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James Avery während der Proben zur Uraufführung von Mathias Spahlingers ,farben der frühe‘. Foto: Charlotte Oswald
James Avery während der Proben zur Uraufführung von Mathias Spahlingers ,farben der frühe‘. Foto: Charlotte Oswald
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Spiritus rector fürs Unmögliche

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Zum Tode des Dirigenten und Pianisten James Avery
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Am 8. März 2009 ist James Avery nach schwerer Krankheit gestorben. Der 1937 in Hutchinson (Kansas, USA) geborene Pianist und Dirigent war seit 1980 Professor für Klavier mit Schwerpunkt zeitgenössischer Musik an der Musikhochschule Freiburg im Breisgau (und zeitweise Gast in den USA) und hat sich vor allem als Interpret der allerneuesten Musik einen Namen gemacht.

Auf diesem Gebiet wurde er, Idealismus, Pragmatik, Arbeitseifer und Perfektionismus vereinend, zum Spezialisten für das, woran sich die Allermeisten nicht wagten. Der Pionier konnte erst so richtig aufblühen mit dem eigenen Ensemble. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ein Hochschullehrer ein Neue-Musik-Ensemble gründet (und anfangs finanziert), nur damit ein als unspielbar geltendes Werk eines Studenten in dessen Abschlusskonzert erklingt. Aus dieser Generosität ist 1992 das Ensemble SurPlus entstanden, das seither weltweit auftritt und ein beeindruckendes Repertoire angesammelt hat.

Avery war für alles zu gewinnen. Hätte man von ihm gewünscht, auf der Internationalen Raumstation die zweite Sonate von Boulez zu spielen, er hätte es nicht von vornherein abgelehnt. Dabei betrachtete er sich stets als gleichberechtigter Partner. Ein potenter Veranstalter war dem Verzweifeln nahe, weil der Dirigent Avery keine höhere Gage als die Ensemblemitglieder verlangte. Seine Bescheidenheit war kein Widerspruch zur Tatkraft. Er war liebenswürdig, aufmerksam und ohne jede Arroganz. Einem Studenten, der glaubte, das Ensemble verfüge über übernatürliche Fähigkeiten, wenn es „unspielbare“ Werke probe, entgegnete er mit seinem unnachahmlich trockenen Humor: „Wir spielen nur mit dem, was uns Gott mitgegeben hat“.

Avery war ein exzellenter Rhythmiker mit einem nahezu absoluten Tempogefühl. Geprobt wurde mit jedem Einzelnen, erst dann in der Gruppe. Vorbild war Schönbergs Verein für musikalische Aufführungspraxis. SurPlus war dabei mehr als ein Liebhaberensemble. Denn es wurde zum Insidertipp für das Vertrackte. Die oberste Regel war: Es wurde kein Werk, aus welchem Grund auch immer, zurückgewiesen. Es gab nichts, was nicht gemacht wurde, weil prinzipiell alles möglich sein sollte. Auch das scheinbar Unrealisierbare, auch das extrem Schwierige und Aufwendige. Das klingt banal, wer aber die häufigen ideologischen Vorbehalte in der Neuen-Musik-Szene kennt, weiß, dass dies eine rare Ausnahme darstellt. So verdanke ich ihm persönlich die Realisierung fast aller großen Projekte, die andernorts abgelehnt wurden. Ohne James Avery wäre ich als Komponist nicht soweit gekommen. Ich (und viele andere auch) werde ihm immer dankbar sein.

Avery verkörperte nahezu alle positiven amerikanischen Tugenden: weltgewandt, stilistisch offen, demokratisch, entdeckerfreudig, anti-borniert, nicht-hierarchisch, unermüdlich arbeitsam. Wer in den letzten Jahren an Amerika und den Amerikanern zu verzweifeln glaubte, konnte in James Avery einem eindrucksvollen Gegenbeispiel begegnen.

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