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Ein Posaunist bei der abendlichen Serenade – im Hintergrund Schiffskräne. © Ralf-Thomas Lindner

Ein Posaunist bei der abendlichen Serenade – im Hintergrund Schiffskräne. © Ralf-Thomas Lindner

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Mittenmang – 3. Deutscher Evangelischer Posaunentag in Hamburg

Vorspann / Teaser

Wer ein Harmonie-Instrument – etwa ein Klavier oder eine Orgel – spielt, der kann im Musizieren auch gut mich sich selbst allein sein. Für Spieler eines Melodie-Instrumentes kann es gelegentlich etwas fade werden, immer allein spielen zu müssen. Viele Musiker werden sicher bestätigen, dass Musik eben auch ein Gemeinschaftserlebnis ist, ein soziales Phänomen aus Tönen und Instrumenten, Menschen aus Fleisch und Blut und gelegentlich einem liebevoll gepackten Lunch-Paket. So sind am vergangenen Wochenende etwa 15.000 Blechbläser beim „Deutschen Evangelischen Posaunentag“ in Hamburg drei Tage lang zu einem gigantischen Klangkörper verschmolzen.

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Sie sehen aus wie Du und ich – und doch sind sie irgendwie anders. Erkennen kann man sie an einem Köfferchen (zuweilen auch ein Rucksack), den sie glückselig mit sich tragen und welches offenbar einen Akku enthält, aus dem sie mit nicht enden wollender Energie und Kraft versorgt werden. Wenn mehrere von ihnen in der U- oder S-Bahn sitzen, erkennt man sie auch daran, dass sie quasi automatisch aufstehen und ihren Platz anbieten, wenn zum Beispiel eine schwangere Frau oder ein älterer Mensch einsteigt. Etwa 110.000 gibt es von ihnen in Deutschland – am vergangenen Wochenende wurden sie in großen Scharen in Hamburg gesichtet.

Etwa 15.000 Blechbläser mit ihren Trompeten, Posaunen, Flügelhörnern, Kornetten, Waldhörnern, Euphonien, Tenorhörnern und Tuben waren der Einladung zum „3. Deutschen Evangelischen Posaunentag“ nach Hamburg gefolgt. Alle acht Jahre gibt es einen solchen. Nach Leipzig (2008 – Motto: OhrenBlickmal!) und Dresden (2016 – Motto: Luft nach oben) stand der Hamburger Posaunentag unter dem typisch norddeutschen Motto „mittenmang“ und war gleichzeitig Anlass, das 30jährige Bestehen des „Evangelischen Posaunendienstes in Deutschland“ zu feiern.

Mittenmang

„Mittenmang“ – das bedeutet soviel wie „mittendrin“. Das sind die Posaunenchöre – mitten in ihren Gemeinden und mitten im Leben. Mehr noch: sie scheinen fast das Zentrum oder ein Synonym für Protestantismus zu sein. Die Präses der Evangelischen Kirche Deutschlands, Anna-Nicole Heinrich, beschreibt eine klassische Gesprächssituation, die sie immer wieder erlebt: „Ah, du machst was bei Kirche? Evangelisch? Spielst Du denn auch Posaune?“ Heinrich selbst spielt Trompete und sie weiß: „So richtig gut klingt und fühlt sich das besonders im Miteinander an. Jedes Instrument, jede*r Bläser*in ist zwar eine Persönlichkeit für sich, aber zusammen ergeben sie ein wunderbares Gesamtbild.“

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Die Bläser kamen von weither (u. a. aus Südafrika) nach Hamburg. Viele trugen stolz „ihren“ Posaunenchor auf Brust oder Rücken. Ihr Selbstverständnis und ihre Botschaft eint sie! © Ralf-Thomas Lindner

Die Bläser kamen von weither (u. a. aus Südafrika) nach Hamburg. Viele trugen stolz „ihren“ Posaunenchor auf Brust oder Rücken. Ihr Selbstverständnis und ihre Botschaft eint sie! © Ralf-Thomas Lindner

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Posaunen machen Musik – das scheint klar. Musik für jeden Anlass, für jede Situation, von der Wiege bis zur Bahre, zu Geburtstagen und Jubiläen, lustig und weltlich im Garten und auf den Straßen der Stadt, geistlich und andächtig in den Kirchen und Gottesdiensten. Seit den Anfängen der Posaunenmusik in der Evangelischen Kirche aber ist sie in erster Linie auch geistlich und christlich. Johannes Kuhlo, einer der Urväter der modernen kirchlichen Bläserchorarbeit hat diese als Sozialarbeit begonnen und junge Männer von der Straße geholt. Die Regeln waren hart: kein Alkohol, keine Zigaretten, sittsames Verhalten und eben ein Instrument erlernen und spielen.

