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Mit erstauntem Blick aufs Geschehen: Leon Maria Spiegelberg und Elisabeth Auer als Außerirdische.Foto: © Susanne Reichardt

Mit erstauntem Blick aufs Geschehen: Leon Maria Spiegelberg und Elisabeth Auer als Außerirdische.Foto: © Susanne Reichardt

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Die Apokalypse als vergnügliches Chaos – Ludger Vollmers Dada-Oper „Zusammenstoß“ in Heidelberg uraufgeführt

Vorspann / Teaser

Die Spur beginnt in Heidelberg und führt dahin zurück. 1909 sagte der Heidelberger Astronom Max Wolf die Wiederkehr des Haileyschen Kometen im Mai des Folgejahres voraus. Furcht vor einem Aufprall, vor giftigen Gassen und unheimlichen Anziehungskräften machten sich breit. Sie fanden ihren Niederschlag in einem grotesken Opernlibretto des Dadaisten und Universalkünstlers Kurt Schwitters und seiner Kollegin Käte Steinitz. Obwohl „Der Zusammenstoß“ 1927 beim Libretto-Wettbewerb der Wiener Universal-Edition mit einem 2. Preis ausgezeichnet wurde, fand die Vorlage keinen Komponisten – bis zum Kompositionsauftrag des Heidelberger Theaters und Orchesters an Ludger Vollmer. Die vergnügliche Uraufführung im Marguerre-Saal zeigt: Das Stück funktioniert.

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Liest man die im lesenswerten Programmheft abgedruckten Erinnerungen von Käte Steinitz, so war das Libretto 1927 vermutlich zu dadaistisch, zu grotesk, zu absurd, zu skurril. Vergleicht man „Der Zusammenstoß“ indessen mit György Ligetis Oper „Le Grand Macabre“ von 1978, so wirkt Vollmers Komposition wie deren goutierbare populäre Variante – eingängiger, unterhaltsamer, weniger artifiziell – und weniger makaber. Das liegt auch daran, dass Vollmer seine „musikalische Komödie“ eher nach Art eines Singspiels angelegt hat – ohne Musik nicht zu denken, aber auch mit reinen Sprech- und Tanzszenen, und darüber hinaus mit so vielen verschiedenen Rollen und Doppelrollen, dass man nur schwer den Überblick behält. Das Heidelberger Theater bringt dazu mit Musiktheater (einschließlich Opernchor), Schauspiel, Jungem Theater und Dance Theatre alle Ensemblesparten auf die Bühne. Im Verein mit dem Philharmonischen Orchester Heidelberg entsteht daraus ein vergnügliches Massenspektakel, an dem auch die Mitwirkenden sichtlich ihren Spaß haben. Manchmal gerät der musikalische Zugriff aufs Sujet auch ein wenig schlicht. Die Szene, in der der Komet sich nähert, die Erdatmosphäre aber nur sachte streift, begleitet Vollmer mit einer schlichten Akkordwiederholung und verschenkt damit die ganze Dramatik der Situation. Man halte ein anderes Katastrophen-Szenario dagegen: In der Hurrikan-Szene von Kurt Weills Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ potenziert die ausgefeilte Partitur die szenische Spannung.

Reichtum der Anspielungen und Stilzitate

Die Stärke von Vollmers „Zusammenstoß“ liegt im Reichtum der Anspielungen und Stilzitate. Mit Autohupen im Orchester und einer koloraturreichen Countertenor-Partie für den Chef der Ordnungspolizei erinnert er an „Le Grand Macabre“ (dort singt eine Sopranistin den Chef der Geheimpolizei). Die Verzweiflungsszene der Demonstranten mit widersprüchlichen Spruchbannern findet eine Entsprechung in der Schlussszene von Weills „Mahagonny“ und der Auftritt des Polizeichefs als rettender Bote auf einer Giraffe eine Parallele im Finale der „Dreigroschenoper“. Weills Songstil der 1920er-Jahre klingt immer wieder an, und zu Schwitters Schlagerparodie „Onkel Heini mit den krummen Beini“ trifft Vollmer authentisch den Schlager-Stil der Zeit. Ein Chorsatz im Oratorien-Stil des 20. Jahrhunderts kündet von der Ankunft des Kometen. Die Untergangssehnsucht eines verliebten Paares wird mit dem klassischen Zitat aus Wagners „Tristan“ begleitet. Eine große Gospel-Szene bringt das Publikum zum Mitklatschen; manch einer in den Sitzreihen dürfte hier Vollmers augenzwinkernde Ironie vergessen haben. Eine vergnügliche Rap-Szene animiert schon eher zum Lachen. Kompositorisch besonders reizvoll ist die schräge Parodie von Paul Linckes Operettenschlager „Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft“, die die Auftritte der preußischen Ordnungspolizei unter ihren Pickelhauben begleitet. Deren Chef namens Meisterlich sucht eifrig Ordnung in den Untergang zu bringen. Dem „Oberordnungskommissar“ (Franko Klisović) gelingt es allem Anschein nach, den Kometen vom Potsdamer Platz mit seinen (damaligen) Oberleitungen abzulenken auf das offene Tempelhofer Feld.

