Die Diskussion um die Online-Petition zur GEMA hat eine Eigendynamik entwickelt, die offenbar beide Seiten, die Initiatoren und die GEMA, überrascht hat und die wenig zur Versachlichung der Diskussion beigetragen hat. Die nmz möchte mit zwei Beiträgen die Hauptaspekte der Petition in den Blick nehmen. Lothar Scholz beschäftigt sich in seinem Artikel (eine ausführliche Version ist unter www.nmz.de zu lesen) mit der Unzufriedenheit der GEMA-Mitglieder selbst, nmz-Chefredakteur Juan Martin Koch hat die direkten Gegenspieler zum Gespräch gebeten: Monika Bestle hat als Geschäftsführerin der Kulturwerkstatt Sonthofen die Petition eingereicht, Jürgen Baier leitet die Bezirksdirektion Nürnberg und die Direktion Außendienst der GEMA. Das Gespräch dreht sich also um die Anliegen der Kleinveranstalter und hat mit der Auseinandersetzung über höhere GEMA-Tarife für Großveranstaltungen (darüber entscheidet ein Schiedsgericht) nichts zu tun.
neue musikzeitung: Frau Bestle, hatten Sie mit einer solchen Resonanz auf die Online-Petition gerechnet?
Monika Bestle: Dass es eine Unzufriedenheit mit der GEMA gibt, war mir bekannt. Die ersten schriftlichen Petitionen habe ich schon seit letztem Jahr gesammelt. Ich hätte die Online-Petition auch nicht eingereicht, wenn ich das nicht aus vielen Vorgesprächen gewusst hätte. Aber mit dieser Resonanz habe ich nicht gerechnet, das konnte man nicht ahnen.
nmz: Die Petition zielt mit einigen Forderungen zunächst einmal auf die Probleme von Kleinveranstaltern mit der GEMA. Wie lautet in diesem Zusammenhang Ihr zentraler Vorwurf?
Bestle: Es geht nicht darum, dass ein Recht nicht gewahrt werden soll, es geht darum, wie es durchgeführt wird. Die Berechnungsgrundlagen gehen meiner Meinung nach nicht mit den Gesetzen konform: die Raumgröße, die Tatsache, dass mindestens ein GEMA-pflichtiges Werk aufgeführt wird und die Höhe des Eintritts. Mit letzterem kann man leben, wenn auch die Preisspannen unerträglich sind, aber wenn ab einem GEMA-pflichtigen Werk die Veranstaltung mit dem vollen Satz abgerechnet wird, fehlt die Verhältnismäßigkeit.
Jürgen Baier: Was die Berücksichtigung des Anteils betrifft, so gibt es im Bereich der Ernsten Musik einen solchen Nachlass. Wenn nur ein urheberrechtlich geschütztes Werk gespielt wird, gibt es einen Nachlass von 50 Prozent, bei zwei Werken beträgt der Nachlass noch 25 Prozent.
Bestle: Das ist mir völlig neu, das wird nie erwähnt, und ist bei meinen Abrechnungen auch noch nie angewandt worden. Und ich weiß, dass das viele nicht wissen.
nmz: Es wäre also Aufgabe der Sachbearbeiter, darauf hinzuweisen und entsprechend abzurechnen?
Baier: Ganz klar, und es ist so, dass wir diese Regelung auch in Analogie im Bereich der Unterhaltungsmusik anwenden. Das können wir aber nur, wenn wir von einem solchen Missverhältnis erfahren. In der Regel bekommen wir das aber nicht mit, weil die Veranstaltung ja vorab pauschal gemeldet wird. Die Veranstalter müssten also auf uns zugehen.
Bestle: Sprechen Sie jetzt für die ganze GEMA?
Baier: Ja.
Bestle: Ich hoffe, das haben Sie jetzt genau gehört, Herr Koch!
Baier: Ähnlich ist es mit der Härtefallnachlassregel, die greift, wenn die Lizenzgebühr in einem Missverhältnis zu den Einnahmen steht. In Analogie kann man das auf das Missverhältnis zu den tatsächlich gespielten urheberrechtlich geschützten Werken übertragen.
Bestle: Aber es kann doch nicht sein, dass ich jedes Mal ein Bittgesuch stellen muss. Ein solches Recht muss für alle gelten. Im Moment erscheint mir das willkürlich.
