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Projekt Sehnsucht

Untertitel
Beethovens Vertonung von Goethes „Nur wer die Sehnsucht kennt“ im Zeichen der Gegenwart
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Die vorliegende Beethoven-Hommage stellte einmal nicht das monumental Angelegte oder das Symphonische ins Zentrum, sondern im Gegenteil das Schlichte, Einfache: Beethovens Vertonung des Mignon-Liedes „Nur wer die Sehnsucht kennt“ aus Goethes „Wilhelm Meister“. Mehrere Neukompositionen machen das Lied in der Jetztzeit erlebbar.

Besonders die vierte und letzte Fassung von Beethovens „Sehnsucht“ wurde berühmt aufgrund einer herrlichen Melodiewendung, B-A-C-Fis-G, welche auch in den meisten Kompositionen dieser CD prominent zum Vorschein tritt und gewissermaßen als Ausgangspunkt dient zur individuellen Fortgestaltung. Die Ergebnisse der Beschäftigung mit diesem Lied arten verschiedenartig aus, vom Solowerk bis zum ausgedehnten Solokonzert, von der Miniatur zur dichten Großform.

Bereits die drei Solowerke dieser Einspielung präsentieren gänzlich unterschiedliche Erfahrungen der Sehnsucht: Birgit Stolzenburgs „Nur wer die Sehnsucht kennt“ für Hackbrett solo verneigt sich anmutig vor Beethovens Vertonung, nähert sich ihr nüchtern mit einem Hauch der Demut, glänzt durch enorme Bescheidenheit. Virtuoser gestaltet sich „Seh ich ans Firmament …“ für Harfe solo von Evelyn Huber, das auf kleinem Raum die Licht- und die Schattenseite der Sehnsucht zum Vorschein bringt, dabei immer wieder in die Stille verfällt. In Enjott Schneiders „Despair & Longing. With Beethoven … beyond all time“ peitschen grelle Dissonanzen durch die Liedvorlage und verwandeln die innige Wirkung des Originals in unruhige, wechselhafte Launen größter Extraversion.

Zwei Trios bereichern als kammermusikalische Beiträge die Einspielung: Der aus dem Griechischen abgeleitete Titel von Konstantia Gourzis „Néome“ für Klarinette, Schlagzeug und Klavier bedeutet in etwa „ich komme zurück“, nähert sich dem Thema also als Versprechen. Die Komponistin schafft unwahrscheinlich dichte, geheimnisvoll schwebende Aura, fokussiert sich durch flächige Gestaltung auf den Aspekt des Erwartens. Enjott Schneider vertonte in „Sehnsucht – The Longing“ nicht nur das Vorlagenlied neu, sondern mischte diesem noch ein zweites Mignon-Lied bei. Unbeschwert bewegt sich der Komponist dabei zwischen Beet­hovens Klangwelt und seinem eigenen Personalstil, mischt sie und spielt mit ihnen, lässt dabei die verschiedenen Sphären zu einer Einheit verschmelzen.

Drei Ensemblewerke fächern den Klang auf: Dorothea Hofmanns „Sehnsucht…“ für Streicher und Vibraphon versinnbildlicht die zwei gegensätzlichen Seiten des Themas, die Vorfreude und das Schmachten. Dies zeigt sich durch immer wieder wellenartiges Aufbauen und erneutes Abebben der Musik, durch Zusammenwachsen und Dis­tanzieren der Instrumente. „… nach jener Seite“ von Martina Eisenreich für Harfe, perkussive Klanginstallation und Streichorchester kreiert eine Aura der Spannung, bleibt mystisch verklärt, und lässt bei aller Unentschiedenheit doch immer wieder Funken von Hoffnung durchblitzen. Abgerundet wird die CD durch Marco Hertensteins Englischhorn-Konzert „Il Fiore Blu“, das gemäß dem romantischen Bild eine träumerische Atmosphäre aufkeimen lässt, gesättigt von weichen, dunklen Farben in schwelgerischem Duktus.

Wenn schon das geplante Livekonzert pandemiebedingt ausfallen musste, so erfreuen wir uns immerhin an dieser von allen Beteiligten innig und gewissenhaft dargebotenen Einspielung der Neukompositionen und Beet­hovens Originalen durch das Ensemble Oktopus & Guests unter Leitung von Konstantia Gourzi.

CD: Nur wer die Sehnsucht kennt …Eine Beethoven-Hommage. Ambiente Audio, CMS – Chamber Music Series. ACD-3054; EAN: 4 029897 030545. Kompositionen zum Beethovenjahr von Martina Eisenreich, Konstantia Gourzi, Marco Hertenstein, Dorothea Hofmann, Evelyn Huber, Birgit Stolzenburg und Enjott Schneider. Mitwirkende in der Reihenfolge des Erscheinens: Birgit Stolzenburg, Julia Sophie Wagner, Jelena Stojkovic, Slava Cernavca, Carlos Vera Larrucea, Konstantia Gourzi, Evelyn Huber, Stefan Schneider, Christian Benning, Wolfgang Lohmeier, Kai Rapsch, Ensemble Oktopus & Guests

 

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