Bei der Sitzung des SWR Rundfunkrates ist der Plan, die beiden Klangkörper des SWR zu fusionieren endgültig angenommen worden. Die in der kurzen Zeit entwickelten Alternativkonzepte wurden wie erwartet vom SWR Intendanten Peter Boudgoust als nicht belastbar dargestellt. Das Gremium folgte Boudgousts Auffassung und stimmte bei 11 Gegenstimmen für die Beschlussvorlage der Intendanz. Weitere Informationen demnächst hier auf nmz Online.
[Erste Reaktionen ... – Juan Martin Koch hat Statements von Entscheidern und Betroffenen eingesammelt: Vom Intendanten bis zur Orchesterleitern und -mitgliedern.]
Stimmen nach der Sitzung
Hermann Wilske, Präsident des Landesmusikrates Baden-Württemberg: „Das ist ein schwarzer Tag für die Musik in Baden-Württemberg. Was mich am meisten betroffen macht, ist, dass die große Chance versäumt worden ist, dass die Landesregierung auf der einen und die Kommunen auf der anderen Seite ihrer Verantwortung gerecht geworden wären. Das ist der eigentliche Grund für das Abstimmungsverhalten heute. Die Absichtserklärungen waren zu dürftig, das Votum aus Stuttgart kam zu spät. Dass sich der Freiburger OB kurz vor dieser Sitzung dahingehend geäußert hat, man werde sich jetzt auf die Standortfrage konzentrieren, war in hohem Maße kontraproduktiv.“
Uli Kostenbader, Verein der Freunde des RSO Stuttgart: „Hier werden Entscheidungen an demokratisch legitimierten Parlamenten und Gremienvertretern vorbei getroffen. Es ist ein in der kulturpolitischen Geschichte einmaliger Vorgang, dass die über die Parteigrenzen hinweg einmütigen Voten von Stadtparlamenten und Gemeinderäten weggewischt wurden, als wenn diese irrelevant wären. Wir dürfen außerdem den Aspekt nicht vergessen, dass hier Entscheidungen auf der Basis unvollständiger Informationen getroffen werden. Es gibt klare Aussagen vonseiten der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfes der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, wonach es keinerlei Prognosen über die zukünftige finanzielle Entwicklung des SWR oder anderer Anstalten gibt. Vor diesem Hintergrund Entscheidungen zu treffen, die irreversibel sind, ist ein kulturpolitischer Leichtsinn.“
Harald Paul, Orchestervorstand SWR SO Baden-Baden und Freiburg: „Das Entsetzen paart sich mit absoluter Enttäuschung. Ich ziehe den Schluss, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk alles tut, um sich selbst abzuschaffen. Wir hören immer wieder, dass wir als Klangkörper gewertschätzt werden, aber in den Diskussionen ist davon nicht immer etwas zu spüren. Wir erwarten jetzt eine Schlammschlacht um die Standortfrage, die wie vieles andere völlig umgeklärt ist. Aber wir werden weiter nach anderen Lösungen suchen. Peter Boudgoust hat in seinen Ausführungen ja eine Hintertür offen gelassen.“
Fionn Bockemühl, Orchestervorstand RSO Stuttgart: „Es ist frustrierend zu sehen, wie der Kopf schon ab ist, während man denkt, man lebt noch. Ich sehe die Verantwortung nicht nur beim Intendanten, sondern auch bei den Gremien, die diese Entscheidung mit treffen. Was die Standortfrage betrifft, sollten wir jetzt keinen Grabenkampf zwischen den Musikern der beiden Orchester entfachen. Man kann Argumente liefern, aber die Entscheidung trifft der SWR und die wird sich nie gegen das andere Orchester richten. Die sich anbahnende Schlammschlacht wollen wir nicht suf unserem Rücken austragen lassen.“
François-Xavier Roth, Chefdirigent des SWR SO Baden-Baden und Freiburg: „Mit dieser Entscheidung sind zwei Orchester tot. Das ist keine Option, das ist heute Realität geworden. Ich kann das nicht akzeptieren. Wir waren mit unserem Freundeskreis so kooperativ, so dynamisch, heute beginnt ein neuer Kampf, denn wenn wir in diese Richtung weitergehen, ist das eine Katastrophe, nicht nur für uns, sondern für die gesamte Musikwelt. Wir müssen überlegen, was wir jetzt als Bürger und als Künstler tun können. ich weiß noch nicht, wie dieser Kampf aussehen wird, aber er beginnt heute.“
Peter Boudgoust, Intendant des SWR: „Ich verfolge die Fusion nicht als Selbstzweck, sondern als Ergebnis eines längeren Prozesses auf der Basis einer Analyse der Rahmenbedingungen. Die Alternativmodelle haben nicht das ergeben, was wir uns erwünscht hätten. Über die vielen Wohlwollensbekundungen freue ich mich, es ist eine Wertschätzung beider Klangkörper zu spüren gewesen, die sie auch verdienen. Aber das ändert mittelfristig nichts an der Tatsache, dass wir uns nicht in der Lage sehen, die Orchester so zu erhalten, wie sie sind. Es ist eine notwendige Zäsur. Ich glaube, dass wir den schwierigen Prozess so gestalten können, dass am Ende ein qualitätvoller, herausragender Klangkörper entstehen wird. Wir werden jetzt daran gehen, den Hauptprobenstandort festzulegen, werden gemeinsam mit dem Management und den Musikern das Repertoire und die Ausrichtung des neuen Orchesters definieren und dann auch an die Suche eines neuen Chefdirigenten gehen. Würden sich die Einnahmen des SWR entscheidend verbessern oder würden wir eine konkrete Förderung und Mitgestaltung durch Dritte erfahren, dann würden wir den Prozess natürlich neu überdenken. Im Fall der Fusion werden wir alle Abokonzerte in den Sitzstädten wie bisher durchführen. Bei der Frage des Hauptprobenstandortes sollen musikfachliche Gesichtspunkte im Vordergrund stehen, wir wollen keine kommunal- oder landespolitische Debatte führen.“
Auch der Deutsche Kulturrat meldete sich zu Wort:
Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates: "Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben eine besondere Verpflichtung gegenüber der Kultur. Dieser Verantwortung wird der SWR mit der heutigen Entscheidung nicht gerecht. Es ist notwendig und längst überfällig, dass überprüft wird, inwieweit der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Kulturauftrag noch in seiner ganzen Breite nachkommt. Die Orchester und Chöre des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind kein überflüssiges Beiwerk, sondern gehören zu den Kernaufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks."
