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Urheberrecht im Internetzeitalter – aber wie?

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Der Komponist Johannes Kreidler über die GEMA und die Schwierigkeiten, Geld zu verdienen
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"Im Internet wird auch eine riesige Kreativität freigesetzt. Das ist ein Segen für die Menschheit, glaube ich."

Berlin. Johannes Kreidler widmet sich dem Komponieren mit dem Computer. Er komponierte zum Beispiel „Money“ für Klarinette, Violine, Gitarre, Klavier und Sampler oder „kinect studies“, Videos von Konzeptstücken mit dem Microsoft Kinect 3D Sensor. Mit Aktionen wie „Fremdarbeit“, bei der er Komponisten aus Billiglohnländern für sich komponieren ließ, oder „Call Wolfgang“, einer Installation und Netzaktion, bei der zwei Computer via VoIP miteinander unter Verwendung von automatisch generierten Terrorabsprachen telefonieren, nimmt er zu Problemen der Zeit wie Billigarbeit oder Vorratsdatenspeicherung Stellung. Kreidler gewann zahlreiche Kompositionspreise, so den Stipendienpreis der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik oder den Nachwuchsförderpreis der GEMA. Seine Werke genießen internationale Beachtung. Franzpeter Messmer befragte ihn nach seinen Wünschen hinsichtlich einer Reform des Urheberrechts, welche die neuen Chancen und Gefahren des Internet berücksichtigt.
neue musikzeitung: 2008 erregten Sie mit der Aktion „Product-Placement“ in den Medien großes Aufsehen. Was war das Ziel dieser Aktion?
Johannes Kreidler: Als Komponist befasste ich mich schon Jahre lang mit Sampling, also mit dem Remix bereits bestehender Musiken. Dabei wurde mir bewusst, dass dies urheberrechtlich ein Problem ist. Im Anmeldebogen der GEMA wird das deutlich, da dort jeder Fremdanteil an einem Werk angegeben werden soll, übrigens nicht nur urheberrechtlich geschützte Anteile, sondern jeder Anteil, der nicht von mir als Komponist stammt, was grundsätzlich gesehen fraglich ist. Da wird es schon etwas grau. Offenbar ist diese Regelung noch aus analogen Zeiten, in denen man eine Cover-Version machte, Variationen über ein Thema schrieb oder ein DJ 50 Platten hatte, die er remixte. Heute haben wir ein Internet voll von Millionen von Musikstücken, die wiederum kreativ weiterverarbeitet werden können. 2008 war die Diskussion über Musik im digitalen Zeitalter bei Weitem noch nicht so präsent in den Medien wie heute. Ich komponierte ein kurzes elektronisches Musikstück, das nur 33 Sekunden lang ist, aber 70.200 Samples enthält. Dieses Stück habe ich korrekt bei der GEMA mit 70.200 Formularen mit allen Nachweisen des Fremdanteils angemeldet. Diese Formulare füllten einen Lastwagen, den ich bei der GEMA vorfuhr.
nmz: Mit dieser Aktion beteiligten Sie sich daran, eine Diskussion anzustoßen, die jetzt im politischen Raum angekommen ist, besonders seit den Erfolgen der Piraten-Partei. Andererseits sind Sie Mitglied der GEMA. Wie lässt sich das miteinander vereinbaren?
Kreidler: Ja, ich bin Mitglied in der GEMA. Sonst hätte ich diese Aktion nicht durchführen können. Ich habe auch von Anfang an gesagt, dass es mir nicht um die Abschaffung der GEMA geht. Ich habe einige Punkte zu kritisieren, und da ich als außerordentliches Mitglied bei der GEMA-Mitgliederversammlung keine Stimmberechtigung habe, wählte ich meine künstlerischen Mittel, um meine Meinung geltend zu machen. Aber ich halte es ganz grundsätzlich für eine sehr sinnvolle Sache, dass sich die Komponisten in einer Gesellschaft solidarisch vereinigen. Diese Infrastruktur sollte erhalten bleiben. Auch bin ich nicht dafür, eine Gegen-GEMA zu gründen. Allerdings wünsche ich mir, dass sich die GEMA fortbewegt, dass sie mit der neuen Zeit geht.
nmz: Wie müsste ein Urheberrecht, das dem Internet angepasst ist, gestaltet werden? Die Benutzer wollen, dass Kultur für alle zugänglich ist. Doch die Komponisten haben dann das Problem, dass sie kein Geld mehr verdienen würden. 
