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Bewährtes Format: das Berliner Symposium Kinderchor. Foto: Kathrin Rusch
Bewährtes Format: das Berliner Symposium Kinderchor. Foto: Kathrin Rusch
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Mit den Ohren lernen lernen

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Das Berliner Kinderchor-Symposium widmete sich in seiner siebten Ausgabe der Improvisation
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Träumen – auch das gehört wahrscheinlich dazu. Ein geschultes Gehör, ein feines Gespür, musikalisch wie empathisch, diplomatisches Geschick. Niemand wird bestreiten, dass das unverzichtbare Gaben sind, um den Chefposten eines Chores auszufüllen, egal, wie jung oder alt seine Sänger auch sind. Aber Träumen, Probieren um der Sache willen, Neues wagen, ohne zu wissen, ob man am Ende scheitert oder einen Erfolg feiert – das passt doch kaum zum Effizienzstreben der Gegenwart.

Kinder, die im vermeintlichen Problembezirk Berlin-Lichtenberg ganze Opernspielzeiten bestreiten, Jungs, die sich für Johann Sebastian Bach entscheiden und denen man mit seichten Programmen längst das Musizieren verleidet hätte, Mädchen, die für ihren Chor so brennen, dass sie ihn die zweite Familie nennen und die gemeinsame Aufführung höher schätzen als alles Andere, egal wie heftig der Zickenalarm in der Probe auch war. Sind das nicht außerordentliche, tolle Geschichten?

Das Berliner Symposium „Kinder singen!“ weiß diese Geschichten zu erzählen und dokumentiert sie aus Überzeugung. Geschichten mit glücklichem Finale oder zumindest: Work in progress mit mutmachenden Zwischenergebnissen. Kinder singen! Das ist der universelle Wunsch, der Aufruf, dem Chorleiter, Musiklehrer, Stimmbildner und Kirchenmusiker am vorletzten April-Wochenende gefolgt sind. Im prominentesten Gebäude der Fakultät Musik der Universität der Künste (UdK) im Berliner Stadtteil Wilmersdorf ist das Semester angelaufen. In dem Gebäude an der Bundesallee befand sich früher das Städtische Konservatorium. Zwischen die Musikstudenten, die heute hierherkommen, um in geschützter Atmosphäre an ihren Solosonaten bis zur Perfektion zu feilen, mischen sich an diesem Wochenende auch sie: Enthusiasten, die an Inklusionsschulen eine effektive Chorarbeit leisten wollen; Kirchenmusiker, die manchmal mit fünf Kindern ein ganzes Singspiel meistern; Caruso-Fachberaterinnen, die den musikalischen Alltag in den Kindergärten prüfen und dann entscheiden, ob die Einrichtung das Qualitätssiegel für das Singen mit Kindern verdient hat oder nicht. Sie wissen andere Geschichten zu erzählen, die ohne Happy End sind, sie können vom Verschwinden des familiären Singens berichten, von den Zwängen der Arbeitsbedingungen und fehlenden finanziellen Voraussetzungen.

Die kleinen und großen Sänger dagegen aus den Gruppen des Staats- und Domchores und des Mädchenchores der Sing-Akademie zu Berlin, die quasi allesamt als Schirmherren und -damen des Symposiums groß werden – sie musizieren in geschützter Umgebung und kommen aus Elternhäusern, in denen die Überzeugung fest wurzelt, dass musikalische Bildung ein hohes Kulturgut ist. Zwei verschiedene Welten? Bestimmt. Das ganze Spektrum der Gegebenheiten vokalen Musizierens mit Kindern abzudecken, wäre wohl weder sinnvoll, noch ist es erklärtes Ziel des Berliner Symposiums. Ein bisschen abseits der Alltagssorgen – das soll es schon auch sein.

