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Quo vadis, öffentliche Musikschulen?

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Diskussionsbeitrag der ver.di-Musiker zur kulturellen Bildung
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Musik ist eine gewaltige gesellschaftliche Kraft, sie ist aus der Kultur nicht wegzudenken, und Musik ist das zweitwichtigste System menschlicher Kommunikation. – So heißt es unter anderem in einem Grundsatzpapier der ver.di-Fachgruppe Musik, das die Diskussion um kulturelle Bildung befördern soll. Hier Auszüge des Statements, in dem es vorrangig um die Zukunft von Musikschulen geht.

Eine öffentliche Musikschule als Einrichtung des praktischen Erlernens von Musik ist unverzichtbar. In den letzten Jahren wurde ein großer Teil fester Musikschullehrer-Stellen infolge des Sparkurses in der Bildungs- und Kulturpolitik abgebaut und Musikschullehrkräfte zunehmend als unfreiwillig „freie“ Mitarbeiter prekär beschäftigt. Die öffentlichen Musikschulen verkommen zur Verfügungsmasse für unausgereifte neoliberale Planspiele: Privatisierung, öffentlich-private Partnerschaften (PPP) oder undurchdachte Integration in die allgemeinbildenden Schulen. Das hat auch spürbare Folgen für die Kinder und Jugendlichen: Qualitativ hochwertige Angebote werden trotz stetig steigender Unterrichtsgebühren reduziert.

Es ist beschämend für so ein reiches Land wie die Bundesrepublik, wenn all das Positive, was in den letzten Jahren über die tiefgreifende Bedeutung der praktischen Beschäftigung mit Musik bei Bildungsprozessen von Kindern und Jugendlichen festgestellt wurde, nur zu Lippenbekenntnissen damit befasster Politiker führt und diese das Gegenteil von dem tun, was sie in Sonntagsreden vorgeblich zu tun gedenken.

„Aktivierender Staat“ statt öffentlicher Daseinsvorsorge
Seitdem sie im Dezember 2007 dem Bundestag vorgelegt wurden, haben die Handlungsempfehlungen der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ dazu geführt, dass Kulturpolitik mit einem stärkeren Akzent hinsichtlich forcierter Marktorientierung und einem stärkeren Engagement von Wirtschaft und drittem Sektor – das heißt Stifter und private Förderer – versehen ist. Die Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD nennt das den „aktivierenden Staat“.

Die Hoffnung, ein „Staatsziel Kultur“ im Grundgesetz zu verankern, wurde mit der Ablehnung dieser Empfehlung auch der Enquetekommission durch den Rechtsausschuss des Bundestages im April 2009 zunichte gemacht. Der jahrzehntelange Kampf, der chronischen Unterfinanzierung des immer als freiwillig verstandenen Kultur- und Bildungsauftrags der Kommunen – zum Beispiel der Musikschulen und anderer Kultureinrichtungen – mit einer gesetzlichen Pflicht zu begegnen, wird unter den kulturpolitischen Bedingungen des „aktivierenden Staats“ erkennbar schwieriger. Nach den Handlungsempfehlungen der Enquetekommission verändert die beim Staat verbleibende „Gewährleistungsverantwortung“ den öffentlichen Kulturauftrag dahingehend, dass er schon mit dem Sicherstellen der Existenz überhaupt einer Musikschule in der jeweiligen Kommune als erfüllt gilt. Dabei wird eine öffentliche Trägerschaft und Gestaltung nicht mehr favorisiert. Gebäude und „materielle Infrastruktur“ könnten in Form öffentlich-privater Partnerschaften von Investoren errichtet und betrieben werden.

Diese „neue“ Kulturpolitik zielt erklärtermaßen darauf ab, den historischen Prozess der Entwicklung zu einer öffentlichen Trägerschaft für Kultur (staatliche Daseinsvorsorge) zu revidieren; von öffentlich über privat-öffentlich wieder zu privat. Dabei sollen der Einklang von kulturellen und wirtschaftlichen Interessen der „Bürgergesellschaft“ (Bürgerstiftungen) und das Kosten sparende „Ehrenamt“ in ihre überkommenen kulturpolitischen Rollen mit entsprechenden Rechten wieder eingesetzt werden.

Der Markt kann alles besser – oder: Privat vor Staat

Die seit circa 15 Jahren zu beobachtenden Prozesse der „Verbetriebswirtschaftlichung“ der öffentlichen Musikschulen – wie im gesamten öffentlichen Dienst – verwiesen durch neue Steuerungsmodelle, Qualitätssicherungssysteme und leistungsorientierte Bezahlung schon von Beginn an auf ihre künftige Priorität unter neuen kulturpolitischen Vorzeichen: auch musikkulturelle Bildung weitestgehend durch Marktgesetze und Konkurrenzverhältnisse reguliert statt öffentlich gefördert.

