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Susanne Blumenthal mit einem Teilnehmer des DMR-Dirigierkurses in Köln. Foto: Sabine Große-Wortmann
Susanne Blumenthal mit einem Teilnehmer des DMR-Dirigierkurses in Köln. Foto: Sabine Große-Wortmann
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Bestimmen und Zulassen

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Susanne Blumenthal als Kursleiterin beim Dirigentenforum des Deutschen Musikrats
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Während sich Dirigenten vor großen Kollektiven zuweilen als Dompteure aufspielen, sind sie bei kleineren Ensembles eher eine Stimme unter anderen, weil alle solistisch besetzt sind und gleichermaßen zum Gelingen beitragen.

Wer an Musikhochschulen vorrangig die Leitung von Orches­tern oder Chören gelernt hat, muss sich hier umstellen und größere Flexibilität, Offenheit und Diskussionsbereitschaft beweisen. Bei Ensemble- und Kammermusik ist es kontraproduktiv, alles selbst bis in die letzte Faser durchgestalten zu wollen. Stattdessen muss sich der Dirigent bei Soli, Duos oder Trios zurücknehmen und den Musizierenden eigenständiges Zusammenspiel gestatten. Denn letztlich – so die Dirigentin Susanne Blumenthal – „wissen die Musikerinnen und Musiker am besten, wie sie ihre Partien zu gestalten haben. Und wenn sie das dürfen, dann wird man das schönere Ergebnis erzielen.“ Wer dann trotz dieses Ratschlags immer noch zu viel fuchtelt, soll „einfach mal die Hände in die Hosentaschen stecken“. An anderen Stellen darf ein Dirigent das Ensemble dagegen „nicht vom Haken lassen, damit die Musik ihre bissige Unerbittlichkeit behält“.

Der „Dirigierkurs zeitgenössische Musik“ des Dirigentenforums des Deutschen Musikrats wurde dieses Jahr von Susanne Blumenthal geleitet. Teilnehmer waren zwei aktuelle Stipendiaten des Forums und zwei weitere junge Dirigenten: Vitali Alekseenok, David Bui, Gabriel Venzago und Tobias Wögerer. Ihre Arbeit mit MAM: manufaktur für aktuelle musik – alle zuvor negativ auf Corona getes­tet – gestaltete sich im Kölner LOFT volle fünf Tage als wechselseitiges Geben und Nehmen. Während die meis­ten Instrumentalisten noch nie Igor Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ gespielt hatten und jetzt durch die Nachwuchsdirigenten kennenlernten, gehört Gérard Griseys „Vortex temporum“ seit zehn Jahren zum Repertoire des Ensembles, während das Stück zuvor nur einer der Dirigenten studiert hatte. Die Musik vom Anfang und Ende des 20. Jahrhunderts erforderte hier mehr Rhythmik, Harmonik, Polyphonie und schnelle Charakterwechsel, dort mehr Farbe, Energetik und Intensität des Klangs bei ständig fluktuierender Zeitgestaltung.

Nach dreiviertelstündigen Probeneinheiten kommentierten Ensemble und Kursleiterin Schlagtechnik, Zeitmanagement, Probentempo, Didaktik, Kommunikationsverhalten, Klarheit und Genauigkeit. Weiß der Dirigent, was er will? Fordert er genug? Werden schwierige Stellen auch mal langsamer gespielt oder nur von Teilen des Ensembles? Gibt es Wechsel zwischen Detailproben und längeren Strecken? Ist die Arbeitsatmosphäre effektiv, konzentriert, anspornend, aber auch locker, mitnehmend, humorvoll? Immer wieder gefeilt wurde an Tempo, dynamischer Balance, metrischen Wechseln, Akzenten, präziser Rhythmik und genauer Phrasierung. Susanne Blumenthal agierte als ebenso scharfsichtige Beobachterin wie kollegiale Mentorin. Zur rechten Zeit korrigierte sie, äußerte gut dosierte Kritik, stellte die richtigen Fragen, machte konstruktive Vorschläge, gab hilfreiche Tipps.

In den Mittelpunkt rückte Blumenthal immer wieder die Abstimmung von Körpersprache und Klangresultat. Neben interpretatorischen Feinheiten ginge es ihr auch um Handwerk. Taugte eine Geste zur genauen Verständigung? Wann schlägt man höher oder tiefer, fest oder gelenkig, zackig oder rund, kleiner oder größer, eng am Körper oder mit ausgestrecktem Ellenbogen? An welchen Stellen ist es besser, nur die Taktzeiten zu markieren, statt die Strecken dazwischen zu zeichnen? Wo liegt der Mittelweg zwischen präziser Koordination und charakterlicher Ausgestaltung? Soll man eine Passage schnörkellos durchschlagen oder Melodiebögen mitgestalten? Wie beendet man einen trocken abreißenden Schlussakzent? Sollen die Hände dabei impulsiv nach oben federn? Oder wäre es deutlicher, den Klang mit einem entschiedenen Griff nach unten abzuschließen?

Nach vier Monaten Corona-bedingter Zwangspause kam MAM für den Dirigierkurs erstmalig wieder zusammen. Für alle Beteiligten war das gemeinsame Musizieren, Hören, Diskutieren, Zeigen und Beobachten eine große Freude, Lehre und Bereicherung.

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