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Günter Baby Sommer in Aktion. Foto: Hans Kumpf
Günter Baby Sommer in Aktion. Foto: Hans Kumpf
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„Was ich geben kann, ist Musik“

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Günter Baby Sommer widmet seine „Songs for Kommeno“ einem von Deutschen geschundenen Dorf in Griechenland
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Ob er denn wisse, in was für einem Ort er hier spielen werde? Das war die erste, die alles entscheidende Frage, die dem Jazzschlagzeuger Günter Baby Sommer im August 2008 vor seinem ersten Konzert in Kommeno gestellt worden war. Als er verneinte und ihm daraufhin die Geschichte des am 16. August 1943 von Angehörigen der deutschen Wehrmacht massakrierten Dörfchens im westgriechischen Epirus erzählt wurde, wollte er abreisen. Sofort. Kein Konzert, keine Musik an einem Ort, an dem die Vätergeneration aus seiner Heimat so grausam gemordet hatte.

In einer Zeit, in der kein Deutscher von nichts etwas wusste und sowieso für nichts etwas konnte, weil er sich brav jedem „Führerbefehl“ beugte, da zog das „Volk ohne Raum“ quer durch Europa und hierließ eine Blutspur, die auf ewig für Scham sorgt. Die teutonisch tapfere 1. Gebirgsjäger-Division etwa, nachdem sie im Russland-Feldzug ihren Mann zu stehen hatte, wurde 1943 nach Griechenland verlegt, um Deutschland in den Bergen des Epirus zu verteidigen – im Zeichen des Edelweiß. Als eine Kohorte dieser Truppe durch das kleine Dörfchen Kommeno fuhr, wo gerade zwei rivalisierende Partisanenverbände über die Abgabe von Lebensmitteln „verhandelten“, gerieten die Militärs beim Anblick eines Maschinengewehrs auf dem Marktplatz vor Schreck in einen Straßengraben. Die Dörfler halfen den Deutschen, ihren Kübelwagen Marke Volkswagen wieder flottzubekommen, die hier Andarten genannten Partisanen flohen zurück in die Berge und eine Abordnung von Bürgermeister, Priester und Lehrer suchte bei der Militärverwaltung sogar noch um eine Verständigung angesichts der natürlich verbotenen Waffe. Man habe die Andarten schließlich nicht eingeladen.

Vergeltung wofür?

Der Vorfall schien erledigt, wenige Tage später wurden in ganz Kommeno Mariä Himmelfahrt und bei der Familie Mallios eine sonnntägliche Hochzeit gefeiert. Im darauffolgenden Morgengrauen kamen die Deutschen zurück und suchten Vergeltung – Vergeltung wofür?

Darauf wird es nie eine Antwort geben. Fakt ist, dass rund 120 Soldaten und Offiziere über Kommeno herfielen und bis zum Mittag des 16. August 1943 wie wahnsinnig ein Blutbad anrichteten. 317 Menschen wurden ermordet: Säuglinge, Kleinkinder, wehrlose Frauen und Männer, die beiden Priester des Ortes, Greise, die gesamte Hochzeitsgesellschaft mit einigen Gästen, die von außerhalb kamen. Nur wenigen gelang die Flucht, noch weniger hatten das eigentümliche Glück und wurden verschont, einige waren durch Zufall in Nachbardörfern oder beim Viehhüten unterwegs.

Kommeno war ausgelöscht, der für diese Aktion verantwortliche Offizier setzte seinen Militärdienst später bei der Bundeswehr fort, die ihn 1973 „in Ehren“ entließ. Eine offizielle Wiedergutmachung von deutscher Seite gibt es bis heute nicht. Wie sollte die auch aussehen, wo nichts wieder „gut“ zu machen ist?

Auf dem Dorfplatz von Kommeno steht inzwischen eine Stele, auf der in alphabetischer Reihenfolge alle Namen der Ermordeten eingraviert sind. Daneben die Jahreszahlen, wie alt sie geworden sind. Ein Jahr, zwei Jahre, vier Jahre, 78 Jahre …

Musik für eine bessere Welt

Günter Baby Sommer hatte dann doch gespielt in jenem August vor vier Jahren, stellte seinem Konzert aber eine Rede voran, in der er darauf verwies, dass er just im August 1943 zur Welt gekommen war. Ein perfider Zufall, mehr nicht. Das Massaker – im Gegensatz zu den Wehrmachtsverbrechen in Babi Jar, Guernica, Lidice, Kefalonia, Malmedy, Monte Cassino, Oradour und Treblinka kaum bekannt – und den Namen von Kommeno wolle der Musiker aber bekannt machen, versprach er.

Und er hielt Wort. Diesen Sommer, am 16. August, genau 69 Jahre nach dem inzwischen exakt dokumentierten Massaker, feierten die Einwohner des unweit von Arta gelegenen Dorfes die Uraufführung der ihnen gewidmeten „Songs for Kommeno“ von Günter Baby Sommer. „Ich glaube an eine bessere Welt und will ein kleines Stück dazu beitragen“, begründete der Künstler sein Engagement. „Was ich geben kann, ist Musik.“

Lange Zeit wurde im Zusammenhang mit Griechenland nur über das Urlaubsland gesprochen. Heute, im Zuge der Währungskrise, die nur ein anderer Ausdruck ist für eine Systemkrise, für das unwiederbringliche Werte vernichtende Versagen des politischen Establishments, kreisen die Gedanken meist bloß um finanzielle Klischees. Berührungen, Empfindlichkeiten und Schuld gar, die aus der Vergangenheit resultieren, werden vollkommen ausgeblendet. Das Versagen von Politikerinnen und Politikern ist mehr als nur menschlicher Makel, es hat auch mit dem widerständigen Mitdenken der Bürger zu tun. Wie sehr könnten Wachheit, Engagement und Aufklärung anstelle von Abtauchen und geistlosem Mitläufertum dieser Welt helfen! Gut möglich, dass Günter Baby Sommer sein Griechenland-Projekt auch mit diesem Anspruch verband.

