Im April 2016 ging es durch die Nachrichten: Im Rechtsstreit Vogel gegen die VG Wort hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine pauschale Verlegerbeteiligung bei den Ausschüttungen der VG Wort nicht rechtens sei. Den allermeisten Menschen in Deutschland waren die Hintergründe dieser Nachricht nicht bekannt; sie nahmen sie entweder gar nicht wahr, verstanden sie nicht oder taten sie als „für sie nicht relevant“ ab. Dass sich hier im Kleinen ein kulturpolitischer Paradigmenwechsel vollzieht, ist der Nachricht an sich nicht zu entnehmen. Betroffen sind: Autoren und Verlage.
In erster Linie geht es in dem Urteil um die Buchbranche. Das BGH-Urteil wirkt sich aber auch auf die anderen Verwertungsgesellschaften aus. Sprich: Musikverlage sind nicht „außen vor“. Und natürlich publizieren Musikverlage auch Bücher und Zeitschriften, sind also vom Urteil direkt betroffen. Das gilt auch für den Verlag, in dem diese Zeitung erscheint.
Worum geht es eigentlich? Juristisch gesagt: Um die Vergütung von Zweitverwertungen, vor allem um die Ausschüttung der so genannten Geräteabgabe. In Deutschland wie in vielen anderen europäischen Ländern ist das Kopieren zu privaten Zwecken ausdrücklich erlaubt. Wer also ein Buch auf den Kopierer legt, wer eine CD brennt und dies nicht zu kommerziellen Zwecken tut, macht sich nicht strafbar – obwohl er damit die schöpferische Leistung eines Urhebers nutzt, ohne dass diese „angemessen vergütet“ wird, wie das Gesetz es eigentlich verlangt. Am Kopieren des Buches verdient der Autor nichts, wohl aber der Hersteller des Kopiergeräts. Daher hat der Gesetzgeber verfügt, dass Hersteller von Geräten, die geeignet sind Kopien herzustellen (sei es von Printprodukten, Tonträgern oder digitalen Urheberwerken), Abgaben leisten, die den Rechteinhabern wiederum zugute kommen. Verteilstellen sind dabei Verwertungsgesellschaften wie die GEMA oder die VG Wort, die diese Geräteabgaben nach bestimmten Schlüsseln an Verleger und Urheber ausschütten; teils im Verhältnis 30 Prozent (Verlage) zu 70 Prozent (Autoren), teils mit 50 zu 50 Prozent. So war es zumindest in der Vergangenheit.
Die Idee dahinter: Autoren sind und bleiben zwar Inhaber ihrer Urheberrechte (die sie, selbst wenn sie wollten, nicht veräußern dürfen), können aber Nutzungsrechte an Verlage übertragen. Verlage, wenn sie ihre Aufgabe ernst nehmen, beraten den Autor und lektorieren das Werk. Darüber hinaus stellen sie das Werk her, vervielfältigen es und bringen es auf den Markt. An den Erlösen wiederum müssen Autoren „angemessen“ vergütet werden. Genaue Vereinbarungen regelt der Verlagsvertrag. Da Verlage in der Regel viel in eine Produktion investieren, sollten sie nach Wunsch des Gesetzgebers auch an den beschriebenen Ausschüttungen beteiligt werden.
Ein Autor des Beck Verlags, Martin Vogel, hat vor einigen Jahren dieses Agreement in Frage gestellt und dagegen geklagt. Schon einmal, Anfang 2000, war die Regelung unter Beschuss geraten. Damals hatte sich der Gesetzgeber ausdrücklich zur Verlegerbeteiligung bekannt und dieses Bekenntnis in einem Zusatz zum Urhebergesetz (§ 63a) niedergeschrieben. Darauf berufen sich im Übrigen sowohl die Verwertungsgesellschaften wie auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, wenn ihnen jetzt von verschiedenen Seiten vorgeworfen wird, sie hätten die sich andeutende Entwicklung verschlafen und nicht entschieden genug dagegen gewirkt. Der Gesetzgeber, das scheint eindeutig, wollte die Verlegerbeteiligung an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften ausdrücklich untermauern. Dass nun das höchste Gericht in Deutschland diesen klaren Willen umdeutet, mag ein Jurist verstehen; ein „Otto Normalverbraucher“ tut es nicht.
