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Martin Ullrich. Foto: Koch
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Von der Schieflage eines erzwungenen Prozesses

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Martin Ullrich, Vorsitzender der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen, zur Lage in Baden-Württemberg
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Nach der Spaltung der Landesrektorenkonferenz der Musikhochschulen in Baden-Württemberg (siehe nmz 9/2013) blickte man gespannt darauf, wie die bundesweite Rektorenkonferenz (RKM) auf die Vorgänge in Baden-Württemberg reagieren würde. Über eine Gesamtposition des Gremiums soll nun bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung am 10. Oktober entschieden werden. Über die vorab erarbeiteten Eckpunkte sprach Juan Martin Koch mit dem RKM-Vorsitzenden Martin Ullrich.

neue musikzeitung: Am 17. Juli gab das baden-württembergische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) seine Eckpunkte für eine Umstrukturierung der Musikhochschulen im Land bekannt. Sieben Wochen später, am 3. September, wandte sich die Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen (RKM) mit einem offenen Brief an Ministerin Theresia Bauer. Warum hat das so lange gedauert?

Martin Ullrich: Das erste Interview habe ich bereits am 15. Juli gegeben, unmittelbar nachdem der Bericht des Landesrechnungshofes veröffentlicht wurde. Ich habe von dem, was ich dort gesagt habe, nichts zurückzunehmen, sondern allenfalls den einen oder anderen Punkt hinzuzufügen. Wir standen jedenfalls nicht mit den Händen in den Taschen da, während sich die Entwicklung in Baden-Württemberg vollzogen hat.

nmz: Am 15. Juli war das aber noch keine Gesamtposition der RKM…

Ullrich: Das stimmt. Eine Gesamtposition der RKM werden wir tatsächlich erst in der außerordentlichen Mitgliederversammlung am 10. Oktober erreichen. Es liegt in der Natur von Verbänden, dass der Vorsitzende oder der Vorstand bestimmte Positionen gut alleine vertreten kann, aber dass es auch Dinge gibt, die man im Plenum diskutieren und beschließen muss.
nmz: Wer hat über die Inhalte Ihres offenen Briefes vom 3. September beraten und wie sind die Eckpunkte zustande gekommen, die Sie nun vor der Mitgliederversammlung vorgelegt haben?
Ullrich: Das ist die Position des RKM-Vorstands, bestehend aus Susanne Rode-Breymann, André Stärk sowie Jann Bruns als Vorsitzender der Kanzlerkonferenz. Die exekutive Arbeit zwischen den normalerweise zwei Konferenzen im Jahr delegiert die RKM an ihren Vorstand. Der ist fünfköpfig, aber Rüdiger Nolte lässt als Rektor der Freiburger Musikhochschule vernünftigerweise im Moment sein Vorstandsamt in der RKM in allen Fragen ruhen, die Baden-Württemberg betreffen. Zur außerordentlichen Mitgliederversammlung sind dann alle 24 Mitgliedshochschulen eingeladen, auch alle fünf baden-württembergischen.

nmz: Sie haben sich bisher eher allgemein gegen die Sparpläne in Baden-Württemberg gewandt. Wird es nach der Sondersitzung auch Positionen zu den konkreten Eckpunkten des MWK geben?

Ullrich: Ich will unseren Diskussionen und Beschlüssen nicht vorgreifen, finde es aber in jedem Fall richtig, dass die RKM als nationaler Verband gerade nicht Einzelkonzepte diskutiert, wie sie vom Ministerium in Baden-Württemberg vorgelegt worden sind. Wir lehnen ja bestimmte grundsätzliche Voraussetzungen ab, unter denen dieses Sparkonzept überhaupt entstanden ist. Das sollen unsere Positionspunkte auch zum Ausdruck bringen und von daher ist es Absicht, dass wir uns zu Details dieses Konzeptes nicht äußern. Denn auf der einen Seite ist die RKM ein bundesweiter Verband, der sich in bestimmte landesspezifische Fragen nicht einmischt, auf der anderen Seite kritisieren wir die Rahmenbedingungen dieses vom Ministerium in Baden-Württemberg erzwungenen Prozesses so grundlegend, dass ich es nicht einsehe, mich auf Detaildiskussionen einzulassen, wenn insgesamt eine solche Schieflage besteht.

nmz: Unter anderem fordern Sie „angemessene Prozesse“ für Strukturveränderungen und sprechen auch den Faktor Zeit an…