Kreidler: Eine Lösung, die alle Beteiligten zufriedenstellt, gibt es wohl nicht. Ich habe auch nicht die goldene Lösung. YouTube und GEMA müssten jedenfalls eine Einigung finden. Ich glaube, das würde nur so gehen, dass sich die GEMA von Einnahmen verabschiedet. Die Erwartungen, die noch bestehen, sind zu hoch. Man hat früher mit CDs horrend viel Geld verdient. Heute sind diese Umsätze nicht mehr möglich. Dies ist eine Sache von Angebot und Nachfrage. Im Internet kann man Musik unendlich oft kopieren. Somit ist das Angebot unendlich groß. Gegen diese Entwicklung kann man fast nichts machen. Es gibt Dinge, mit denen man Geld verdienen, und Dinge, mit denen man kein Geld verdienen kann. Bei Konzerten, bei denen man Eintritt verlangen kann und wo ein Zaun drum herum ist, geht das problemlos. Aber mit Sachen, die unendlich kopierbar sind, wird es schwierig. Damit muss man sich abfinden.
Die andere Frage ist die des Gemeinwohls. Ich bin Komponist, aber zugleich Konsument. Ich kaufe auch keine CDs mehr und profitiere als Konsument vom Internet, aber wiederum auch als Produzent, da ich kreativ mit Klängen umgehen will und diese Klänge sind wiederum schon als Samples, als vorgefertigte Bausteine da. Das ist auch ein Zeichen der Zeit. Da muss auch Kreativität ermöglich werden. Die Idee von Creativ Commons halte ich für sinnvoll und würde mir wünschen, dass die GEMA diese Differenzierung integriert, dass es also nicht nur das eine Modell gibt: „Ich bin der Urheber und ihr müsst jetzt zahlen,“ sondern ich kann sagen: „Eine nichtkommerzielle Nutzung ist erlaubt, ihr dürft remixen, aber nur mit Namensnennung.“ Das ist ein Ansatz, der zwar sehr aufwendig ist, weil er so differenziert ist. Aber er ist für die heutigen Verhältnisse adäquater.
nmz: Sollten Komponisten mehr Selbstbestimmung dafür erhalten, wie ihre Werke genutzt werden dürfen?
Kreidler: Man übergibt heute als Komponist sein Gesamtwerk der GEMA. Ich darf zum Beispiel als Komponist dann meine Musik nicht mehr verschenken oder zum kostenlosen Download anbieten. Dann müsste ich sogar selbst GEMA-Gebühren bezahlen. Das halte ich für widersinnig. 
nmz: Der Schriftsteller Wladimir Kaminer sagte in einem Interview, dass im alten Russland ein Geschichtenerzähler auch kein Geld für seine Geschichten erhielt. Bald, so meint er, wird man auch heute kein Geld mehr damit verdienen können. Sehen Sie das auch so pessimistisch?
Kreidler: Er hat da nicht so ganz unrecht. Doch andererseits wird im Internet auch eine riesige Kreativität freigesetzt. Das ist ein Segen für die Menschheit, glaube ich. Es gibt Modelle, die einmal im Gespräch waren, wie die Kulturflatrate, die ich vielleicht für einen guten Ansatz fände, oder letztendlich wäre die beste Lösung ein bedingungsloses Grundeinkommen.Heute muss man mit anderen Arbeiten versuchen, Geld zu verdienen. Ich kann überhaupt nicht von der GEMA leben, bin auf Kompositionsaufträge und Stipendien angewiesen, oder dass ich mit Vorträgen oder Unterrichten Geld verdiene. Es ist für mich geboten, dass ich alle diese Möglichkeiten wahrnehme, um meine Miete bezahlen zu können. So ist das leider in dieser Welt.
nmz: Der Verband der Musikindustrie fordert ein starkes Urheberrecht, das zu scharfen Kontrollen führen müsste. Ist das eine Lösung?
Kreidler: Es gibt die Idee des Gemeinwohls. Den Meisten ist dieser Zustand lieber als der Versuch der Musikindustrie, den alten Zustand mit Zähnen und Klauen aufrechtzuerhalten. Dies zeigt der Erfolg der Piratenpartei. Ich hatte Kontakte zu Leuten aus den großen Firmen der Musikindustrie. Das sind Geschäftsleute. Ob sie Musik oder Waschmaschinen verkaufen, ist ihnen eigentlich egal. Sie wollen ein Geschäft machen und greifen deshalb zu allen Mitteln. Doch die Rechnung kommt zum Beispiel im Erfolg der Piraten zurück.
nmz: Wie sehen Sie Ihre Situation als Komponist zwischen dem Gemeinwohl und dem Geldverdienen, also dem „Geschäft“?
Kreidler: Es ist ein Zwiespalt. Selbstverständlich sollten Künstler von ihrer Kunst leben können. Es ist nicht schön, wenn man halbtags kellnern oder andere Tätigkeiten dieser Art machen muss. Andererseits gibt es den technologischen Fortschritt, das Gemeinwohl. Man ist nicht nur Komponist, sondern auch Konsument. Ich muss viel weniger Geld für das, was mein Leben sehr bereichert, nämlich die Musik, ausgeben. Also ich bin da mitten drin und hoffe, dass es dieser Situation gemäß dann auch politische Lösungen geben wird. Das ist zwar schwierig, aber in jedem Fall interessant. Und was ich als Künstler machen kann, ist, gerade diesen Zwiespalt in Kunstwerken fruchtbar zu machen.  

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