Was er in Kommeno gab, war nichts weniger als die Schreckensgeschichte des Ortes in Jazz. Gemeinsam mit vier griechischen Musikern interpretierte Sommer sein über die Jahre gereiftes und kürzlich auch für CD eingespieltes Projekt, das musikalisch um das Klagelied einer der wenigen Überlebenden vom August 1943 kreist. Sommer gewann im Laufe seiner enger werdenden Kontakte mit den Menschen des Dorfes die damals zehnjährige Maria Labri, ihm ein solches Miroloi vorzutragen. Zunächst war das nur für die CD-Aufnahme gedacht. Diese geradezu archaische Musik erklingt traditionell zur Beweinung der Toten, hier aber wurde mit ihr das Schicksal des geschundenen Ortes beklagt. Dass die alte Frau auch bei der von etwa eintausend Gästen verfolgten Uraufführung live mitgewirkt hat, machte die Sache umso ergreifender.

Beispielloses Verbrechen ohne Wiedergutmachung

Auf dem zentralen Platz des völlig neu wieder aufgebauten Kommeno gab es bereits am Vormittag des 16. August die alljährliche Gedenkveranstaltung. Neben dem Denkmal mit allen 317 Namen der Ermordeten zelebrierten Einwohner und Offizielle eine Erinnerungskultur, deren Gedenken weit über Kommeno hinausgeht. Immer wieder wurde betont, das Geschehene nie zu vergessen, allerdings nicht als Anklage, sondern als Mahnung. Man habe nie an so etwas wie Rache gedacht, für ein solches Verbrechen gebe es ohnehin keine Wiedergutmachung; freilich gab es bis heute ebensowenig eine wie auch immer geartete Entschädigung von deutscher Seite.

An diese Stelle trat nun mit Günter Baby Sommers „Songs for Kommeno“ ausgerechnet der Jazz. Der bald 69-jährige Schlagzeuger erwies sich einmal mehr als Urgestein widerständiger Improvisationskunst. Er scharte für sein Projekt vier griechische Musiker um sich – die Sängerin Savina Yannatou, den Klarinettisten Floros Floridis, den Bassisten Spilios Kastanis sowie Evgenios Voulgaris am Yayli Tanbur mit seinem so typischen Instrumentalklang. Als musikalischer Kernpunkt steht „Marias Miroloi“, das die ganz in dörflichem Schwarz gekleidete Frau zu mitternächtlicher Stunde vortrug. Doch schon der Einstieg in Sommers „Songs“ durfte Tradition anklingen lassen, Tradition, und keine Folklore. Insbesondere aus der berührenden Stimme von Savina Yannatou und den Dialogen, die sie mal zu Klarinette und Bassklarinette von Floros Floridis, mal zum sehr ursprünglichen Instrumentarium von Evgenios Voulgaris entwickeln sollte, strömte eine emotionale Kraft, der sich auch das weniger jazzaffine Publikum nicht verschließen konnte.

Heftig wurden solche Phrasen von Sommers Schlagwerk attackiert, innig hingegen arbeitete der Meister am lyrischen Hang, das seinen warmen Ton in die Nachtluft aussandte. Der Klang diverser Röhrenglocken erinnerte an die von den deutschen Gebirgsjägern zerstörte Kirche am Ortseingang, deren seither zum Schweigen verurteilte Glocke wie eine quälende Mahnung aus dem grauen Gemäuer ragt. Solche Motive wurden auf dem Markt von Kommeno sehr wohl verstanden. Aber auch ein marschrhythmisches Stück wie „Andartes“, in dem sich der Schlagzeuger kraftvoll donnernd auf die Partisanenkämpfe bezog, verhehlte seine Wirkung so wenig wie der den Kindern posthum zugedachte „Children Song“ oder das energetisch durchweg positive „Kommeno Today“ als Mut machender Blick nach vorn.

Günter Baby Sommers Botschaft ist in Kommeno hörbar angekommen, die Menschen waren begeistert und sahen dieses Konzert ganz offensichtlich als wichtigen Baustein für einen Prozess des Umdenkens in ihrer Erinnerungsarbeit. Die nicht wenigen deutschen Gäs-te wurden von der Dorfgemeinschaft überaus herzlich aufgenommen. Dass Sommer, seit zwei Jahren Ehrenbürger von Kommeno, nächstes Jahr wieder nach Epirus reist, steht außer Frage. Wie dann aber das Gedenken siebzig Jahre nach dem Massaker vollzogen werden soll, ist noch völlig offen. Gut möglich, dass neben dieser persönlich-künstlerischen und von der Bundeskulturstiftung unterstützten Handreichung endlich auch eine offizielle Ges-te aus Deutschland erfolgt. Es wäre an der Zeit dafür. Denn inzwischen ist bekannt, was für ein Ort Kommeno ist.

  • Die „Songs for Kommeno“ erklingen am 2.11. beim Jazzfest Berlin, am 4.11. in Zürich und am 5.11. in Wien. Im April 2013 sollen weitere Aufführungen folgen, u.a. im Festspielhaus Hellerau.

CD-Tipp

  • „Songs for Kommeno“, Intakt Records, Best.-Nr. 2922356

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