Was einst als kleiner Austausch in den Räumen des Kirchenmusik-Instituts der UdK begann, erreicht inzwischen jährlich rund 100 Teilnehmer. „Genau die richtige Größe“, findet Gudrun Luise Gierszal, Chorleiterin und innige Fürsprecherin der Music Learning Theory Edwin Gordons. Gemeinsam mit Kai-Uwe Jirka, Direktor des Staats- und Domchores und Chorleitungsprofessor an der UdK, rief sie das Symposium ins Leben und hat es nun unbeschadet ins verflixte siebte Jahr geführt. Längst ist das Berlin Career College der UdK als Veranstalter und technischer Organisator an ihrer Seite. Damit ist das interdisziplinäre Symposium auch fester jährlicher Programmpunkt im Weiterbildungsangebot der UdK, offen für jedermann. Mit dem großen renommierten Leipziger Kongress zur Kinder- und Jugendstimme – der 14. fand im Februar statt – will sich die Kinderchor-Tagung nicht messen, ihn aber gerne ergänzen: mit musikalischen Schwerpunkten, Kurzkonzerten, einem Experten-Hörstudio, Vorstellung neuer und bewährter Kinderchorliteratur, Hospitationen in den Gruppen des Staats- und Domchores und des Mädchenchores der Sing-Akademie – und alles in einer familiären Stimmung.

Stargast in diesem Jahr: Christopher Azzara, Professor für Musikpädagogik und Improvisation an der Eastman School of Music Rochester in den USA, ein großer Jazzer nebenbei. Vor anderthalb Jahren ging die Einladung an ihn raus. Alle positiven Eigenschaften eines amerikanischen Weltbürgers sind in diesem Mann vereint, was ihn anziehend macht und ihm schon nach kurzer Zeit stets eine Traube vor allem junger Menschen zum Plaudern beschert. Azzara ist die Leitfigur für eines der großen Themen, die Gudrun Gierszal und Kai-Uwe Jirka für dieses Jahr – neben dem Schwerpunkt Mädchenchöre und -stimmen – ausgesucht haben: Improvisation, weniger theoretisch zu durchdringen, als am eigenen Leibe zu erfahren. Dass die Teilnehmer in kleinen Workshop-Runden kindliche Spielfreude an den Tag legen, dem Unverkrampften der kindlichen Kundschaft wieder etwas näher kommen – das gehört sowieso zum guten Ton des Symposiums.

Lässt man sich auf Azzaras morgendliches Warm-up ein, ist Musik ein unendlich rotierender Spielball. „Learn by ear“, ist seine Forderung, „all is by the ear“: Alles, was ihr tut, das tut mit dem Ohr. Eine musikalische Idee am Leben erhalten und entwickeln, improvisieren und komponieren – das sind gleitende Übergänge, wie Azzara sie in vielen berühmten Beispielen erkennt, wie etwa Beethovens 7. Sinfonie. Dabei ist die Großform gar nicht nötig. Mit einem Kinderlied regt er sein Publikum an, die unendlichen Kombinationsmöglichkeiten von Floskeln, Patterns und Grooves zu erkunden. Jeder schnappt sich, was er mag. So entsteht eine sanfte Klangwolke, in die hinein Azzara „This old man“ singt und dabei sehr lässig, sehr locker lächelt.

Eine ähnliche Begeisterung versprüht Tilman Schulze, auch wenn er auf ganz andere Weise den Zugang zur Improvisation ebnet. Er ist zertifizierter Soundpainter, von denen es im deutschsprachigen Raum nur eine Handvoll gibt.

Mit einer ausgefeilten Zeichensprache leiten sie ihre Ensembles an und lassen allein durch Gesten Klanggemälde entstehen. Für seine Chorarbeit an der Grundschule nutzt Tilman Schulze das schon längst; für Erwachsene, die im Drang stehen, alles richtig machen zu wollen, gibt es für ihn kaum etwas Besseres zur Lockerung: „Beim Soundpainting gibt es kein Ergebnis, das falsch sein könnte. Kommt etwas, das ich nicht erwartet habe, lasse ich daraus wieder etwas Neues entstehen.“

Der Schlusspunkt nach zweieinhalb Tagen Hören, Singen, Diskutieren? Ein gemeinsames Finale mit den Konzertchören des Berliner Mädchenchores und des Mädchenchores der Berliner Sing-Akademie. Zwei unterschiedliche Chöre mit zwei unterschiedlichen Klangidealen, die es mit Brahms gemeinsam wagen. Weiter so!

Das achte Berliner Kinderchor-Symposium findet vom 21. bis 23. April 2017 an der Universität der Künste in Berlin statt.

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