Vor allem mit Projekten in Public-Private-Partnership wie „JeKi“ in NRW, „Musikland Niedersachsen“ oder „Die musikalische Grundschule“ in Hessen soll der Weg einer „aktivierenden Kulturpolitik“ auch im Bereich musikalisch-kultureller Bildung beschritten werden. Dabei schickt sich ein immer ausgreifender organisierendes Stiftungswesen (Bürgerstiftungen) an, die durch die Rücknahme des staatlichen Kultur- und Bildungsauftrags entstehende Vakanz privatwirtschaftlich zu besetzen und zu beeinflussen. Vor allem die Bertelsmann-Stiftung nimmt hierbei bei fast allen flächendeckenden musikalischen Projekten (JeKi, Kita macht Musik, Musikalische Grundschule) eine führende Rolle ein. Kultur und Bildung werden zu handelbaren Waren. Ihre gesellschaftliche Nützlichkeit – immer betriebswirtschaftlich ausgewiesen – ist zwar noch Voraussetzung, gegenüber den Gewinninteressen ihrer Vermarkter jedoch marginal. Über ihren Wert sollen in Zukunft zahlungskräftige Konsumenten befinden, während für weniger zahlungskräftige der Zugang erschwert wird. Staatliches Eingreifen im Sinne eines Ausgleichs von sozial begründeten Disparitäten könnte künftig als „unzulässiger Markteingriff“ nicht mehr statthaft sein.

Die Folgen für die noch bestehenden öffentlichen Musikschulen – wie für den gesamten Bereich musikalisch-kultureller Bildung – werden Verlust öffentlicher Kontrolle, weiterer Abbau musisch-künstlerischer Fächer (wie zum Beispiel durch die im Oktober 2008 von der Kultusministerkonferenz beschlossene Zusammenlegung der Fächer Kunst, Musik und Sport zum Fach „ästhetische Erziehung“), Inhaltsleere und Bedeutungslosigkeit dieser Fächer, die Zunahme von Privatisierungen und ein sich verstärkender Druck zur Marktanpassung sein. Als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise werden in den nächsten Jahren die Steuereinnahmen und das Gewerbesteueraufkommen der Kommunen drastisch sinken. Abzusehen ist: Stetig knapper werdende Haushalte der öffentlichen Hand werden auch einen weiteren Abbau tarifgebundener Beschäftigung an kommunalen Musikschulen zur Folge haben. Die Zahl prekär beschäftigter Teilzeitkräfte („Honorarkräfte“) wird zunehmen.

Musikalische Professionalität: Zu teuer? Und wozu auch?

Auch die Folgen der derzeitigen europaweiten „Vereinheitlichung“ (Bologna-Prozess) im Bildungsbereich – wie Schulzeitverkürzung oder Ausbau der Ganztagsschule – entziehen der öffentlichen Musikschule zunehmend die Arbeitsgrundlage und den Musikschullehrkräften die Existenzgrundlage: Schülerinnen und Schüler können erst am späten Nachmittag, nach anstrengenden „Langtagen“ ihren Instrumentalunterricht wahrnehmen und haben kaum noch Zeit zum Üben. Die wachsende Dominanz kognitiver Fächer in den allgemeinbildenden Schulen trägt zu einem Bildungsklima bei, unter dem eine dauerhafte praktische Beschäftigung mit Musik eher als nachrangig oder verzichtbar erscheint.

Es zeichnet sich ab, dass das Profil der Musikschule als eigenständige Bildungseinrichtung, die sich bisher aus der Eigengesetzlichkeit ihres musikalisch-praktischen Bildungsauftrags begründet und gerechtfertigt hat, nach und nach zu verschwinden droht. Nur einzelne, besonders Begabte werden in Zukunft in Precolleges (zusammen mit den Musikhochschulen) und dem Amade-Netzwerk noch eine angemessene Nachwuchsförderung erfahren.

Als „Ausgleich“ konzipierte Projekte der Breitenförderung, wie zum Beispiel „JeKi“ oder Klassenmusizieren, können die musikalische Professionalität bildender Musikschularbeit nicht ersetzen, da sie aufgrund ihrer vollkommen anderen Organisationsform („Großgruppenunterricht“) nicht die gleichen Möglichkeiten dazu haben. Derartige Projekte können nur ein Einstieg zur Erlangung umfassenderer Experience sein – wobei mit ihnen aber auch die Gefahr verbunden ist, dass Grundlagen nicht ebenso sorgfältig und professionell gelegt werden wie mit erprobten Unterrichtsformen an der Musikschule. Diese wiederum wird gezwungen, sich an ihrer Abschaffung aktiv zu beteiligen, indem sie immer mehr die oben genannten Projekte bedienen muss und so immer weniger ihrer eigentlichen Aufgabe (Instrumentalunterricht, individuell oder in Kleingruppen) nachkommen kann.