Baier: Die Härtefallregel sieht natürlich bestimmte Fristen vor, bis zu denen der Nachweis dafür gebracht werden muss.
Bestle: Es würde der GEMA mit Blick auf ehrenamtlich geführte Vereine aber gut anstehen, diese Durchführungsverordnungen zu ändern. Da sitzen eben Vorsitzende, die das nebenher machen, da können die Fristen schon einmal verstreichen.
Baier: Regeln sind aber notwendig für den Ablauf, damit nicht am Ende des Jahres die Reklamationen kommen.
nmz: Fakt ist, dass viele von der Härtefallregelung nichts wussten, ob aus mangelnder Recherche oder weil die Informationspolitik der GEMA ungenügend war. Wäre es nicht denkbar, dass die GEMA ihre Informationsveranstaltungen, die es für Mitglieder gibt, auch für ihre Kunden, also die Veranstalter durchführt?
Baier: Das ist jederzeit möglich.
Bestle: Da werden die Leute überfordert, wenn sie auch noch Seminare besuchen müssen.
nmz: Eine einmalige Schulung ist nicht zumutbar für einen Vereinsvorsitzenden?
Bestle: Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Auftrag der GEMA, die nur für 60.000 Mitglieder steht.
Baier: Wir können so etwas nur anbieten.
nmz: Müsste bei der GEMA vielleicht ein Umdenken stattfinden, damit die Musiknutzer sich auch als Kunden fühlen und nicht als potenzielle Straftäter?
Baier: Wenn wir in unseren Kunden nur potenzielle Straftäter sähen, müssten unsere Kontrollkostenzuschläge, die wir bei nicht korrekter Anmeldung berechnen, einen deutlichen Teil unserer Gesamterträge ausmachen. Das ist aber nicht so, sie bedeuten einen Bruchteil. Aber wir müssen einen Kontrollapparat unterhalten, um die – bewusst oder unbewusst – nicht gemeldeten Veranstaltungen im Auftrag der Urheber zu ermitteln. Wir haben eine gesetzliche Verpflichtung: den Abschlusszwang und den Wahrnehmungszwang. Wir müssen jedermann die Rechte einräumen, wir müssen sie aber auch wahrnehmen.
nmz: Sind Ihre Mitarbeiter von der Vielzahl an Tarifen, Sondernachlässen und Ausnahmeregelungen selbst überfordert?
Baier: Ich sehe das Problem nicht darin, dass der Sachbearbeiter nicht wüsste, was er tut, sondern in der Kommunikation zwischen ihm und dem Veranstalter. Da kann es zu Missverständnissen kommen. Es ist richtig, dass die Aktion immer vom Veranstalter ausgehen muss. Wenn einige Zeit nach der Anmeldung und nach dem Konzert die Musikfolge bei uns eingeht, läuft diese ungesehen nach Berlin zur Verteilung. Da gibt es keine Rückkopplung mehr, nach dem Motto: Habt Ihr dem Veranstalter auch die 50 Prozent Nachlass gewährt? Wenn wir jede Musikfolge überprüfen müssten, wäre das ein nicht zu vertretender Aufwand.
Bestle: Ende der 1990er-Jahre wurde auf politischen Druck hin die Missverhältnisklausel (jetzt Härtefallnachlassregel) eingeführt, weil die Kleinveranstalterverträge gestrichen worden waren. Die wurde deutschlandweit aber sehr wenig angewandt, sie wurde möglichst nicht kommuniziert. Ich habe für meine Bühne im Nachhinein die Missverhältnisklausel zugesprochen bekommen und erreicht, dass ich grundsätzlich nachmelde, das sollte für alle gelten. Es ist ein Unding, dass ich erst bezahle und dann um die Rückzahlung kämpfen muss. Das ist oft schwierig und ich weiß von Fällen, wo das nicht geklappt hat. Außerdem muss ich für jedes Konzert meine gesamten Kosten offen legen, ich ziehe jedes Mal mein Hemd aus!
Baier: Die Vorabmeldung ist gesetzlich vorgeschrieben: Der Nutzer von urheberrechtlich beschützter Musik muss vorher die Erlaubnis einholen.
Bestle: Dann muss man das ändern. Die Petition läuft ja darauf hinaus, dass man auch die Gesetze überprüft. Warum gehen so viele Musiker (auch GEMA-Mitglieder) und Veranstalter vor Gericht, um Recht zu bekommen?
