder der Verband Unabhängiger Tonträgerunternehmen (VUT) sowie einige weitere Lizenznehmer, reduziert sich Betrag um den es geht auf etwa 130 Millionen Euro. Der VUT mit seinen mehr als 800 Mitgliedern hat übrigens unterdessen bekräftigt, dass er „die jetzige Höhe der GEMA-Lizenzen bei Tonträgern für adäquat“ hält. Eine Reduzierung des Tarifes für Tonträgerlizenzen um 3,409% entspräche einem Ertragsausfall für die GEMA in dieser Sparte von rund 38%. Das sind etwa 40 Millionen Euro im Jahr. Ein radikaler Einschnitt.
Was war geschehen? Eigentlich nichts – und das ist das Problem. Den Prozentsatz für die Tonträgerlizenztarife haben GEMA und Phonoverbände durch einen Vertrag miteinander vereinbart. Jedoch war dieser Vertrag bis Sommer 2000 befristet. Seither sind die Verträge mithin stillschweigend verlängert worden. Diese Vereinbarungen werden immer bis zu einem bestimmten Termin geschlossen, damit sie verändert werden können, wenn es die Situation erfordert. Diese Situation haben die Phonoverbände zwar schon vor vier Jahren gesehen, doch erst im letzten Jahr, mit der erneuten Veröffentlichung des Tarifs seitens der GEMA, erklärten sich die Phonoverbände nicht mehr einverstanden, nachdem sämtlich Verhandlungen zwischen GEMA und Phonoverbänden gescheitert waren. Als Grund für die Absenkung des Lizenzkostensatzes gibt Gerd Gebhardt drastische Umsatzeinbußen im Umfang von 40% in den letzten vier Jahren an. Deshalb müsse man die Eckdaten „realistisch“ neu verhandeln.
„Autoren und Verleger leben nicht auf einer heilen Insel inmitten stürmischer See, sondern müssen vielmehr die Realität zur Kenntnis nehmen und in einer Solidargemeinschaft der Musikkultur ihren Beitrag leisten, um den Tonträgermarkt in seiner Vielfalt zu erhalten,“ heißt es dazu in der Pressemeldung vom 6. Februar. Wollen die Phonoverbände ihre 40% Umsatzrückgang nun durch eine 38-prozentige Absenkung der Lizenztarife kompensieren? Dieser Anschein wird nämlich erweckt. Doch darum geht es eigentlich nicht, denn von dem Umsatzrückgang sind die Autoren und Verleger durch die prozentuale Beteiligung ohnehin mitbetroffen. Was aber könnten diese so genannten „realistischen Eckdaten“ sein?
Problem Händlerabgabepreis
Das Problem ist zuweilen wirklich diffizil, was man an der Konstruktion des Händlerabgabepreises zeigen kann. Der ist nämlich nicht so eindeutig wie es scheint. Man setzt beispielsweise den sogenannten Listen-Händlerabgabepreis für eine fiktive neue Madonna-CD auf fiktive 10,90 Euro fest und berechnet davon mittels des Prozentsatzes von 9,009% den Betrag, der an die GEMA abgeführt werden muss (in diesem Beispiel 0,98 Euro). Der Händlerabgabepreis für Großhändler oder Handelsketten liegt jedoch „unter“ dem Listenpreis, zum Beispiel bei dann 9,92 Euro (es kann im Detail auch jeweils mehr oder weniger sein). An die GEMA werden jedoch auch dann die Tarifkosten des Listenpreises abgeführt. In einem Bereich, indem die Gewinnmargen ohnehin klein sind, türmen sich dann solche Cent-Beträge zu hohen Summen auf. In unserem Beispiel handelt es sich um eine Differenz von 10 Cent pro CD. Bei 1.000.000 CDs (das ist die Verkaufszahl von Norah Jones aktuellem Album „Feels Like Home“ in der ersten Woche in den USA) wären es schon 100.000 Euro.
5,6% = 6,6%?
Und selbst die von den Phonoverbänden in den Raum gestellte Zahl von 5,6% verdeckt, dass es eigentlich um 6,6% geht. Wie das? Die Phonoverbände wollen die Differenz von einemProzent zweckgebunden zur Pirateriebekämpfung im Musikbereich einsetzen und so auf Umwegen auch den Verlegern, Komponisten und Textdichtern nach dem Motto helfen, dass sowohl die Urheber als auch die ausübenden Musiker (und natürlich auch die Tonträgerhersteller) von einem verkauften Album deutlich mehr haben als von einem illegal kopierten Album. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob man Fragen der Pirateriebekämpfung mit einem Tarifkonflikt verbinden darf.