Wie man sieht, spielt die damalige Reichs- und heutige Bundeshauptstadt im Szenario des Hannoveraners Schwitters und des Wahl-Hamburgers Vollmer eine wichtige Rolle – als Vergnügungsmetropole ebenso wie als politisches und administratives Zentrum. Die Frau mit dem roten Regenschirm (Elisabeth Auer), die merklich „Revolution“ ruft, ist indessen eine Ikone des Frankfurter Septemberaufstandes von 1848. Dass der Regenschirm zerbricht und die Reparatur am Ende mit 5 Euro von der Polizei bezuschusst wird, dürfte eine Spitze von Schwitters und Steinitz gegen die staatstragende Rolle der preußischen Sozialdemokratie gewesen sein. Dass die Polizei unter ihren Pickelhauben zu den Klängen des schwäbischen Volkslied „Drunten im Unterland“ einen bajuwarischen Schuhplattler hinlegt, deutet denn auch auf die Möglichkeit bundesweiter Verallgemeinerung. Bei dem menschengroßen Teddybären der Tänzerin Taa (Johanna Greulich) denkt man sowohl an das Berliner Wappentier als auch an das Sternbild des „Großen Bären“. Teddy (Raphael Rubino) wird lebendig, betet seine Besitzerin an, mischt sich aber auch nonchalant und tiefenentspannt in die Inszenierung ein – sehr zum Ärger des nun plötzlich auftretenden fiktiven Regisseurs (Leon Maria Spiegelberg). Der wiederum macht nach der Pause nach alter Bühnentyrannen-Manier erst einmal das Ensemble regelrecht zur Sau. Gegen Ende kündigt Teddy dann seine Himmelfahrt an, plumpst aber wenig später zurück auf die Erde.

Interessant wäre zu wissen, was Vollmer und das Heidelberg Dramaturgen-Team (Jürgen Popig und Ulrike Schumann) am ursprünglichen Libretto im Detail geändert haben. Hinzugefügt haben sie jedenfalls zwei Marsmenschen, die das Geschehen zunächst aus der Ferne betrachten und sich dann näher herantrauen und dabei immer wieder wundern. Bis auf eine kurze deutsch synchronisierte Phase findet ihre gesamte Unterhaltung sozusagen auf Dada statt. Auer und Spiegelberg liefern in dieser ihrer Zweitrolle eine köstlich ausgefeilte, immer wieder fesselnde Dialog-Variante von Schwitters’ berühmter „Ur-Sonate“. Sie bringen aus dem All auch ein wenig elektronische Musik mit – vielleicht in Anspielung auf vergleichbare Szenen in Carlos Menottis Science-Fiction-Oper „Hilfe, Hilfe, die Globolinks!“ Inwieweit die kleinen grünen Männchen das Auftauchen des Kometen steuern, bleibt der Fantasie des Beobachters überlassen. Jedenfalls erscheint am Firmament, das zu Beginn als Bühnenhintergrund sichtbar wird, der Komet in Grün; er wird als grüner Globus besungen und macht sich schließlich im Lichteffekt einer grüngefärbten Scheibe bemerkbar, die von oben auf die Bühne herab- und wieder zurückfährt.

Dass der Faden der Handlung manchmal arg dünn wird und man bisweilen ein wenig den Überblick verliert, ist aus dadaistischer Sicht eigentlich geboten. In Erinnerung bleibt in jedem Falle eine unverkrampfte Partitur, deren polystilistische Facetten die Sängerinnen und Sänger sowie Orchester unter Leitung des kommissarischen GMD Dietger Holm kompetent und mit Hingabe zur Geltung bringen sowie eine bilder- und detailreiche Inszenierung, für die vor allem Christian Brey (Regie), Anette Hachmann (Ausstattung), Iván Pérez (Choreografie) und Ralph Schanz (Lichtdesign) verantwortlich zeichnen. Als starkes Bild in Erinnerung bleibt sicher James Homann als Astronom Virmula mit seiner Assistentin Alma (Almira Elmadfa) und einer überdimensionalen Papierrolle, die in Folge fortlaufender Berechnungen immer länger wird. Virmulas Ruhe wird deutlich kontrastiert durch seinen vor Angst schlotternden Diener (André Kuntze), der als einziger die apokalyptische Dimension des Geschehens zu begreifen scheint. Virmula, seine Assistentin und deren Vater, der Polizeichef, sowie ihre Mutter Bana (Nicole Averkamp) hingegen haben vor allem den Entdecker-Ruhm vor Augen. Eine sympathische Nuance der Inszenierung ist die optische Markierung aller Helferinnen und Helfer bei Auf- und Umbauten: Die helfenden Hände werden, seitlich angeschnallt, überdimensional als solche sichtbar.

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