Baier: Bei jährlich etwa 700.000 Live-Musikveranstaltungen aller Art in Deutschland fallen maximal ein Promill unter die Härtefallregelung. Diese Ausnahme kann ich nicht zur Regel machen. Sonst müsste ich nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung bei allen Veranstaltungen erst einmal abwarten, dass sich der Veranstalter meldet; ich würde meinen Geschäftsbetrieb lahm legen.
Bestle: Mein Rechtsempfinden ist ein anderes. Wenn ich in einen Laden gehe, bezahle ich das, was ich mitnehme. Das Maß der Gebühren müsste der Eintritt sein. Wenn ich viel einnehme, kann ich auch entsprechend bezahlen, wenn ich wenig einnehme, kann ich das nicht. Das wäre sehr einfach zu überprüfen.
Baier: Eine solche Pauschale von zehn Prozent der Einnahmen haben wir etliche Jahre in Verhandlungen mit der Bundesvereinigung der Musikveranstalter, unserem Tarifpartner, durchzusetzen versucht, ohne Erfolg.
Bestle: Diese Großverbände sind eine andere Welt. Die Kleinveranstalter zahlen ja schon seit Langem unverhältnismäßig mehr. Wenn ich sehe, was die großen Veranstalter für Sonderverträge haben … Da sind die Beträge so gering, da habe ich Verständnis für die GEMA, wenn sie nun mehr verlangen will.
Baier: Auch für Kleinveranstalter gibt es neue vergünstigte Tarife, zum Beispiel für Kleinkunstbühnen, wenn es keine reinen Konzerte sind, für die offene Kinder- und Jugendarbeit und für Nachwuchsspielstätten.
Bestle: Von dem Kleinkunstbühnentarif wusste ich nichts. Was den Tarif für Nachwuchsförderung betrifft, so ist die Höchstgrenze für den Eintritt mit neun Euro einfach zu niedrig angesetzt, das ist nicht ausgegoren.
Baier: Als wir den Tarif ausgehandelt haben, waren die neun Euro nicht in der Diskussion, aber ich könnte auch mit zwölf Euro leben.
Bestle: Dazu kommen noch die Formalismen …
nmz: Der Veranstalter muss ein gemeinnützig anerkannter Verein sein. Ihnen, Frau Bestle, geht es insgesamt ja wohl darum, dass die Tarife transparenter werden sollen, ohne die vielen undurchschaubaren Sonderermäßigungen, aber doch differenziert für die verschiedenen Musiknutzungen.
Baier: Je schlichter ein Tarif ist, desto ungerechter wird er an den Rändern.
nmz: Der von der GEMA so genannte „Sozial- und Kulturtarif“ greift ja nur für bestimmte Spezialfälle. Wäre ein vom Gesetzgeber wie auch immer definierter „Kulturtarif“ denkbar? Etwa für Veranstalter, die zwar als kommerzieller Betrieb, etwa als GmbH geführt werden, aber mit einem klaren Kulturauftrag handeln?
Baier: Wir sind einerseits immer offen für Anregungen, andererseits haben wir im Sozial- und Kulturbereich bereits heute etliche Spezialtarife, Sondernachlässe und Sonderregelungen. Wenn sich ein Veranstalter dort nicht findet, bleibt ja immer noch die Härtefallnachlassregelung. Wir können nicht für jeden Einzelfall einen Spezialtarif aufstellen, aber wenn es eine bestimmte Gruppe gibt, für die ein Spezialtarif notwendig wird, sind wir die letzten, die sich dagegen stellen.
Bestle: Ein echter Kulturtarif wäre sicher möglich. Die GEMA hätte dann aber das Problem, dass wesentlich mehr Leute Sonderkonditionen bekämen und die Einnahmen sinken würden. Wahrscheinlich müssen sich die Kleinveranstalter selbst in einem Verband zusammentun. Das hat sich für mich herauskristallisiert.
nmz: Sie müssten sich also entscheiden, ob Sie grundsätzlich weiterkämpfen wollen, oder den Weg über eine eigene Verbandsgründung wählen.
Bestle: Dazu kommen noch die in der Petition und den Reaktionen darauf angesprochenen Probleme der Musiker in der GEMA. Stichwort: ungerechte Verteilung. Doch darüber sollten auch die Musiker selbst sprechen. Die Betroffenen müssen sich der Sache stellen.