Transfereffekte

Die diese Entwicklung begleitende bildungspolitische Debatte über „Transfereffekte“ praktischer musikalischer Betätigung, die von der Annahme einer dadurch verstärkten Entwicklung sozialer, kognitiver und kreativer Fähigkeiten ausgeht, ist in diesem Zusammenhang inzwischen zwiespältig. Einerseits erscheint die praktische Beschäftigung mit Musik aufgewertet und damit scheinbar auch die Musikschule als Hauptagentur ihrer Vermittlung, andererseits greifen vordergründig spektakuläre Großprojekte Raum, deren Nachhaltigkeit keineswegs gesichert ist.

Der Eindruck trügt nicht, dass es Politikern um ordnungspolitische „Transfereffekte“ geht, die so möglichst billig zu haben sind. Man denke dabei an die Rede des Ministerpräsidenten Christian Wulff anlässlich der Eröffnung des „Musikland Niedersachsen“: Musik dürfe auch ein wenig Spaß machen, aber sie möge vor allem die Eigenschaften fördern, die man im Berufsleben braucht: Disziplin und der Blick auf das Wohl des Ganzen. Dabei ist die Frage nach dem emotionalen Gehalt der Musik nicht einmal gestellt.

Forderungen

Der Erfolg der Musikschularbeit ist nicht in Zahlen messbar. Ihre Ergebnisse stellen einen immensen Wert für die Gesellschaft dar. Die Musikschule hat einen festen Platz in der Gesellschaft. Deswegen fordert die Fachgruppe Musik der ver.di:

Öffentliche Trägerschaft der Musikschulen sichern!

... statt wachsendem Einfluss privatwirtschaftlicher Interessen. Dazu gehört gleichermaßen:

• Erleichterung des Zugangs zu Musikschulen
Der Besuch einer Musikschule muss prinzipiell allen Menschen ungeachtet ihrer sozialen Herkunft und finanziellen Möglichkeiten offen stehen.

• Die Teilnahme am Musikschulunterricht am Nachmittag muss gewährleistet sein

Gegebenenfalls müssen die Schülerinnen und Schüler vom Nachmittagsunterricht für die Zeit des Musikschulunterrichts befreit werden.

Investitionen in Ausbau, Ausstattung, Neueinrichtung!

• Schaffung von mehr Vollzeitstellen
Die Arbeit an der Musikschule ist langfristig angelegt. Um das zu gewährleisten, müssen die Lehrkräfte an die Institution gebunden werden. Honorarkräfte können eine solche Bindung nur begrenzt eingehen.

• Notwendig ist eine Stellenausstattung
... mit Leitung und stellvertretender Leitung, mit Fachbereichsleitungen und der Festanstellung des Großteils der pädagogischen Lehrkräfte.

• Räume
Die Mitbenutzung von Räumen der allgemeinbildenden Schule wird auf Grund des vermehrten Ganztags- und Nachmittagsunterrichtes immer schwieriger. Für die im Unterrichtsraum benötigte Gerätschaften wie Instrumente, elektronische Hilfsmittel, besondere Schallschutzmaßnahmen und Unterrichtsmaterialien bedarf es spezieller, gesonderter Räume.

• Instrumente
Nur in der kommunalen Musikschule können alle Instrumente zu vertretbaren finanziellen Rahmenbedingungen oder kostenlos angeboten werden. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Auseinandersetzung mit der Musik von vielen Bevölkerungsteilen gepflegt werden kann, unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten.

Existenz gewährleistende Bezahlung sichern!

Tarifgebundene Beschäftigungsverhältnisse für alle Kolleginnen und Kollegen an Musikschulen und in zusammen mit Musikschulen betriebenen Projekten. Gesetzliche Verankerung dieser Forderungen in einem Musikschulgesetz! Es ist höchste Zeit zum Umdenken! Schluss damit, dass die Bedürfnisse der Bevölkerung nach umfassender Bildung und Kultur immer mehr nur als „Kostenfaktor“ im internationalen Wettbewerb angesehen werden und der Staat sich bei seinen Daseinsvorsorgeverpflichtungen den Bürgern gegenüber immer weiter zurückzieht. Kultur und Bildung dürfen nicht zu handelbaren und zahlungspflichtigen Waren werden!

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