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Trotz Zweitjob in der KSK? Auswirkungen nicht-künstlerischer Jobs auf die Krankenversicherung über die Künstlersozialkasse. Infografik: Funkelblau.de
Trotz Zweitjob in der KSK? Auswirkungen nicht-künstlerischer Jobs auf die Krankenversicherung über die Künstlersozialkasse. Infografik: Funkelblau.de
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Künstler*in trotz Zweitjob?

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Warum genau jetzt die Regularien der Künstlersozialkasse auf den Prüfstand gehören
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Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona Pandemie haben sich die Erwerbsmöglichkeiten für Künstlerinnen und Künstler aller Sparten radikal verändert und wurden in Teilen zum Erliegen gebracht. Kultureinrichtungen waren in allen Lockdown-Varianten früh und umfassend von Schließungen betroffen. Selbst wenn phasenweise Veranstaltungen stattfinden konnten (und hoffentlich bald wieder können!), schmälern Hygiene- und Abstandsregeln sowie Ansteckungsängste die Attraktivität von Kulturorten als Orten der Begegnung, des gemeinsamen Erlebens und Reflektierens.

Insbesondere für freischaffende Kreative, darunter Musikerinnen und Musiker, sind die Auswirkungen immens. Zu wegbrechenden Einkommen und erschwertem Zugang zu Hilfszahlungen kommt der drohende Verlust der Krankenversicherung über die Künstlersozialkasse (KSK). Als einzige Gruppe von Selbstständigen werden für die Versicherten in der KSK fünfzig Prozent der Beiträge für die gesetzliche Renten-, Pflege- und Krankenversicherung von verwertenden Unternehmen und dem Bund übernommen. Doch wer zuviel aus nicht-künstlerischer Tätigkeit hinzuverdient, gilt nicht mehr als haupt­beruf­­liche*r Küns­tler*in und verliert den privilegierten Status – und damit für viele der prekär arbeitenden Küns­tler*innen die einzige finanzierbare Option der Absicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Ausschlussmechanismus greift auch, wenn aufgrund der Pandemie Theater und Galerien geschlossen werden, Aufträge von Unternehmen ausfallen und Lesungen oder Konzerte online ihr Publikum finden müssen.

Das ungleiche Problem nicht-künstlerischer Einkommen

Im letzten Jahr ist es für viele Künst­ler*innen notwendig geworden, wegbrechende Einkommen irgendwie zu kompensieren. Immerhin, der Bezug von Coronahilfen oder ALG-II („Hartz-4“) bleibt dabei ohne Konsequenzen für den Status als KSK-Versicherte*r. Wer allerdings eigen­initiativ branchenfremden Tätigkeiten nachgeht, zum Beispiel im Bereich der Pflege oder der Bildung, muss genau hinschauen: Die Konsequenzen sind extrem unterschiedlich, je nachdem, ob dies im Anstellungsverhältnis geschieht oder als Selbstständige*r.Einkünfte aus selbstständiger, nicht-künstlerischer Tätigkeit führen zu einem Verlust der Kranken- und Pflegeversicherung in der KSK, wenn sie 5.400 € Euro pro Jahr (das entspricht 450 Euro € im Monat) überschreiten. Unabhängig davon, wieviel weiterhin aus künstlerischer Arbeit verdient wird. Bei Einkünften aus angestellter, nicht-künstlerischer Tätigkeit spielt der Vergleich beider Einkommensquellen sehr wohl eine Rolle: Nur wenn die Anstellung eine größere finanzielle Bedeutung hat als die selbstständige Tätigkeit als Künstler*in endet die Versicherung in der KSK. Wenn nicht, bleibt man in der KSK, selbst wenn der Job in Anstellung mehr als 450 € Euro pro Monat bringt.