Ullrich: Das ist aus meiner Sicht ein Kernproblem des Prozesses, der in Baden-Württemberg abgelaufen ist. Er ist von der Politik unter großem und überflüssigem Zeitdruck durchgeführt worden. Das hat zu einer absoluten Überstürzung geführt, die ganz viele Türen zugeschlagen hat. Ein Transformationsprozess in der deutschen Musikhochschullandschaft, egal welcher Art, kann grundsätzlich immer nur in einem angemessenen zeitlichen Rahmen und mit einem angemessenen Ressourcenaufwand stattfinden. Dafür gab es Best-practice-Beispiele wie die Gutzeit-Kommission, die seinerzeit die Musikhochschullandschaft in Bayern unter die Lupe genommen hat.

nmz: Ein Argument von Rechnungshof und Ministerium ist die angebliche Überkapazität von Studienplätzen. Sie haben nun konkrete Zahlen zum Absolventenverbleib angekündigt, erarbeitet vom Netzwerk für Qualitätsmanagement und Lehrentwicklung, dem zwölf Hochschulen angehören. Was ist da zu erwarten?

Ullrich: Sie sprechen die Achillesferse unserer eigenen Qualitätssicherung an. Hier ist auch Selbstkritik angebracht, und die bezieht sich auf alle Musikhochschulen: Wir haben uns in den letzten Jahren viel und vielschichtig mit Qualitätssicherung befasst, aber wir haben der Frage des Absolventenverbleibs und des Übergangs in den Beruf noch wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Das erweist sich in der derzeitigen Situation als fatal, denn wenn hier Zahlen und Behauptungen aus der Luft gegriffen werden, dann haben wir dem keine belastbaren Zahlen entgegenzusetzen. Das müssen wir dringend nachholen. Gleichzeitig muss man in aller Deutlichkeit sagen: Auch für die Annahmen des Rechnungshofes und des MWK gibt es keine belastbare Grundlage. Ich möchte hier keine Kaffeesatzleserei betreiben, wenn wir gerade dabei sind, das Versäumte nachzuholen, aber wir beobachten ja zwei Dinge, die sich im Moment noch schwer in Einklang bringen lassen: Zum einen gibt es dramatische Veränderungen auf dem Berufsmarkt für Musiker im weitesten Sinne, was die Anzahl fester Stellen betrifft. Auf der anderen Seite stellen wir fest, dass man verhältnismäßig wenig mit einer offen liegenden Arbeitslosigkeit von Musikern konfrontiert ist, wie es sie in anderen akademischen Bereichen, etwa in geisteswissenschaftlichen Fächern massiv gibt. Sprichwörtlich ist der Taxi fahrende Germanist und nicht der Taxi fahrende Musiker… Hier brauchen wir dringend eine belastbare Unterlage. Erste Zwischenergebnisse wird es hoffentlich im Verlauf des nächsten Kalenderjahres gaben. Wir sind aber gut beraten, diese Zahlen jetzt nicht aus dem Ärmel zu schütteln.

nmz: Die Frage nach der Anzahl von Studienplätzen ist aber auch eine grundsätzliche, oder?

Ullrich: So ist es. Deutschland erhöht stringent und konsequent seine Akademikerquote. Das finde ich auch ganz richtig. Wir haben in den letzten Jahren einen beispiellosen und fantastischen Aufbau von Studienplätzen an Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland erlebt. Die Musikhochschulen aber haben im großen Ganzen genauso viele Studienplätze wie vor zehn Jahren. Wir haben immer gut damit gelebt, weil wir uns gesagt haben: Lasst uns lieber das, was wir an Finanzierungsbedarf haben, weiter in die Qualität unserer vorhandenen Studienplätze stecken. Das führt aber dazu, dass der Anteil der Musikhochschulstudienplätze an den Studienplätzen insgesamt laufend kleiner geworden ist. Vor diesem Hintergrund finde ich es gefährlich und absurd, dass jetzt ausgerechnet die Musikhochschulen weitere Studienplätze abbauen sollen. Wo soll das hinführen, wenn wir unsere Musiklandschaft erhalten wollen? Wir brauchen doch einen gewissen Anteil genuin kreativer Menschen in unserer akademischen Gesellschaft! Es wird immer so getan, als wären Musikhochschulen reine Kultureinrichtungen. Natürlich sind sie ungeheuer wichtige Kulturträger, aber sie sind im selben Maße Stützpfeiler im Hochschulsystem. Da erwarte ich auch die Solidarität der anderen Hochschultypen und hoffe, dass diese nicht kommentar- und tatenlos dabei stehen, wenn eine Mitgliedsgruppe der Hochschulrektorenkonferenz auf einmal mit aus der Luft gegriffenen Argumenten zusammengekürzt werden soll.