Weitere offizielle Reaktionen zum Beschluss trudeln ein:
Stuttgarter Förderverein verurteilt SWR-Entscheidung
Mit Bedauern und Unverständnis reagieren die Freunde & Förderer des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart auf die Entscheidung der Geschäftsleitung und Gremien des SWR, das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart und das Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg des SWR zu fusionieren.
Eine Fusion, so der Förderverein, müsse als eine nicht wieder gut zu machende Fehlentscheidung gesehen werden, die landes- und kommunalpolitische Aspekte, kultur- und medienpolitische Argumente, künstlerische und musikpädagogische Gesichtspunkte sowie betriebswirtschaftliche Überlegungen außer Acht lasse. Nicht zu entschuldigen sei ferner der Image-Schaden, den der SWR dauerhaft zu tragen habe und den er dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt zufüge.
Nicht hinnehmbar sei insbesondere, dass gemeinsame Anliegen der Stadtparlamente in Stuttgart, Freiburg und Mannheim sowie von Landtags- und Bundestagsabgeordneten, Oberbürgermeistern und weiteren Vertretern aus Politik und Gesellschaft, die Planungen zu überdenken oder zu vertagen, ohne weitere Diskussion vom Tisch gewischt wurden. Niemals zuvor, so die Feststellung, sind demokratisch legitimierte Institutionen und Parlamente von einer gebührenfinanzierten Institution in dieser Weise diskreditiert worden. Und niemals zuvor sei eine kulturpolitische Entscheidung in Presse und Politik bereits im Vorfeld so einhellig verurteilt worden, wie das Vorhaben des SWR, dem in der Öffentlichkeit bis dato niemand auch nur im Ansatz Positives abgewinnen konnte.
Die Freunde & Förderer des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart bedauern, dass der SWR-Rundfunkrat mit dieser Entscheidung einen unrühmlichen Schlusspunkt an das Ende seiner Amtszeit setze. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil belastbare Prognosen über ein künftiges SWR-Gebühreneinkommen nach Informationen der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks derzeit nicht möglich sind. Die SWR-Annahmen, die zu der heutigen Entscheidung geführt haben, wurden nie öffentlich begründet bzw. überprüfbar gemacht. Darüber hinaus wurden Vorschläge der Fördervereine in Stuttgart und Freiburg zur Kostenreduzierung beider Orchester gänzlich ignoriert.
Die Orchesterfreunde aus Stuttgart fordern:
- Eine breite Diskussion über den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der eben nicht nur eine Frage von Rundfunkstaatsverträgen, sondern ein eminent gesellschaftspolitisches Thema ist.
- Die nur wenige Wochen vor Ende der Amtszeit des Rundfunkrates gefällte Entscheidung muss im Licht (a) einer neuen SWR-Gremien-Zusammensetzung in 2013, (b) der aktuellen parlamentarischen Überlegungen in Land und Kommunen und (c) des eindeutigen gesellschaftlichen Votums für einen Fusionsverzicht überprüft werden.
- Alle SWR-Handlungskriterien in der Orchesterfrage müssen transparent, überprüfbar und einer breiten Diskussion zugänglich gemacht werden.
- Die Freundeskreis-Vorschläge zum Thema einer Kostenreduzierung sind aufzugreifen und vorurteilsfrei zu prüfen.
- Die Auswirkungen der Fusion auf unseren Kulturstandort sind offen zu legen und öffentlich zur Diskussion zu stellen.
- Statt sachwidrigem und beliebigem Handeln: Die gemeinsame Entwicklung konsensfähiger Alternativen.
Exkurs zum Thema „Verhaltensflexibilität“:
„... Ein entscheidender Punkt aus Sicht des SWR ist jedoch der, dass durch eine solche Fusion keinesfalls die musikalischen Profile, Stärken und Traditionen von SO und RSO sich gegenseitig verstärkend zusammengeführt werden können. Vielmehr würde ein völlig neu ausgerichteter Klangkörper entstehen, der sich ein eigenständiges Profil erst noch erarbeiten müsste. Faktisch würde ein solcher Schritt die Schließung zweier etablierter und erfolgreicher Klangkörper und die Neugründung eines sinfonischen Klangkörpers erfordern. Das neu zu gründende Orchester müsste sich in jahrelanger Aufbauarbeit erst wieder ein eigenständiges, unverwechselbares Profil aufbauen und es wäre keineswegs von Anfang an sichergestellt, dass dies auch gelänge. … Insgesamt wäre deshalb aus Sicht des SWR der programmliche und kulturelle Verlust zu groß ...“
Quelle: Informationsvorlage an den Rundfunkrat „Zukunft der SWR-Klangkörper“ II, Ziffer 2.1.2 Fusion des SO mit dem RSO, März 2005
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