Einen Tag vor seinem 99. Geburtstag verstarb der Dirigent Kurt Sanderling in Berlin-Pankow. Wie sein Sohn Stefan mitteilte, ist er im Kreis seiner Familie am 17. September friedlich eingeschlafen. Kurt Sanderling galt als einer der bedeutendsten ostdeutschen Dirigenten.
Begonnen hatte er seine berufliche Laufbahn als Korrepetitor an der Städtischen Oper in Berlin-Charlottenburg (heute Deutsche Oper), wo er mit großen Dirigenten wie Bruno Walter arbeitete, 1933 erhielt er als Jude Berufsverbot und verließ Deutschland ins sowjetische Exil. Er begann beim Moskauer Rundfunk als Assistent, war 1942-1960 bei der Leningrader Philharmonie an der Seite von Jewgeni Mrawinski tätig. Ein Gastspiel in Ost-Berlin mit diesem Weltklasse-Klangkörper führte auf Initiative des späteren Staatsopern-Intendanten und damaligen Vize-Kulturministers der DDR Hans Pischner zum Angebot, in seine deutsche Heimat an die Spree zurückzukehren. Von 1960 bis 1977 leitete er das 1952 gegründete Berliner Sinfonie-Orchester (BSO), das heutige Konzerthausorchester Berlin. Daraus einen Klangkörper zu formen, der schnell als Ost-Pendant zu den Berliner Philharmonikern galt, war sein bald erreichtes Ziel. Von 1964 bis 1967 war er zudem Chef der Sächsischen Staatskapelle Dresden.
In den 90er Jahren begann die dritte Karriere des gebürtigen Ostpreußen. Er trat ans Pult bedeutender Orchester der Welt: Er arbeitete bei den Berliner Philharmonikern, der Berliner Staatskapelle und beim Rundfunk-Sinfonieorchester (RSB), zudem dirigierte er führende Klangkörper in den USA, in Japan sowie in Paris, London, Kopenhagen, Stockholm, Tel Aviv, Wien und Zürich.
In London, wo das Philharmonia Orchestra Sanderling 1995 zum Ehrendirigenten ernannte, hat der heutige Berliner Philharmoniker-Chef Sir Simon Rattle ihn gehört, war von seinen Klassiker-Interpretationen tief beeindruckt und nannte ihn 1991 in Berlin eines seiner großen Vorbilder. Noch 2001 hatte Sanderling in Berlin bei einem Bruckner-Abend dirigiert. Anfang 2002 legte er den Dirigentenstab dann endgültig aus der Hand.
Werke von Beethoven, Brahms und Bruckner, von Mozart, Schumann, Sibelius sowie russischen Komponisten von Borodin über Rachmaninow bis Tschaikowski waren die besondere Domäne des Musikers. Einem Komponisten des 20. Jahrhunderts war er besonders verpflichtet: Dmitri Schostakowitsch. Mit ihm war er ebenso eng befreundet wie mit dem Ausnahme-Geiger David Oistrach. Im vergangenen Jahr erhielt er für seine Verdienste um das Werk dem russischen Komponisten den Schostakowitsch-Preis 2011.
Als „Jahrhundertjahrgang der großen Dirigenten“ gilt das Jahr 1912: Günter Wand, Georg Solti, Sergiu Celibidache, Ferdinand Leitner, Erich Leinsdorf – alle sind im gleichen Jahr geboren. Jetzt ist der Letzte der großen Dirigenten von uns gegangen.
(Quellen: nmz, ddp-Klingbeil)