Wir sind mit ihnen aufgewachsen und sind an ihnen gewachsen. Am Schluss, nach 25 Jahren, waren es rund 100 Ausgaben. Einhundert Mal Nachdenken über Komponisten. Jedes der sandfarbenen Bändchen (gern haben wir sie angefasst – gut lagen sie in der Hand) schien auf seine Weise den „Zwielicht“-Schlussvers verinnerlicht zu haben: Hüte dich, sei wach und munter. „Musik-Konzepte“, herausgegeben von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, eine andere Form, der Moderne zu huldigen. – Es war einmal. Mit Heft 120/21/22 „Bruckners Neunte im Fegefeuer der Rezeption“ ist diese Geschichte an ihr Ende gekommen. text + kritik, der alte Münchner Verlag seit dem Gründungsjahr 1977, hat eine Kündigung verschickt. Warum genau, bleibt bis heute einigermaßen im Dunkeln.
Jetzt (noch ist der Vulkan nicht erloschen) sind die ersten beiden Bände der Nachfolgezeitschrift erschienen, die nächsten zwei angekündigt. Gefunden hat man in KD Wolff einen Verleger, der für den kratzbürstigen Modernismus der geschassten Herausgeber einiges übrig hat – dank der großzügigen Unterstützung durch die Ernst von Siemens Musikstiftung auch einiges übrig haben kann. Und, keine Frage: Die Modulation von text + kritik zu Stroemfeld ist keine schlechte.
Es ist das Format, das den Neubeginn signalisiert. Den grafischen Vorschlägen ihres neuen Verlages folgend, haben sich die Herausgeber vom Griffig-Handlichen der „Musik-Konzepte“ verabschiedet. „querstand“ ist breiter, höher, schwerer geworden, ist – anders als die Vorgänger-Reihe – außen rau und innen glatt. Haptisch wie optisch stellt sich ein Katalog-Gefühl ein. Hier – so sprechen die jetzt vorliegenden Bände über Messiaens einzige Oper „Saint Francois d’Assise“ und zu Janaceks Musiktheorie – hat man Gewichtiges in der Hand.
Allerdings – das latent Prunkvolle des Formats will nicht überreden, nicht überblenden, schon gar nicht die Inhalte. Das Gestaltungsprinzip verantwortungsbewusster Architekten gilt auch in diesem Fall: „form follows function“. Wer den Debut-Band der neuen „querstand“-Reihe aufschlägt – eine materialgesättigte 300-Seiten Analyse zu Messiaens Franziskus-Bild und zur Musik der Franzikus-Oper –, dem springen die Veränderungen ohne weiteres ins Auge.
Anders als die sandfarbene Innenwelt der „Musik-Konzepte“ herrscht im „querstand“ blütenweiße Aufbruchs-Stimmung. Man ist lesefreundlicher geworden, hat auch im Schriftgrad noch einen Point zugelegt, was insbesondere dem Studium der Anmerkungen entgegenkommt. Vor allem aber die Notenbeispiele laden nun tatsächlich zum Mitlesen und Nachspielen ein. Kurz: Format und Aufmachung wollen das Geschriebene nachvollziehbar machen. In anderen Worten: Auch nach dem Ende der Avantgarde und dem Aufstieg des neuen Sensualismus – Kunst ist „event“, ist „Verzauberung“ – auch nach dem Zuendegehen der Moderne, deren gesellschaftskritischer Anspruch einst die Mehrheit einer gar nicht so schweigsamen Minderheit geeinigt hat, sind Metzger/Riehn Aufklärer, skeptische Aufklärer geblieben, halten sie fest am Erkenntnischarakter von Kunst: „querstand“ prangt in fetten Lettern zu quer gelegtem „e“ auf der Umschlagseite. Trotzig hält der Untertitel das alte Panier hoch: „Musikalische Konzepte“.
Und doch – man reibt sich die Augen – wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass zwei Herausgeber, die noch 2002 die Glückwünsche zum 25-jährigen Bestehen ihrer „Musik-Konzepte“ entgegennehmen konnten (mit dem alten Weggefährten Dieter Schnebel als Festredner in der Berliner Akademie und dessen Lob auf ein „Kompendium der Fortschrittsgeschichte“, wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass den eben noch Gepriesenen nur ein Jahr später vom Verlag text + kritik gekündigt wurde?
Ob die Vorwürfe und Vorhaltungen des „Musik-Konzepte“-Herausgebers (Neue Folge) Ulrich Tadday, (nachzulesen auf der Homepage des Münchner Verlags) den Grund dafür wirklich benennen oder doch eher verschleiern, ist strittig. Angeführt werden dort noch einmal jene Argumente, die das nicht-populistische Musikverständnis, eines, das Quote und Kommerz ignoriert, seit jeher begleitete. Ventiliert wird einerseits der bekannte Dogmatismus-Vorwurf – Unausgewogenheit, Voreingenommenheit in der Auswahl: „Wenn man die über 100 Bände der ,Musik-Konzepte‘ überschaut, fällt zunächst auf, dass etwa 50 bis 60 der sogenannten ,Heroen‘ der Musikgeschichte nicht behandelt worden sind … Es gibt nicht einmal einen Band über Richard Strauss.“ Zum anderen, was Darstellung und Vermittlung angeht, steht der Vorwurf der Hermetik im Raum. „Fehlender Dienst am Leser“, moniert Tadday.