Dem Urteil des BGH vorausgegangen war im Übrigen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der „Sache Reprobel gegen Hewlett Packard“. Reprobel ist das belgische Pendant zur VG Wort; die Herstellerfirma hatte eben gegen die auch in Belgien geltende Verlegerbeteiligung geklagt. Das belgische Gericht hatte sich entschlossen, den Fall an den EuGH zu überweisen. Und hier hat das Gericht zu ungunsten der Verleger entschieden. Der BGH ist also diesem Urteil gewissermaßen nur gefolgt. Der Beck Verlag hat jetzt mit Unterstützung des Börsenvereins Verfassungsbeschwerde gegen das BGH-Urteil eingelegt. Aber das kann dauern …
Soweit der Sachstand. Was bedeutet das nun für die Verlage, für die Autoren, für die VG Wort und andere Verwertungsgesellschaften? Zunächst einmal wirkt das jetzt rechtskräftige Urteil vier Jahre zurück. Das bedeutet: Verlage müssen die Ausschüttungen für die Jahre 2012 bis 2015 (in 2016 wurde nichts mehr ausgeschüttet) zurückzahlen – in einer ziemlich kurzen Frist. Das in einer Zeit, in der gerade die kleinen Verlage ohnehin zu kämpfen haben, weil sie mit den schnellen aktuellen digitalen Entwicklungen aus Kostengründen nicht immer mithalten können. Insgesamt betragen die Rückforderungen etwa 300 Millionen Euro. Für viele Verlage dürfte diese Entwicklung absolut existenzbedrohend sein. Gewinner sind dann womöglich die Googles und Amazons dieser Welt, die günstig Rechte und Lizenzen bankrotter Kleinverlage aufkaufen können.
Wären die Verlage, so lautet das Gegenargument, gute Kaufleute gewesen, dann hätten sie seit 2012 Rücklagen gebildet. Denn das Verfahren ist seit dieser Zeit anhängig – und sie hätten ja wissen können, dass Rückforderungen drohen. Ja, hätten sie. Aber viele Verlage haben die ausgeschütteten Gelder einfach gebraucht, um ihren normalen Geschäftsgang aufrechtzuerhalten. Zeichen dafür, wie wichtig diese Ausschüttung für die Arbeit der Verlage ist. Das gerne gezeichnete Bild vom reichen Verleger und vom armen Autoren zieht – gerade bei kleinen Verlagen – schon lange nicht mehr.
Auch die GEMA dürfte im Übrigen betroffen sein. Nicht im Ausmaß der Buchbranche, weil der Anteil der Zweitverwertungen im Vergleich zur VG Wort relativ gering ist. Aber auch Musikverlage werden zur Kasse gebeten werden. Dunkel erinnert man sich, dass Großunternehmen oder „notleidende Banken“, wenn sie wirtschaftlich nicht mehr weiterkönnen, mit staatlicher Unterstützung rechnen dürfen. Verlage sind vermutlich nicht „systemrelevant“ aus Sicht des Wirtschaftsministers. Denn von einer Hilfsankündigung von politischer Seite war bisher nicht die Rede. Wo bleibt da Ihre Unterstützung, Herr Gabriel?
Branchenverbände und Politik arbeiten nun an zukünftigen gesetzlichen Lösungen, die eine Verlegerbeteiligung wieder möglich machen sollen. Diese müssten dann wohl auf europäischer Ebene realisiert werden. Sowohl Justizminister Heiko Maaß als auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters haben sich bereits in Brüssel dafür eingesetzt. An den Rückforderungen ändert dies aber erst einmal nichts. Und die gesetzgeberischen Mühlen malen wieder mal langsamer, als sich die Betroffenen das wünschen.
Das Verrückte ist, dass offenbar nur wenige Akteure das Urteil wirklich gut heißen. Natürlich der Kläger und mit ihm eine Autorenschar, die jetzt auch einen vernünftigen Umgang der VG Wort mit den Gegebenheiten in der Mitgliederversammlung zu unterbinden versuchte. Politik, natürlich Verlegerverbände, aber auch Gewerkschaften und Autorenverbände sind nicht glücklich mit der Entwicklung. Mittel- bis langfristig werden, das glauben viele, die Autoren von dem „Deal“ nicht profitieren. Denn Verlage werden sicher sowohl in ihrer Honorarpolitik als auch in ihrem „Investment“ auf die veränderte Situation reagieren müssen. Vor allem aber verliert das kulturelle Leben in diesem Land. Denn: „systemrelevant“ für das Kulturleben ist das vertrauensvolle Miteinander von Verlegern und Autoren allemal. Diese gewachsene Solidargemeinschaft existiert seit dem Ende der 1950er-Jahre und war für alle eine „Win-Win-Situation“ – auch im Sinne eines reichhaltigen literarischen und musikalischen Lebens. Dass die Idee der Solidarität heute nicht mehr viel gilt, ist ja nicht wirklich neu. Dass sie nun auch in der bisher fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Verlagen und Autoren aufgegeben wird, ist ein Trauerspiel, um nicht zu sagen: eine Katastrophe.