Viele Menschen sind auf dem musikalischen Nährboden der Posaunenchöre – etwa 6000 sind es wohl in ganz Deutschland – zum Glauben gekommen. Deshalb wundert es nicht, dass zwar an allen Ecken – nicht nur in Hamburg – Musik gemacht wird, aber eben auch christlich gelebt und gehandelt. Man muss nicht Christ sein, um in einem der vielen Chöre mitzuspielen, aber so ganz ohne eine zumindest soziale Ader wird man auf Dauer in einem kirchlichen Posaunenchor nicht glücklich werden. Die Tatsache, dass im Vorstand des „Evangelischen Posaunendienstes in Deutschland“ von neun Mitgliedern immerhin fünf Pastoren und nur drei Profimusiker sind, sagt etwas über die Ausrichtung schon des Dachverbandes aus.

Der unverrückbare Mittelpunkt

Im Hamburger Mottolied heißt es dann auch folgerichtig: „Kommt mit Gabe und Lobgesang, kommt und singt und spielt mittenmang!“ Das „Überall“, wo die Bläser herkommen wird in dem Lied hervorgehoben, der Frieden, der aus Achtsamkeit erwächst, und der frische Wind. Durch und durch protestantisch beschwört es: „Unsere Mitte bleibt Jesu Wort.“ Ganz musikalisch die Aufforderung: „Lasst es klingen an jedem Ort.“

Drei Großveranstaltungen haben diesen Posaunentag geprägt – der Eröffnungsgottesdienst, die Serenade an der Jan-Fedder-Promenade und der Schlussgottesdienst im Stadtpark. [NB: Übrigens verfügt Hamburg seit 1912 über eine der schönsten U-Bahn-Strecken Deutschlands, deren Gleise genau gegenüber der Jan-Fedder-Promenade oberirdisch quasi über den Hafen geführt wird. Für viele war es der Gänsehautmoment schlechthin, als die etwa 15.000 Bläser mittenmang Dirk Matthies‘ Revier gemeinsam die Filmmusik des Großstadtreviers anstimmten.]

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Es wurde viel geblasen und geredet, Musik gehört und diskutiert – und manchmal war es einfach zuviel. Dann legte man sich irgendwo zum Schlafen – was soll schon passieren – überall nur Freunde! © Ralf-Thomas Lindner

Es wurde viel geblasen und geredet, Musik gehört und diskutiert – und manchmal war es einfach zuviel. Dann legte man sich irgendwo zum Schlafen – was soll schon passieren – überall nur Freunde! © Ralf-Thomas Lindner

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Gänsehaut pur hatte auch eine der beiden Notfallseelsorgerinnen, die am Wochenende alle Hamburger Krankenhäuser mit geistlichem Beistand versorgen. Sie war ins UKE (Universitätsklinikum Eppendorf) auf die Intensivstation gerufen worden. An 125 unterschiedlichsten Orten hatten sich die Bläser überall im Stadtgebiet verteilt und geblasen – nicht nur auf den großen und bekannten Plätzen, sondern eben auch zum Beispiel vor dem UKE bei und für die Kranken, getreu Jesu Wort, „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüder, das habt ihr mir getan“. Mit nur wenigen Worten sagte die Seelsorgerin später: „Wir haben die Bläser auf der Intensivstation gehört – und es hat einfach nur gutgetan.“

In den vierzehn Eröffnungskonzerten am Freitagabend stellten die Bläser die gesamte Bandbreite dessen vor, was sie können – und das ist viel! Denn sie sind alles „außer gewöhnlich“ (so einer der Konzerttitel), sie marschieren und sie tanzen, sie rocken und singen, in Hamburg natürlich alles Mit „Frischem Wind aus Nord!“. Kammermusik und Big Band – alles war vertreten und verdeutlichte, dass die glänzenden Instrumente nicht nur äußerlich auffällig sind, sondern auch innerlich über die letzten 200 Jahre keinen Staub angesetzt haben.

