Immer im Februar besinnt sich Trier, die Stadt mit dem 2000-Jahre-Erbe auf dem Buckel, auf das Gegenwärtige – in der Kunst. In Kooperation mit der „Gesellschaft für aktuelle Klangkunst Trier e.V.“ veranstaltet man im städtischen Kulturzentrum TUFA ein Festival auf der Grenze von notierter, improvisierter, installativer Musik, ein „internationales Festival für aktuelle Klangkunst“. Dieses Jahr in der 16. Ausgabe: zehn Konzerte, eine Klangkunstausstellung, Workshops für Schüler – ein dicht gepacktes Wochenende.
Was, so formuliert, nach Festival-Business as usual klingt, darin gerade aber nicht aufgeht. Trier ist anders. Bernd Bleffert und Thomas Rath, das Duo, das die Opening-Geschicke lenkt, hat nämlich nichts von dem in der Hand, worüber normale Veranstalter verfügen: die Kommandogewalt eines Fes-tival-Etats, der den Namen verdient, wenigstens eine medial streuende Großinstitution im Rücken, zur Seite namhafte Komponisten-Professoren, die ihre Schüler lancieren und so die Trends der Saison setzen. Nichts von dem passiert in Trier. Das Groß-, Hoch-, Glanz- und Farbspektakel überlässt Opening den anderen. Ablesbar noch am Programmheft, einem quadratischen Format, das in jeder Sakkotasche verschwindet, ohne Fotos und Apps auskommt, aber mit jedem Halbsatz meint, was da schwarz auf weiß zu lesen ist.
Womit Opening überrascht, erfreut, ist dieser stille Nebenweg abseits der Hauptwege unserer neuen Festival-Musik. Was nicht nur mit Aufstellung und Ausstattung zu tun hat, sondern auch damit, dass Thomas Rath und Bernd Bleffert sich im Prinzip als Opening-Künstler verstehen als die sie aus dem vormaligen Ensemble Tonwerke Trier hervorgegangen sind. Dass Kunst und Veranstaltung nicht auseinander gerissen sind, macht den Charme des Festivals aus, dem das Veranstaltete überhaupt ganz fremd ist. Was beim Festival läuft, was auf dem Programm steht, ist mehr oder minder Resultat von Künstlerfreundschaften, von Kontakten, die einer hat und die er mit anderen teilt und sich daran freut.
Nur so ist in diesem Jahr auch das famose Chitose Trio aus Tokio nach Trier gekommen. Chitose von Tausend. So alt nämlich ist die Gagaku-Zeremonialmusik des japanischen Kaiserhofs, 2009 aufgenommen in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes. Den Trierer Chitose-Kontakt gestiftet hatte Joep Dorren, niederländischer Sänger, Sprecher, Performer, befreundet wiederum mit dem Komponisten Antoine Beuger. Letzterer wurde daraufhin seinerseits von Bernd Bleffert gefragt, ob er sich nicht vorstellen könne, eine ältere Musiktheaterarbeit für Gagaku-Ensemble zu setzen. So kam es zu Teishin/Ryokan, einem stillen Kammertheater um die historisch verbürgte Dichterliebe zweier japanischer Mönchs-Poeten zu Anfang des 19. Jahrhunderts, besetzt mit Joep Dorren und Sylvia Alexandra Schimag als Sprecher, Irene Kurka Gesang und eben dem Chitose Trio: Oboe, Flöte, Mundorgel Sho.
Ihr eigenes Konzert hatte Chitose so überschrieben: „Klassische Stücke – Neue Stücke“. Man muss wissen: Längst nicht alle Gagaku-Ensembles sind bereit, sich in dieser Weise dem Zeitgenössischen zu öffnen. Opening auf Japanisch. Wodurch es auch zu zwei Uraufführungen kam. Ein Stück aus der Feder von Yuji Itó, Jahrgang 1956, einem nach europäischen Mus-tern und Maßstäben ausgebildeten Komponisten, der den Widerspruch der Globalisierung in sich herumträgt und dafür im Gespräch einfache Worte findet. „Als ich angefangen habe, Komposition zu studieren, gab es, wie Sie wissen, einen starken europäischen Einfluss auf Japan. Und wenn ich dann der zeitgenössischen europäischen Kunstmusik zugehört habe, hatte ich immer dieses Gefühl: Warum so viele Noten? Warum so gewaltsame Emotion? Und von dieser Zeit an habe ich nur noch wenige Noten geschrieben, mich auf einen nicht-gewaltsamen Weg begeben.“
Das Leise, das Zögernde, das Ehrliche seines Chitose auf den Klangleib geschriebenen „nonviolent way“ erschien am Ende fast wie ein Klangzeichen für diese ganze 16. Ausgabe des Trierer Opening-Festivals. Eines, für das Antoine Beuger im Übrigen ein zustimmungsfähiges Wort gefunden hat: „Man kann es ja Festival nennen, aber es ist ein bisschen wie eine Werkstatt, ein Ort, wo Künstler sich begegnen und wo Sachen entstehen können und wo gearbeitet wird und Möglichkeiten ausprobiert werden.“