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Was ist eigentlich eine integrative Rockband?

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Live gut und im Studio: Die Wiener Rockband echt stoak präsentiert ihre CD „Sonnenfrau“
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Der Begriff der Musikvermittlung ist seit geraumer Zeit in aller Munde. Im musikalischen Volksmund wird darunter mittlerweile nahezu alles subsummiert, was musikalisch-künstlerisch und musikpädagogisch außerhalb des schulischen Musikunterrichtes für Kinder und Jugendliche angeboten wird. Auch wenn die folgenden Artikel aus Sicht der Fachleute einem recht emanzipierten Begriff der Vermittlung unterliegen, so stellen sie dennoch eine repräsentative und aktuelle Mischung an musikvermittelnden Aktivitäten der außerschulischen Musik- und Konzertpädagogik dar:

Musik ist eine universale Erfahrung in dem Sinne, dass alle an ihr teilhaben können; ihre fundamentalen Elemente Melodie, Harmonie und Rhythmus sprechen jeden Menschen an und aktivieren die entsprechenden psychischen Funktionen. Musik ist auch dahingehend universal, dass ihre Botschaft, der Inhalt ihres Ausdrucks, alle Höhen und Tiefen menschlicher Erfahrung umfassen kann. Sie kann die Seele durch alle Stadien ihrer Erfahrung führen oder begleiten, ganz gleich ob diese nur oberflächlich und verhältnismäßig allgemein sind oder tief und sehr persönlich.

Diesen Standpunkt hat sich Kurt Mittler seit vielen Jahren zu eigen gemacht. Der Musiker und Instrumentallehrer – gleichzeitig auch in der bildnerischen Kunst tätig – öffnete seit vielen Jahren schon seine Gitarren-Kurse an einer Wiener Volkshochschule auch für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Denn gerade für sie kann Musik eine Welt voll zwingender, aktivierender Erfahrung werden. Sein Engagement stieß bei verschiedenen Seiten auf großes Interesse. So überließ die Administration dieser Volkshochschule Mittler einen geeigneten Proberaum, wobei die Finanzierung von Seiten der Magistratsverwaltung abgewickelt wird.

Vor einigen Jahren hat sich in diesem Rahmen die Gruppe echt stoak formiert. Da musizieren Niki Prasek und Reinhard Sinn, voc, sowie Severin Neira, Drums, gemeinsam mit bekannten Musik-Profis wie Conrad Schenk, Gitarre, Wolfgang Heinrich, E-Bass und Christian Mühlbacher, Drums. Mit „Sonnenfrau“ brachten sie jüngst ihre dritte CD auf den Markt.
Bei ihren Auftritten auf Festivals, beim Integrationsball oder während der CD-Präsentation springen die Funken unmittelbar über. Viele Mitwirkende berichten von positiven Energien, die geflossen sind, von der guten Laune, die ansteckend wirkt, von dem runden, ganzen Erlebnis. Denn hier passiert etwas Erstaunliches: Die Beschäftigung mit der Musik, die Proben, das gemeinsame Erarbeiten der Songs und die Aufführungen, alles das vermag einen häufig zu spürenden Isolationskreis zu durchbrechen. Mitunter sind diese Menschen durch ihre geistige oder körperliche Behinderung – oft sind es auch Mehrfachbehinderungen – vom Lauf und Inhalt eines normalen Lebens weitgehend abgeschnitten. Sie sind darin beeinträchtigt, Lebenserfahrungen zu assimilieren und haben teilweise wenig oder gar kein Zutrauen zu den Kräften der eigenen Psyche. Sie leben teilweise in einem Strudel von Emotionen, oder umgekehrt kann ihr Bewusstsein so schwach sein, dass es nur entstellte Bruchstücke der Wirklichkeit des Seins verarbeitet. Kommunikations-Schwierigkeiten verhindern zuweilen die Aussicht auf mancherlei Können und auf die damit verbundene Lebenserfüllung.