In einem Fall – der nicht-künstlerischen Anstellung – hängt der Versicherungsschutz über die KSK also davon ab, ob im Hauptberuf künstlerisch gearbeitet wird oder nicht. Im anderen Fall – der nicht-künstlerischen Selbstständigkeit – endet der Versicherungsschutz unabhängig davon, welcher Bereich der wirtschaftlich bedeutendere ist.

ver.di fordert schon seit vielen Jahren, dass die Kranken- und Pflegeversicherung über die KSK läuft, solange die künstlerische Tätigkeit überwiegt – auch wenn nebenbei selbstständig in anderen Bereichen gearbeitet wird. Denn die Crux an der bisher geltenden Ungleichbehandlung ist, dass dem/ der Künstler*in mit selbstständiger Nebentätigkeit immense Mehrkosten drohen. Bei einer Nebentätigkeit im Angestelltenverhältnis hat der Verlust des Krankenversicherungsschutzes über die KSK vielleicht emotionale, aber keine finanziellen Konsequenzen: Die zweite Hälfte der Beiträge wird ja weiterhin übernommen.

Der/die Selbstständige hingegen trägt die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung außerhalb der KSK zu hundert Prozent. Dabei wird darüber hinaus ein Mindesteinkommen von 1.096,67 Euro (im Jahr 2021) angenommen und nicht das tatsächliche Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit. Die Beiträge liegen so bei mindestens 201,24 € Euro für Kranken- und Pflegeversicherung. Der Verlust der Versicherung über die KSK ist für die Künstler*innen mit oft sehr geringen Einkommen und Arbeitsrealitäten ohne große Rücklagen daher oft sehr schwer oder gar nicht umzusetzen. Dass Künstler*innen den Schutz der KSK aufgrund einer selbstständigen Nebentätigkeit in einer anderen Branche verlieren, obwohl sie weiterhin im Hauptberuf künstlerisch tätig sind, ist nur schwer nachzuvollziehen und geht an der Erwerbsrealität vorbei.

Alte Vorstellungen und sich wandelnde Arbeitswelt

Die Künstlersozialkasse selbst hat keinen Einfluss auf dieses Problem der Ungleichbehandlung von Nebenerwerbsformen. Sie setzt um, was im Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) steht: Ausgeschlossen wird, wer „eine nicht [künstlerische oder publizistische] selbständige Tätigkeit erwerbsmäßig ausübt“ (KSVG §5). Allerdings ruht die Begründung für diesen Ausschluss auf längst überholten Vorstellungen von Selbstständigkeit, von künstlerischen Berufen und nicht zuletzt von unserer Arbeitswelt:

Zur Entstehungszeit des KSVG in den 80er-Jahren waren typische Selbstständige Ärzte, Rechtsanwälte und andere gutgesicherte und gutverdienende Berufsgruppen. Es sollte verhindert werden, dass diese von der Versicherung der KSK profitierten. Angesichts „der Situation des angesprochenen Personenkreises“ erscheine es „nicht notwendig“, sie in die Versicherungspflicht einzubeziehen (Begründung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales vom 13.5.1980).

Auch in den Gesetzesentwürfen von 1979, 1980 sowie final 1981 wurden explizit Personen ausgeschlossen, die „bereits anderweitig gesetzlich gesichert oder nach allgemeinen Regeln von der Versicherungspflicht ausgenommen sind und eines Krankenversicherungsschutzes im Rahmen dieses Gesetzes deshalb nicht mehr bedürfen“.