Einen ersten deutlichen Vorstoß zur Veränderung der Tarifsituation hat die GEMA im Bereich Online-Tarife im letzten Jahr gemacht. Die GEMA forderte 15% (beziehungsweise mit Rabatt für die Phonoverbände 12%) vom Händlerabgabepreis. Die Phonoverbände sind jedoch nur bereit zwischen vier und sechs% abzugeben. Auch dieser Streit wartet noch auf einen Einigungsvorschlag durch die Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt. Zuvor ist es den Phonoverbänden nicht gelungen, den Tarifsatz für medienbeworbene (also zum Beispiel im Fernsehen beworbene) Tonträger um zwölf Prozent (von 9,009 auf 7,9%) zu senken. Die Angemessenheit des Tarifsatzes hat das Oberlandesgericht München am 12. Juni 2003 rechtskräftig bestätigt – oder genauer, es hat bestätigt, dass ein Abschlag von zwölf Prozent nicht angemessen sei.
Rechtliche Situation
Seit Juli 2000 ist also nichts passiert, zumindest verliefen die geführten Verhandlungen offensichtlich im Sande. Mit der erneuten Veröffentlichung des Tarifs seitens der GEMA wurde dann die Grundlage für den Tarifstreit gelegt. Jetzt erklärten sich die Phonoverbände nicht mehr damit einverstanden, den bisherigen Tarif von 9,009% zu akzeptieren. Somit wird automatisch die Schiedsstelle des Deutschen Patent- und Markenamtes zur Klärung des Sachverhaltes angerufen und ein formelles Verfahren nach Paragraph 14 des Urheberwahrnehmungsgesetz eingeleitet. Dabei handelt es sich um ein vorgerichtliches Verfahren zur Schlichtung derartiger Streitfälle, das gesetzlich vorgeschrieben ist. Bis es dort zu einem Einigungsvorschlag kommt, können einige Jahre vergehen. Und wenn dieser Einigungsvorschlag nicht akzeptiert wird, bleibt der lange Weg durch die Rechtsinstanzen. Für diesen Zeitraum wollen die Phonoverbände rückwirkend zum 1. Januar 2004 nur einen Satz von 5,6% für Tonträgerlizenzen abführen, die restlichen 3,409% werden auf Sperrkonten hinterlegt und gesetzlich verzinst, sie zahlen also nicht mehr oder weniger. So liegt dieses Geld bis zu einer Entscheidung oder einer anderweitigen Einigung auf Eis. Insgesamt korrespondiert die Wahl dieses Weges nicht mit Gebhardts Drang zur Eile, wenn er sagt: „Es muss umgehend etwas passieren –, bevor es für eine ganze Branche zu spät ist.“ Dadurch, dass die Phonoverbände eine derartig radikale Reduzierung des Tarifsatzes ansetzen, ohne ihren Vorschlag hinreichend zu substanziieren, und zugleich Gelder stilllegen, wird jedoch ein einseitiger Druck ausgeübt, der einen bitteren Beigeschmack erhält. Ist das die Vorstellung der Phonoverbände von einer „Solidargesellschaft der Musikkultur?“
Für die Vertreter der GEMA bedeutet dieses Vorgehen der Phonoverbände „Lohndrückerei“. Der Vorsitzende des Vorstandes, Reinhold Kreile, verwies in seinen Offenen Antworten unter anderem darauf, dass zum Beispiel in den letzten 20 Jahren der Lizenzkostensatz Schritt für Schritt von 11 auf eben diese 9,009% abgesenkt wurde, und auf den Anspruch von Urhebern auf eine „angemessene“ Vergütung, wie sie ausdrücklich auch das neue Urheberrecht vorsieht. Es gelte in allen Rechtsordnungen Europas der Grundsatz, „dass die Angemessenheit der Vergütung für das schöpferische Werk bei etwa zehn Prozent des Preises liegt, den der Endnutzer dafür zahlt.“ Kreile spricht dabei eindeutig von Endnutzern und nicht von Händlern. Damit droht er im Hintergrund sogar damit, dass der Vorstoß der Phonoverbände sich auch als Bumerang erweisen könnte. Die Schiedsstelle des Patent- und Markenamtes könnte demnach den neuen Tarif auch deutlich über den bisher geltenden 9,009% ansetzen. Das Vorgehen der Phonoverbände ist juristisch nicht nur einwandfrei sondern ausdrücklich so vorgesehen. Doch wem ist mit diesem Verhalten gedient? In Zeiten, in denen die Erträge aus dem Verkauf von Tonträgern sinken und auch die Situation der Verlage, Komponisten und Autoren – trotz bisher stetiger Steigerung der GEMA-Erträge – nicht rosig ist, hat eigentlich niemand etwas davon, wenn Geld nicht nur brach liegt, sondern in diesem Bereich den Urhebern und Verlegern regelrecht fehlt.
Böser Verdacht
Reinhold Kreile von der GEMA wittert in seinen Antworten auf den offenen Brief der Phonoverbände eine weitere Gefahr und reagierte ungewöhnlich scharf: „Für die Verleger, die zum gleichen Konzern wie die Tonträgerhersteller gehören – also für die Konzerne Universal, EMI, Warner, Sony und BMG –, mag wohl zunächst ein innerkonzernmäßiger Ausgleich gefunden werden.