So philiströs diese Vorhaltungen auch sein mögen – jede Konzeption, die den Namen verdient, besteht nun einmal darin, etwas Bestimmtes zu wollen und anderes nicht – die Sache selbst scheint durchaus komplizierter zu sein als diese Invektiven vermuten lassen. Heinz-Klaus Metzger jedenfalls beteuert, dass derartige Vorwürfe in 25 „Musik-Konzepte“-Jahren niemals Gegenstand der Debatte gewesen seien, „auch nicht andeutungsweise“. Was zur Debatte stand, habe die „redaktionelle Unabhängigkeit“ und die „kaufmännische Ehrlichkeit“ berührt, womit im einen Fall die vom Verleger verschleppte Anpassung der Herausgeberhonorare an den gestiegenen Verkaufspreis gemeint ist, im anderen Fall geschmäcklerisch motivierte Formalien wie Schreibweisen und Ähnliches. Darin, im „zerrütteten“ Verhältnis zum Verleger, sehen die Betroffenen Grund und Ursache dieser brüsken Kündigung.
Wie auch immer. In der Sache hat für Metzger/Riehn das alte Konzept bis heute seine Gültigkeit behalten. „Wir haben die ,Musik-Konzepte‘ 1977 begründet, um zu versuchen, der herrschenden Kriterienlosigkeit entgegenzutreten. Die Auswahl der Komponisten – und das betrifft die Vergangenheit wie die Gegenwart und hätte auch die Zukunft betroffen – hat und hätte sich nicht nach dem Kriterium des Publikumserfolgs oder des kommerziellen Erfolgs dieser Komponisten gerichtet.“ Im Übrigen werde, so Metzger, leicht übersehen, dass die „Musik-Konzepte“ (Alte Folge) wie deren „querstand“-Fortsetzung als eine Reihe über Komponisten aller Zeitalter gedacht war und ist, weswegen jede Auswahl von Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts immer auch jene Fallhöhe mitzuberücksichtigen habe, die durch den Rang der großen Meister seit Dufay und Josquin nun einmal vorgegeben sei.
Zugleich war und ist Musik für Metzger/Riehn durch und durch gesellschaftlich konnotiert. Die Wurzeln der von ihnen vertretenen Wertungs-Ästhetik reichen zurück in die Erfahrung des politischen Totalitarismus, um damit mittelbar – ob nun intendiert oder nicht – noch das Lebensreformpathos des deutschen Idealismus mitzutransportieren, wie es etwa bei Schiller formuliert ist. Darin mag eine Provokation für all jene liegen, die den kategorischen Imperativ des wertungsfreien Pluralismus im Munde führen, um dann doch nur die Gesetze eines mittlerweile globalisierten Marktgeschehens zu exekutieren, von dem sie gehört und gelesen haben mögen, von dem sie als Musikforscher allerdings nichts wissen wollen. Wichtig für den Leser ist das Fazit, dass ihm, so wie die Dinge liegen, im „querstand“ die Fortsetzung der „Musik-Konzepte“ mit anderen Mitteln begegnet. Unmittelbar ablesbar ist dies daran, dass das Messiaen-Thema und die kommentierte Übersetzung der Musiktheorie Leos Janaceks ursprünglich als Sonderbände der „Musik-Konzepte“ erscheinen sollten. Und noch mit den demnächst folgenden Nono- und Eisler-Heften erfüllen die Herausgeber alte Verpflichtungen. Man steht im Wort gegenüber den Autoren. Ein aussagekräftiges Urteil über den Weg des „querstands“ werden somit erst die kommenden Jahre ermöglichen. Gleichwohl – so viel Neugierde darf sein: Gegenüber dem Rezensenten haben die Herausgeber den Schleier schon mal ein wenig gelüftet. Zu erwarten sind demnach Sammelbände „über die fälschlich so genannte Minimal-Musik und die wahre“, über die „prophetische Rolle“ Ferrucio Busonis, über das letzte, utopische Opernprojekt Debussys. Versprochen ist ein Band zu den Orgelsonaten Mendelssohns, einer zur jungen russischen Avantgarde und – vielleicht – einer zum Komponisten Matthias Pintscher, ein anderer – möglicherweise – zu Paul-Heinz Dittrich und Erhard Grosskopf und auch die französischen Spektralisten hätten, so Metzger, eigentlich einen „querstand“ verdient. – Zukunftsmusik, die ins Gegenwärtige hineinscheint und ihre Konturen erhellt. Deren Querstände, das schönste chromatische Auswildern in andere Stimmverläufe, inbegriffen.