Entwarnung? Bleibt Bayern 4 Klassik bestehen? Eigentlich ja, will man den Worten von Hörfunkdirektor Johannes Grotzky glauben: „Von Seiten der Geschäftsführung des Bayerischen Rundfunks steht die Ausstrahlung von Bayern 4 Klassik auf UKW nicht zur Disposition. Es ist nicht die Absicht der Geschäftsführung, die Junge Welle zu Lasten von Bayern 4 Klassik auf UKW zu verbreiten.“
Doch die Musikfreunde von Bayern 4 Klassik wollen es nicht so recht glauben. Bis Donnerstag, dem Tag des Interviews, waren beim Bayerischen Musikrat 8.800 Unterschriften eingegangen. Und er sammelt weiter. Aus gutem Grund. Denn es gibt noch eine Hintertür, und die ist nach der ganzen Vorgeschichte riesengroß. Hat Grotzky in dem Interview auch angekündigt, dass der Rundfunkrat in Zukunft nicht mehr darüber abstimmt, dass Bayern 4 Klassik durch die Junge Welle abgelöst wird? Nein, danach sucht man im Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 16. November 2006 vergebens: „In der Tat gab es im Rundfunkrat Bedarf, noch einmal über Alternativen zu diskutieren – auch darüber, ob Bayern 4 Klassik auf UKW einer Jungen Welle weichen könnte. Dies ist aber eine partielle Diskussion, die ohne Auswirkung auf die Entscheidung der Geschäftsführung geblieben ist.“
Vergangenheit. Wie kann es nun weitergehen? Dazu gibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Tag später folgende Meldung: „In seiner Stellungnahme gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die erst auf wiederholte Anfrage zustandekam, hatte Grotzky auf das Votum des Rundfunkrates verwiesen.“ So vage der Hinweis „auf das Votum des Rundfunk-rates“ auch ist, kann man ihn getrost als seine Entscheidungsmaxime für die Zukunft ansehen. In diesem Sinne hat er sich auch grundsätzlich in einem Interview mit Caroline von Lowtzow von der Redaktion „Zündfunk“ am 23. Oktober 2006, also nach der letzten Rundfunkratssitzung, geäußert: „Wenn der Rundfunkrat eine Mehrheits-Empfehlung für UKW gibt, bin ich mir sicher, dass wir es machen.“ Können Johannes Grotzky und sein Intendant Professor Dr. Thomas Gruber die Kräfte, die sie in Bewegung gesetzt haben, vor oder in der nächsten Rundfunkratssitzung wieder stoppen und damit eine solche Empfehlung verhindern? Das wäre anständig im Sinne des neuen Beschlusses der Geschäftsführung. Es ist aber kaum zu erwarten.
Warum? Weil chaotische Kräfte am Werk sind. Ich nenne es absichtlich so: Wer zerstört schon absichtlich eine weit geschätzte kulturelle Einrichtung, die Welle Bayern 4 Klassik, mit der der Kulturauftrag erfüllt wird, die mit ihren Orchestern und ihrem Chor Träger kulturellen Lebens in der Region ist und die sich zum Beispiel auch in unserer Vergleichsuntersuchung zu fünf Kulturwellen durch besondere Verdienste hervorgetan hat (speziell im Vergleich zu NDR Kultur), um den Musikfreunden als Alternative die bloße Ankündigung einer neuen Katze im Sack anzubieten? Es geht nicht um Jung gegen Alt, es geht um Kommerz auf Kosten der Kultur. Der Intendant am 26. Januar 2006 im Rheinischen Merkur: „Es ist aber vorstellbar, dass wir Bayern 4 Klassik eines Tages nicht mehr über UKW verbreiten, sondern digital und flächendeckend in viel besserer Klangqualität als heute üblich.“ Nach UKW würde automatisch auch das Kabel wegfallen, das steht deutlich in vielen Artikeln. Woher soll dann die „Fläche“ kommen? Vom DAB, so die neue Perspektive der „Münchner Erklärung zur Digitalisierung“, die nach den Informationen von Johannes Grotzky in seinen beiden Interviews „Geräte- und Autoindustrie (BMW, Audi), ARD, Privatsender und Politik“ am 18. oder 19. Oktober 2006 unterschrieben haben.
