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Abseits jeder Wettbewerbsmaschinerie

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Das Kammermusikfest des ARD-Musikwettbewerbs
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Der Internationale ARD-Musikwettbewerb gilt als eine der renommiertesten Veranstaltungen seiner Art und erfreut sich seit über fünfzig Jahren größten Zuspruchs bei Kandidaten und Publikum. Seine Geschichte schreibt sich auch über einstige namhafte Preisträger wie Jessey Norman, Maurice André, Alfons Kontarsky, Heinz Holliger oder Thomas Quasthoff. Christoph Poppen, seit 2000 künstlerischer Leiter des Wettbewerbes, setzt mit Begleitveranstaltungen über die begehrten Auszeichnungen hinaus auf neue Akzente im Wettbewerbsbetrieb.

Vor vier Jahren hat er ein Kammermusikfest ins Leben gerufen, zu dem sich Preisträger des jeweils vergangenen Wettbewerbes und Teilnehmer früherer Jahrgänge abseits vom Hochschul- und Konzertalltag treffen, um auf höchstem Niveau in unterschiedlichsten Formationen zu musizieren. Gezielt will man damit der unkünstlerischen Konkurrenz- und Wettbewerbssituation entgegenwirken. Schloss Elmau bei Garmisch-Partenkirchen dient dabei als Wiege des Kammermusikfestes, ehe sich die ehemaligen Preisträger dann mit ihren frisch erarbeiteten Konzertprogrammen in anderen Städten wie München und Berlin präsentieren. Ein idyllischer Ort, der in entspannter Atmosphäre optimale Bedingungen für Proben sowie den Austausch musikalischer Ideen und Erfahrungen bietet.

Anfang Juni trafen sich in diesem Jahr 16 Musiker aus acht Nationen auf Schloss Elmau und präsentierten sich mit einer reizvollen Programmixtur aus verschiedenen Jahrhunderten, die sich zwischen Romantik und zeitgenössischer Musik bewegt. Ein Augenmerk richtete sich dabei vor allem auf selten zu hörendes Repertoire und ungewöhnliche Besetzungen. So wurde Paul Hindemiths Hochzeitsgeschenk an seine Frau, die „Kantate op. 35 für Sopran, Oboe, Viola und Violoncello“, zu einem einzigen Hörvergnügen. Hier präsentierten sich mit viel Bühnenpräsenz und virtuoser Musikalität ehemalige Preisträger wie Andrea Lauren Brown (Sopran), Naoko Shimizu (Viola), Sennu Liane (Violoncello) und Clara Dent (Oboe). Letztere ist inzwischen Solo-Oboistin beim Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin und erhofft sich von diesem Kammermusikfest ein „Schneeballsystem“ für weitere musikalische Aktivitäten. Trotz eigener Erfolge hält die junge Musikerin gerade Wettbewerbe in der Kategorie Musik für problematisch, denn aus Kollegen und Bekannten werden schnell Konkurrenten, „die Situation bei einem Wettbewerb verlangt, das man mit Scheuklappen unterwegs ist“. Dieser Tendenz will Dirk Nabering, Dramaturg und Organisator des Kammermusikfestes, entgegenwirken und setzt auf längerfristige künstlerische Freundschaften unter den hoch motivierten Musikern. Darüber hinaus können in diesem Rahmen abseits von Messlatten und Regelbeobachtern professionelle Auftrittssituationen erprobt und trainiert werden.

Wenn sich Agenten und Konzertveranstalter unter das Publikum der Konzerte mischen würden, dann könnten sie so manch vielversprechende Talente entdecken und unter ihre Fittiche nehmen. So besticht der erst 20-jährige französische Trompeter David Guerrier mit atemberaubender Virtuosität, wenn er zur „Sequenza X“ von Luciano Berio ansetzt. Einige Preisträger müssen sich um ihre Karriere keine Sorgen mehr machen, beispielsweise der 24-jährige Kontrabassist Nabil Sehata aus Kuwait. Er hat sich im vergangene Herbst beim ARD-Wettbewerb einen ersten Preis erspielt, war Solobassist der „Staatsoper unter den Linden“ und hat erst vor wenigen Wochen das Probespiel bei den Berliner Philharmonikern erfolgreich bestanden.

Doch nicht jedem jungen Talent ist so viel Glück beschert, denn ein gewonnener Wettbewerb zieht nicht zwangsläufig einen Karrieresprung nach sich, zumal der inflationäre Anstieg an Preisträgern den Musikmarkt immer dichter werden lässt.

In jedem Fall hat der Internationale ARD-Wettbewerb neben viel Glanz und Gloria mit seinem lustvollen Kammermusikfest ein eigenes Profil gewonnen und die traditionellen, zur Routine gewordenen engen Strukturen eines Wettbewerbes aufgebrochen. Vor allem aber wird der Verantwortungsbereich der Wettbewerbsmaschinerie erweitert, um den Nachwuchs ein Stück zu begleiten und zu fördern. Eine Form praxisnaher Fortbildung, ohne die Musiker in ein dichtes Vermarktungsnetz fallen zu lassen.

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