Hauptbild
Blick hinter den Klang: Elena Ungeheuer. Foto: Pat Christ
Blick hinter den Klang: Elena Ungeheuer. Foto: Pat Christ
Banner Full-Size

Sicher ist erstmal gar nichts

Untertitel
Das Atelier Klangforschung der Universität Würzburg
Publikationsdatum
Body

Eine pauschale Aussage darüber, was denn Musik sei, können Elena Ungeheuer und Oliver Wiener vom Atelier Klangforschung an der Universität Würzburg nicht treffen. Hier wird nichts Sicheres über Klangerzeugung, Filterung, Verstärkung, Verhallung und Modulation von Instrumentaltönen „gewusst“. Sondern gefragt, was Musik einst sein konnte und was moderne Musik, sprich: die innovative Komposition von rohem oder recyceltem, organisierten und reorganisiertem Klangmaterial, wohl sein könnte.

Elena Ungeheuer holt den Forschungsgegenstand „Musik“ aus dem sicheren Refugium. Wo und wie wird das Bewegungsphänomen des flüchtigen Klangs abseits von der Erzeugung durch traditionelle Instrumente zur Musik? Die herkömmliche Vorstellung macht es sich mit ihrer hierarchischen Anordnung der Musikerzeugung recht einfach. An der Spitze steht unangefochten der Komponist als Hauptakteur. Dessen Opus geht von einer  Uridee aus, die allmählich ausgearbeitet wird. Irgendwann ist das Werk vollendet. Hinter ihm tauchen die Dirigenten und Klangregisseure, danach die Interpretinnen und Interpreten seines Werks auf. An letzter Stelle stehen Instrumente, Technik und Raum.

Ein solch dogmatisches Vorgehen ist schlechterdings unmöglich bei der, so der Würzburger Musikwissenschaftler Professor Ulrich Konrad, „Expedition ins Innere der Klänge“. Zu viele Bereiche werden tangiert. Klangerzeuger sind nur ein Aspekt, der in Betracht zu ziehen ist. Ganz wichtig ist Raum, in dem sich der Klang entfaltet. Doch auch damit ist es noch nicht genug. Verkompliziert wird alles durch den Akt des Hörens. Wie ein Mensch hört, hängt wiederum von seinen physischen Voraussetzungen, allen voran der Funktion seines Innenohres, aber auch von neuronalen, kognitiven, psychischen sowie kulturellen Voraussetzungen sowie soziokulturellen Einbettungen ab. 

Sie dürfen einem Neuling im Übrigen zunächst durchaus spanisch vorkommen, die zeitgenössischen Klanggesten, die suchend den Raum durchwandern. In Gerriet K. Sharmas Komposition „melt“ aus dem Jahr 2009, das während des „Konzerts Klangforschung“ Anfang Juli in der Würzburger Residenz aufgeführt wurde, zwitschert zum Beispiel etwas wie ein Vogel. Knips- und Knistergeräusche sind zu identifizieren. Es ist, als würde jemand stoßweise ausatmen. Die Nachahmung einer Art Rückkopplungseffekt lässt sich heraushören. Dann wieder scheint eine Kerze zu knistern. Der derzeit in Würzburg tätige Klangkünstler fängt in seiner Raum-Klang-Komposition, stark moduliert und konzentriert, gestreckt und geloopt, den Auftauprozess schmelzenden Eises ein.

Moderne Musik zu erforschen, bedeutet, stückweise das Repertoire an Suchmethoden und Analyseverfahren zu erweitern, um der komplexen Problemstellung, die  akustische Poetiken wie die von Sharma Forschern aufgeben, begegnen zu können. Die Trennung von historischer und systematischer Musikwissenschaft wird laut Elena Ungeheuer hierbei aufgehoben, die traditionelle Werkanalyse durch zahlreiche Perspektiven erweitert und verfeinert. Klangforschung in Musik kommt nicht ohne Musikpsychologie, soziologische Methoden und, mit Blick auf technologisch anspruchsvoll verknüpfte Instrumentalklänge in live-elektronischen Werken, elektrotechnisches Wissen aus.

Was die Studieninhalte betrifft, so bietet Elena Ungeheuer zusammen mit Oliver Wiener unter anderem Einführungen in das elektronische Komponieren an, im kommenden Wintersemester wird es ein Seminar über den Komponisten Marco Stroppa geben. Beim „Konzert Klangforschung“ war bereits Stroppas „Würzburger Fassung“ des elektronischen Teils seiner Komposition für Klavier und Elektronik „Traiettoria“ aus dem Jahr 1982 zu hören. Darüber hinaus wird natürlich auch mit Forschern der Würzburger Musikhochschule kooperiert.

Ausgehend von ihrer Doktorarbeit über die Anfänge elektronischer Musik befasste sich Elena Ungeheuer in den vergangenen Jahren mit allen, gerade auch nicht elektronischen Arten von Musik seit dem Jahr 1950. Im Mittelpunkt ihrer Arbeiten für das Atelier Klangforschung sieht die Professorin für Musik der Gegenwart in nächster Zeit die Ausarbeitung einer ästhetischen Handlungstheorie. Musikformen, egal ob überliefert oder gängig, sollen dadurch als weniger komplex, undurchdringlich und exotisch begriffen werden können. Letztlich sollen auf diese Weise musikwissenschaftliche Analysepraktiken neu gewichtet und systematisiert werden.  

Was sich hinter „Klang“ verbirgt, darüber wird im Übrigen nicht nur im Atelier Klangforschung nachgedacht. Elena Ungeheuer konstatiert vielmehr ein regelrechtes „Gerangel“ um die Frage, wie Klang geformt und wie er wahrgenommen wird. Für Medienarchäologen stehen die Medien an vorderster Stelle. Für Anhänger der „Cultural Studies“ gestaltet die Gesellschaft Klang. Für Instrumentenkundler geht Klangerzeugung und -veränderung von Instrumenten und Apparaten aus. All das, was hier isoliert betrachtet wird, will Elena Ungeheuer zusammenführen. Das Musikinstrument lässt die Professorin lediglich als Idealtypus in puncto Klangerzeugung gelten. 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!