Klar wird: es ging damals darum, eine Gruppe Selbstständiger, die finanziell bereits gut abgesichert waren, von der Privilegierung durch die KSK auszuschließen, selbst wenn sie nebenbei künstlerisch tätig waren. Es ging nie um den Zuverdienst, mit dem ein*e Künstler*in sein/ihr künstlerisches Schaffen oft stabilisiert oder ermöglicht. Dem Gesetzgeber war vor rund 40 Jahren schlicht nicht bewusst, welche Tätigkeiten in Zukunft alle (auch) selbstständig ausgeübt werden können. Heute aber ist Selbstständigkeit keineswegs mehr grundsätzlich gleichzusetzen mit wirtschaftlicher Unabhängigkeit und sozialer Absicherung. Ebenfalls nicht bewusst war dem Gesetzgeber damals, in welchem Umfang Mehrfacharbeit in die Arbeitswelt Einzug halten würde. Mehrere selbstständige Tätigkeiten gleichzeitig auszuüben oder selbstständige und abhängige Tätigkeit zu kombinieren ist heute auch außerhalb kreativer Branchen kein Sonderfall mehr. Zur Realität künstlerischer und publizistischer Berufe gehört häufig ein Zuverdienst, um trotz stark schwankender Einkommen Existenzen zu sichern. Wenn dieser Zuverdienst aufgrund einer sich wandelnden Arbeitswelt zunehmend selbstständig ausgeübt wird, darf dies nicht den grundsätzlichen und bahnbrechenden Konsens in Frage stellen, auf dem das KSVG und mit ihm die Künstler*innenbiografien des Landes seit 40 Jahren ruhen: Dass Künstler*innen in der Bundesrepublik in das Sozialversicherungssystem integriert sein müssen.

Kurz: Es wird Zeit, dass die anachronistische Regelung, nach der ein Zuverdienst aus selbstständiger Tätigkeit zum Verlust des Versicherungsschutzes in der KSK führt, an das 21. Jahrhundert angepasst wird. Die Corona-Pandemie verdeutlicht diese Notwendigkeit in bitterer Schärfe.  

ver.di erneuert aus diesem Anlass ihre Forderungen:

Erstens: Künstler*innen und Pub­lizist*innen sollten auch dann über die KSK versichert werden, wenn sie weitere Einkünfte haben, solange die künstlerische Tätigkeit überwiegt. Dies muss unabhängig davon gelten, ob die weiteren Einkünfte als Selbstständige oder als Arbeitnehmer*innen generiert werden.

Zweitens: Alle Selbstständigen sollten dieselben Krankenversicher­ungsbeiträge zahlen wie Arbeitneh­mer­*innen. Das heißt: Bemessungsgrundlage muss das reale Erwerbseinkommen sein.

Ob und wann analoge Gruppenveranstaltungen, die den Arbeitsmarkt für Kulturschaffende vor der Pandemie maßgeblich prägten – Konzerte, Lesungen, Ausstellungen, Theateraufführungen, Festivals usw. – wieder im selben Maße Publikum anziehen, steht derzeit in den Sternen. Wie es um die Kulturetats in Zukunft bestellt sein wird, ebenfalls.

Deshalb ist es wichtig, dass der Diskurs um die soziale Lage von Künstler*innen gerade erneut Aufwind bekommt und von einzelnen Stimmen mit Verve und Öffentlichkeit geführt wird! Allerdings: Die Probleme sind nicht neu. Deshalb brauchen wir unbürokratische Sofortmaßnahmen, ohne dabei den Blick für langfristige Lösungen zu verlieren.

Die freischaffenden Musiker*innen, die aufgrund eines de facto Berufsverbots kein Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit haben, müssen selbstverständlich für die Dauer der Einschränkungen über die KSK versichert bleiben. Weder Mindesteinkommen noch Zuverdienste aus nicht-künstlerischer Tätigkeit dürfen während der COVID-Krise die solidarische Absicherung in der KSK in Frage stellen – darauf zu bestehen wäre geradezu absurd, wenn doch die Grundlagen dieser Bedingungen vollkommen erodiert sind.

Darüber hinaus gilt es allerdings anzuerkennen, dass die Pandemie auch den grundsätzlichen Nachbesserungsbedarf im KSVG deutlich zu Tage gefördert hat. Die geforderten Anpassungen der Regularien der Künstlersozialkasse an die Arbeitsrealitäten von Künstler*innen und Publizist*innen der Gegenwart sind ein wichtiger Baustein zu einer faireren und sozial gerechteren Arbeitswelt der Zukunft.

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