Ernste „Töne“

Am Sonnabend widmeten sich sieben Veranstaltungen an besonders Orten dem Thema „Hamburg klingt“: Im Lohsepark, wo einstmals der Hannoversche Bahnhof war, von wo aus die Züge ins KZ losfuhren, widmete man sich dem „Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“. Von der Ballinstadt aus verließen am Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts Tausende Menschen Deutschland in Richtung der Neuen Welt. Hier wurde über „Flucht und Migration“ gesprochen. Im „Rauhen Haus“ wurde seit 1883 soziale Posaunenarbeit betrieben. Auf dem Alsterdorfer Markt, dem Ort, von wo einstmals die ersten Behinderten als Versuchskaninchen zur Erprobung der Gaskammern kamen, wurde über „Inklusion“ nachgedacht. Das frisch restaurierte Segelschiff Peking diente 199 Bläsern als „Sehnsuchtsort Hafen“. Auf dem St. Pauli Fischmarkt wurde über die drängenden Klimafragen diskutiert und am Altonaer Balkon – mit diesem weiten Blick in den Hafen – wurde über „Spiritualität“ nachgesonnen.

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Bläser sind einfach in erster Linie Menschen – das hier die Hälfte aus Deutschland und die andere aus Palästina kommt, das kann man weder hören noch sehen. © Ralf-Thomas Lindner

Bläser sind einfach in erster Linie Menschen – das hier die Hälfte aus Deutschland und die andere aus Palästina kommt, das kann man weder hören noch sehen. © Ralf-Thomas Lindner

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Brass for Peace

Am Nachmittag dann wieder Bläserkonzerte in den vielen Hamburger Kirchen. Eines soll hier exemplarisch herausgegriffen werden: Brass for Peace. Dieser 2009 in Deutschland gegründete Verein möchte Menschen aus der Bläserarbeit in Deutschland für das Heilige Land interessieren und für die Situation vor Ort sensibilisieren. Er möchte in den lutherischen Schulen und Gemeinden eine Bläserarbeit aufbauen, die allen Beteiligten Freude bereitet und zum Lob Gottes in einer komplizierten Welt ermutigt. Last but not least möchte er Kontakte zwischen Bläserinnen und Bläsern aus Deutschland und Palästina knüpfen und vertiefen. – Bei dem Konzert in Hamburg haben sich erstmalig die Volontäre des Vereines, die in den letzten Jahren in Palästina gearbeitet haben, kennengelernt und gemeinsam musiziert. Dazu hatte sich über einen schwierigen und umwegreichen Weg 14 Musikanten aus Palästina nach Hamburg aufgemacht und mit ihren ehemaligen Volontären gemeinsam musiziert.

Am Ende könnte man das Gefühl bekommen, dass viel geredet und viele Probleme gewälzt worden sind. Ja und nein. In erster Linie wurde musiziert – aus vielen goldenen und silbernen (schwarzen, orangenen, grünen) Blasinstrumenten. Freude und Hingabe zur Musik waren allerorten spürbar. Aber auch eine tiefe Freundschaft zwischen Menschen, die sich noch nie zuvor gesehen hatten. – Ja, die Bläser sind irgendwie anders als du und ich, aber manchmal möchte ich sein wie sie!

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Ein letzter Gruß auf dem diesjährigen Posaunentag: das Instrument gen Himmel, Zeichen der Verbundenheit untereinander. © Ralf-Thomas Lindner

Ein letzter Gruß auf dem diesjährigen Posaunentag: das Instrument gen Himmel, Zeichen der Verbundenheit untereinander. © Ralf-Thomas Lindner

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Weitere Informationen:

  • Die Homepage des Evangelischen Posaunendienstes in Deutschland: www.epid.de
  • Die Homepage von Brass for Peace: www.brace-for-peace.de
  • In der nmz-Serie zum Instrument des Jahres wird es Ende Mai noch einmal um die Evangelische Posaunenarbeit in Deutschland gehen – unbedingt hineinschauen!
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