Für Bayern 4 Klassik ist das doch wirklich nichts. Seit einem Jahrzehnt wird mit Millionen-Subventionen daran herumexperimentiert, und eine wesentliche Bedingung ist einmal mehr auf den Sanktnimmerleinstag verschoben worden: Wegen der Nachbarfrequenz der Bundeswehr darf die Sendeleistung nur ein mageres Kilowatt sein. Typisch für die Misserfolgsgeschichte ist folgender Zwischenakt, der in dem taz-Bericht angekündigt wird, der vom Beschluss des Hörfunkausschusses zum Erhalt von Bayern 4 Klassik handelt:
„Am 16. Oktober werden Industrie, Politik und Bundeswehr darüber verhandeln, ob nicht doch mehr DAB-Leistung möglich ist.“ Ein Ergebnis ist nirgends öffentlich mitgeteilt worden, die „Münchner Erklärung“ ist danach beschlossen worden. Von der neuen musikzeitung wissen wir, dass die Verhandlungen mit der Bundeswehr gescheitert sind und einmal mehr ein Prüfauftrag herausgekommen ist.
Droht einer neuen Jungen Welle auch diese digitale Perspektivlosigkeit? Nein, denn sie kann in Zukunft digital jenseits von DAB mit Techniken arbeiten, die in zwei Richtungen funktionieren und mit gewinnträchtigen interaktiven „Geschäftsmodellen“ verbunden werden. Und zwar so, wie es mit den neuen Handys der Fall ist, mit denen unmittelbar zu bezahlende Auswahlwünsche abgerechnet werden können. Ein Modell, das die Kasse zum Klingen bringen wird und bestens auf die Jugend, nicht aber auf die älteren Musikliebhaber zugeschnitten ist.
BMW, Partner der „Münchner Erklärung zur Digitalisierung“, weist zum Beispiel den Weg: „Innovative Technologien ermöglichen es dem Fahrer, beliebige Entertainment-Inhalte herunterzuladen und so sein Unterhaltungsprogramm individuell zusammenzustellen. Damit werde der Kunde zum aktiven Gestalter und sei nicht mehr von Autoradio im klassischen Sinne abhängig.“ (Inside BMW, 4.11.2005) Die Devise der entsprechenden Lobby lautet: Erst einmal einen neuen Sender gründen und ihn „on air“ populär machen, das Digitale baut später darauf auf. Johannes Grotzky im Interview mit Caroline von Lowtzow:
„(Dann) könnte die Rundfunkrätin Martina Kobriger vom Bayerischen Jugendring (...) mit ihrer Organisation eventuell behilflich sein, die Geräte mit unter die Jugendlichen zu bringen.“ Diese Rolle hat der Hörfunkdirektor also schon verteilt, und die anderen? Die Geschäftsführung hat ihre Entscheidung erst einmal an den Rundfunkrat abgegeben. Dort sitzen, wie es die letzte Rundfunkratssitzung am 12. Oktober gezeigt hat, Verbündete der BR-Verantwortlichen, die auch schon ihre Rollen zugeteilt bekommen haben. Sie sollen sich dafür stark machen, dass das „Geschäftsmodell“ Junge Welle öffentlich-rechtlich in Gang kommt, um das Geschäft mit der Jugend nicht anderen Plattformen zu überlassen:
Für eine Junge Welle muss sich der Bayerische Rundfunk mit seinen fünf UKW-Wellen etwas anderes einfallen lassen, als den Kulturauftrag mit Füßen zu treten. Dessen Erfüllung ist übrigens auch einklagbar.