Aber für die unabhängigen Verlage, ebenso wie für alle Komponisten, ist diese Hinterlegungsaktion eine Existenz bedrohende Schikane. Sollen, wie man von Beteiligten aus dem IFPI-Bereich hört, die unabhängigen Verlage so in solche finanzielle Bedrängnis gebracht werden, dass sie dann nur noch von den IFPI-Konzerverlagen ‚gerettet‘, nämlich: übernommen, werden können?“ Ein böser Verdacht, nahe an einer Unterstellung, den Hartmut Spiesecke, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Phonoverbände für „blanken Unsinn“ hält. Unabhängig davon: Welche andere Wahl hätten denn die Phonoverbände zur Geltendmachung ihrer Vorstellungen, selbst wenn der Vorwurf stimmen würde? Ganz klare Verlierer sind die Urheber, sofern zu lizenzierende Tonträger mit ihrer Musik oder ihren Texten hergestellt werden, egal in welcher Konstruktion. Und darum verwehren sich der Deutsche Musikverlegerverband, Autorenverbände (Deutscher Komponistenverband, Deutscher Text-dichterverband, Composers Club, Vereinigung Deutscher Musikbearbeiter) und der Verband der deutschen Musikproduzenten mit deutlichen Stellungsnahmen gegen das Vorhaben der Phonoverbände.
Schlechte Aussichten
Eigentlich verhandeln beide Parteien, GEMA und Phonoverbände, wie in anderen Tarifverhandlungen aus der Wirtschaft mit Traumzahlen. Setzt eine Partei eine Forderung deutlich zu hoch, kontert die andere mit einem deutlich zu geringen Angebot. Das ist ein Verhandlungs- und leider machmal auch ein unangemessenes Machtspiel. Eigentlich müsste beiden Parteien daran gelegen sein, umgehend das Problem zu lösen.
Allerdings gibt es berechtigte Zweifel, dass den Phonoverbänden an einer schnellen Lösung tatsächlich gelegen ist. Im Gegenteil, in einem Schriftsatz an die Schiedsstelle des Deutschen Marken- und Patentamts beantragen die Phonoverbände, das Schiedsverfahren bis zur Entscheidung der EU-Kommission über die Beschwerde der Firma Universal Music, vom 22. Mai 2000, (Case COMP/C2/38.440 UNIVERSAL v BIEM) auszusetzen. Darin geht es im Grunde um den Vorwurf, dass die Verwertungsgesellschaften kartellwidrig, quasi mit Monopolmacht, handelten. Die Verkettung von rechtlichen Fragen und gesellschaftlichen Grundüberzeugungen wird zum schiefen Bild. Die von Gebhardt beschworene Solidargemeinschaft scheint jedenfalls eine bloß rhetorische Fiktion bei der Suche nach gerechten Rechten zu sein.
*Alle auf die GEMA bezogenen Zahlen stammen aus dem letzten veröffentlichten Geschäftsbericht der GEMA für das Jahr 2002.
Siehe auch den Cluster zum Thema "Kultur-Los"
: Bureau International des Sociétés gérant les Droits d’Enregistrement et de Reproduction Mécanique. Die internationale Vereinigung der nationalen Verwertungsgesellschaften.
Deutsches Patent- und Markenamt:
: Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte. Die GEMA vertritt die Nutzungsrechte von Musikschaffenden (Komponisten, Textdichtern und Verlegern) und verwaltet sie als staatlich anerkannte Treuhänderin.
(DPMA): Das Amt hat den gesetzlichen Auftrag, gewerbliche Schutzrechte zu erteilen und zu verwalten sowie die Öffentlichkeit über bestehende gewerbliche Schutzrechte mit Wirkung für Deutschland zu informieren. Unterhält die Schiedsstelle nach dem Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten.Händlerabgabepreis: Der Betrag, den der Händler an die Schallplattenfirma beziehungsweise den Schallplattenvertrieb pro Tonträgerexemplar zahlt.
: International Federation of Phonographic Industry. Internationale Vereinigung der phonographischen Wirtschaft.: Sammelbegriff für die „Urheber einer vitalen (Musik)-Kultur“ (Reinhold Kreile).
Lizenzpflicht: lizenzpflichtig sind all die Werke, deren durch das Urheberrecht geregelte Schutzpflicht von 70 Jahren noch nicht abgelaufen ist, also praktisch die gesamte U-Musik. Die Schutzfrist erlöscht 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Der normale GEMA-Tarif für die Tonträgerlizenzierung liegt bei zwölf Prozent vom Händlerabgabepreis. Für die angeschlossenen Mitglieder der Phonoverbände oder des VUT gilt zur Zeit ein Satz von 9,009 Prozent.
: Damit bezeichnet man die größten Medienkonzerne (Universal, Sony, BMG, EMI und Warner).Phonoverbände: Das sind die „deutsche Landesgruppe der IFPI“, der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft und die Deutsche Phonoakademie.
: „Urheber ist der Schöpfer des Werkes“ (§ 7 UrhG).Urheberrecht: Geregelt im Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz UrhG).
: Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen. Schützt und fördert die zur Zeit rund 750 kleinen und mittelständischen Unternehmen der gesamten Musikbranche, insbesondere Tonträgerunternehmen, Musikverlage und Musikproduzenten.