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Unworte, orphisch

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Es ist ja nicht so, dass nicht schon früher von verschiedensten Interessengruppen versucht worden wäre, auf den Inhalt dieser Zeitung Einfluss zu nehmen, aber was sich nun anlässlich unserer Leserumfrage in Sachen „Musikalisches Unwort des Jahres“ zutrug, hat uns dann doch überrascht.

Da meldete sich zum Beispiel der für den Bereich „Education“ eines sich in Bau befindlichen Konzerthauses Zuständige und stellte uns für den Fall, dass wir den Begriff „Musikvermittlung“ nicht zum Unwort küren sollten, eine Erwähnung in einer renommierten Wochenzeitung in Aussicht. Das konnten wir uns natürlich nicht entgehen lassen und ermittelten – frei nach dem bewährten Motto „Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“ – einen Wert von kümmerlichen 13 Prozent. Prompt erfolgte die Gegenleis­tung: Die geschickt zwischen Rüge in diesem speziellen Fall und wohlwollender Anerkennung im Allgemeinen changierende Erwähnung unseres Blattes fand statt, unsere Aboverwaltung brach zusammen und verabschiedete sich in den Weihnachtsurlaub.

Nicht ganz so konkret war betrüblicherweise die Mail, die uns aus einem in NRW beheimateten Projektbüro erreichte. Hier wurde lediglich in bemühter Unschuldigkeit nachgefragt, wie der Stand der Abstimmung sei. Trotz des gewissen Interpretationsspielraums, den dies zuließ, entschieden wir schweren Herzens, auch den Begriff „JeKi“ zu verschonen – man weiß ja nie, wofür es mal gut sein könnte. Immerhin 37 Prozent setzten wir aber aus Glaubwürdigkeitsgründen an.

Vergeblich warteten wir indes auf ein Lebenszeichen seitens der Grundmusikalisierer: Weder die NLEG (Nationale Liga zum Erhalt des Grundmusikdienstes) noch der internationale Dachverband IABM (International Associa-tion for Basic Musicalisation) hielten es für nötig, ihr Anliegen zu verteidigen. Da fanden wir es nur recht und billig, diesen entweder inkompetenten oder aber die Meinungsmacht einer allgemeinen Musikfachzeitung hoffnungslos unterschätzenden Waschlappenlobbyisten die entsprechende Quittung zu verpassen. Als Vorweihnachtspräsent knallten wir ihnen satte 49 Prozent für ihren Begriffsfetisch „Grundmusikalisierung“ vor den Latz. Selber schuld.

Warum wir dieses Prozedere hier ausplaudern? Nun, zum einen, weil wir unbedingte Transparenz als eine journalistische Grundtugend hochhalten, zum anderen, weil wir Interessenverbänden, Kulturmanagern und anderen Dampfplauderern ein ähnliches Desaster im kommenden Jahr ersparen wollen: Ab sofort nimmt die Redaktion Angebote für den Fall entgegen, dass wir deren Kampfmotto, ihren Festivalnamen oder ihre Worthülse bei der nächsten Wahl zum Unwort nicht nominieren.

Um dieses Jahresend-Editorial aber wenigstens zum Schluss hin den Niederungen des schmutzigen Journalistenalltags zu entheben, möge ein der Unworte gänzlich unverdächtiger Geheimrat das letzte Wort haben: „Im Leben ist's bald hin-, bald widerfällig / Es ist ein Tand und wird so durchgetandelt. / Schon hat sich still der Jahre Kreis geründet, / Die Lampe harrt der Flamme, die entzündet.“

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