Das gemeinsame Musizieren, die regelmäßigen und intensiven Proben sowie die Auftritte durchbrechen diesen negativen Kreis. Kurt Mittler verwendet viel Zeit, um mindestens eine Probe pro Woche zu realisieren, die intensiv genutzt wird. Es sollte erwähnt werden, dass diese drei jungen Menschen die Proben in ihrer Freizeit absolvieren, denn tagsüber gehen sie ihrer Arbeit nach: Sie sind Gärtner-Gehilfe, Kellner und Weber. Kurt Mittler weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass diese Proben nicht nur der Freizeitgestaltung dienen, sondern dass da ein großer Teil an gesellschaftlicher Bildung und Erziehung stattfindet. Dass sie dort Toleranz, Respekt und Verlässlichkeit lernen und erfahren. Und dass diese Arbeit gesellschaftlich zunehmend gewürdigt werden sollte.

Schwierigkeiten meistern

Wie funktioniert das, einem Menschen, der nicht lesen kann, eine längere melodische Phrase oder einen Rhythmus beizubringen? „Die Band ist den Jungs so wichtig, sie sind ganz intensiv dabei. Jedes Lied haben sie gemeinsam komponiert, jede Wendung ist ihr eigener Ausdruck. Sie vergessen nichts. Was sie hier erarbeitet haben, nehmen sie mit nach Hause und bereiten es nach“, so Mittler über die Arbeit mit der Band. Die Themen sind selbst gewählt, etwa der Urlaub in Griechenland, sie selbst, ihre Ansichten über sich selbst, ihre Arbeit, ihre Träume. Gerade diese Authentizität macht sie stark.

Natürlich wollen die Musiker, die Behinderten wie die Profis, bei Live-Auftritten mindestens eben so gut spielen wie im Studio. Mit diesen hohen Ansprüchen an sich selbst treten sie auf. Und das kommt eben genau so über die Rampe.

Zum Thema Schwierigkeiten: Die Finanzierung der Produktionen wie auch die finanzielle und logistische Vorbereitung der Auftritte werden bislang komplett von den Familienangehörigen selbst getragen. Langfristig hoffen die Eltern von Niki, Severin und Reinhard, dass in absehbarer Zeit Sponsoren oder Vereine ihre Arbeit unterstützen werden.

Die beiden Instrumental-Nummern der CD „Sonnenfrau“, „Cool up the Brain“ und „Don’t kick the Duck“, haben nach Mittler Potential für eine Kurzfilm-Sequenz. Da er, selbst Vater eines behinderten Jungen, auch eine integrative Filmgruppe betreut, welche sich um Drehbuchgestaltung, um Schnitt und die Produktion von Filmen kümmert, darf man gespannt sein. Zur Zukunft befragt, ist es allen Beteiligten ein großes Anliegen, verstärkt – honorierte – Auftrittsmöglichkeiten angeboten zu bekommen, um die Arbeit einer größeren Öffentlichkeit vorstellen zu können. Man hofft auf Hilfe, um das schwere technische Gerät der Band vor Ort zu transportieren. Oder auf eine Unterstützung, um die anstehende DVD finanzieren zu können. „Es ist so mühsam, alles allein zu organisieren, für alles allein verantwortlich zu sein“, so Mittler.

Denn es sind ja nicht nur Forderungen, die gestellt werden. Auf der anderen Seite gibt die Band sehr viel zurück. Gerne sind Musikerzieher eingeladen, gemeinsam mit ihrer Klasse einer solchen Probenphase beizuwohnen; zu erleben, für welche große Begeisterung Musik sorgen kann; wie wichtig die Probenarbeit genommen wird.

Projekt Musikvermittlung

Was in Deutschland an vielen Musikschulen schon lange selbstverständlich ist, wird in Österreich derzeit an vielen Stellen diskutiert. Man denkt darüber nach, verstärkt Instrumental-Unterricht auch für Menschen mit besonderen Bedürfnissen anzubieten. An einer Wiener Musikschule wird ab Herbst eine Absolventin der Abteilung Rhythmik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Instrumental-Unterricht für behinderte Menschen anbieten. Auch das IGP-Seminar Neue Wege der Musikvermittlung der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien wird sich ab Herbst verstärkt diesem Thema widmen. Im Sinne einer „Pädagogik der Vielfalt“ wird Musik für alle Mehrheiten und Minderheiten gelehrt, um einer gleichberechtigten Wertschätzung und der pädagogisch untrennbaren Heterogenität willen. Es gibt viel zu tun!

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