nmz: Eine weitere Diskussion, die in Baden-Württemberg angestoßen wurde, betrifft mögliche Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer…

Ullrich: Ich fühle mich in einer etwas widersprüchlichen, um nicht zu sagen schizophrenen Situation: In jeder Sonntagsrede sämtlicher deutscher Hochschulpolitiker kommt die Forderung nach größerer Internationalisierung, nach intensiverem interkulturellen Dialog. Wenn ich so etwas hörte, habe ich mich immer gefreut und gedacht: Ist es nicht fantastisch, dass die Musikhochschulen bereits einen Grad von internationaler Netzwerkbildung erreicht haben, wie ihn sich die Universitäten und Fachhochschulen wünschen würden? Jetzt auf einmal wird den Musikhochschulen genau das zum Vorwurf gemacht. Auf der anderen Seite wäre es sicher falsch, wenn sich die RKM einer Diskussion über mögliche Gebührenmodelle rundheraus verweigern würde. Ganz wichtig ist, dass wir hier nicht zwei Dinge miteinander vermischen: die Willkommenskultur für ausländische Studierende mit der Frage, was angemessene Finanzierungsbausteine sein könnten. Unsere Ausstrahlung als weltoffene und internationale Hochschulen müssen wir uns in jedem Fall erhalten. Gleichzeitig haben wir durch die an der Leipziger Musikhochschule ins Werk gesetzte Gebührenstruktur jetzt die Chance, einmal modellhaft zu beobachten, wie sich solche Studiengebühren überhaupt auswirken.

nmz: Das baden-württembergische MWK behauptet, mit seinem Konzept die Situation der Lehrbeauftragten verbessern zu wollen. Ist das überzeugend?

Ullrich: Die Antwort auf die immer noch höchst problematische Situation muss doch sein, die vorhandenen Lehrbeauftragten besser zu stellen und nicht – so interpretiere ich die Ministeriums-Pläne – Studienplätze zu kürzen, um auf diese dauerhaft verzichten zu können! Das erscheint mir, ehrlich gesagt, zynisch. Indiskutabel ist außerdem der Vorschlag des Landesrechnungshofes, man solle feste Stellen einfach durch Lehrbeauftragte ersetzen, um mehr Geld zu sparen.

nmz: Wie stehen Sie zur Frage der „Mindestgrößen“ von Musikhochschulen, die ebenfalls in Baden-Württemberg aufkam?

Ullrich: Die derzeit in der deutschen Musikhochschullandschaft vorhandene Diversität in Größe und Struktur halte ich für gut, sie sollte grundsätzlich auch erhalten bleiben. Das heißt nicht, dass wir für die derzeitigen Strukturen einen Bestandsschutz auf ewig fordern. Diese Diversität kann sinnvoll weiterentwickelt werden. Das Argument, eine Hochschule mit 400 Studienplätzen sei international nicht konkurrenzfähig, kann ich allerdings nur weit von mir weisen. Das ist eine der argumentativen Sackgassen, in die sich die Diskussion in Baden-Württemberg bewegt hat.

nmz: In Baden-Württemberg bestünde ja nunmehr, da Winfried Kretschmann seine Ministerin ein Stück weit zurückgepfiffen hat, die Chance für die Musikhochschulen, den Umstrukturierungsprozess wieder mitzugestalten. Angesichts des zerschlagenen Porzellans erscheint es aber als fraglich, inwieweit die gespaltene Landesrektorenkonferenz da gemeinsam agieren kann. Was raten Sie den Kolleginnen und Kollegen?

Ullrich: Es würde mich außerordentlich freuen, wenn wir innerhalb der RKM wieder einen Schulterschluss, auch unter Einbeziehung aller baden-württembergischen Kolleginnen und Kollegen, hinbekämen. Wir alle sind uns bewusst, dass diese durch den politischen Druck, der aufgebaut worden ist, in eine ganz fürchterliche Situation geraten sind. Wir tun alle gut daran, da jetzt keine guten Ratschläge von außen geben zu wollen. Ich wünsche mir, dass die RKM ihren Teil dazu beiträgt, dass trotz aller kommunikativen Schwierigkeiten, Missverständnisse und Konflikte, die es in Baden-Württemberg gegeben hat, am Ende alle wieder an einen Tisch kommen.

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