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Wenn der Agent… – pennt

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Liebe zur Musik? Über Independent Labels, Teil II ·
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EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti und seine Kommission scheinen nun doch keine Bedenken mehr zu haben, der Fusion zwischen den Musiklabels Sony Music und BMG den europäischen Segen zu erteilen. Es wäre ein Zusammenschluss mit Folgen: Die Fusion würde das neu entstehende Label Sony-BMG oder BMG-Sony oder Sonymann zum größten Musiklabel der Welt machen. Nach aktuellen Zahlen der IFPI ist der Marktanteil des derzeitigen Weltmarktführers Universal auf 23,5 Prozent gefallen. Sony-BMG hätten miteinander 25,1 Prozent (auf den Plätzen drei und vier folgen EMI mit 13,4 Prozent und Warner Music). Die Fusion wird jedoch die wichtige Rolle der Independent Labels beim Künstleraufbau nicht überflüssig machen. Lesen Sie Teil II von Udo Feists Artikel über die Indies (Teil I in nmz 06/04).

Gerade ist der Sampler „Müssen alle mit 2“ erschienen, der unter anderem Geschmeido, Schorsch Kamerun, Tomte und Knarf Rellšm an Bord hat. Ein ästhetisches Programm wie bei den sich ideologisch von den Majors abgrenzenden Indies der 70er und 80er ist das noch nicht. Gegründet von Musikern, Fans und Journalisten aus dem Umfeld von Punk und Wave hatten sie die erste Hochzeit der Indies eingeleitet – aus pragmatischer Notwendigkeit, um selbst über Inhalte und Produktion zu entscheiden, wie aus Protest gegen den (Selbst-) Ausverkauf der Superrockgruppen ans Big Business. So konnte man damals fast unbesehen allem trauen, wo Factory, 4AD, SST oder Rough Trade draufstand. – Ein großes Versprechen von großer Musik zu kleinen Budgets ist Tapete heute aber auch längst.Kooperationen mit einem Major (die es nach wie vor gibt, etwa bei „Wir sind Helden“, die von „Labels“ bei EMI vermarktet werden) lehnt Darmstaedter jedoch ab: „In einer funktionierenden Nahrungskette wäre das okay, weil kleine Firmen manches nicht schaffen. Mittlerweile bedienen Majors aber eine ganze Ebene nicht mehr. Derzeit wäre es das Schlimmste, was du einer Band antun kannst, sie einem Major zu vermitteln. Das ist der Tod – da findet keine Betreuung statt. Letztlich interessiert es Majors nur ab 40.000 aufwärts. Und wer verkauft heute, bitte schön, in Deutschland 40.000 Platten?“

„Wir sind Helden“ zeigen aber, dass die Grauzone nicht diffus sein muss. Die Band hatte auf dem Label Supermodern bereits die 5-Track-EP „Guten Tag“ veröffentlicht, die in vielen Radiosendern lief, jedoch keine Firma, die zu ihren Konditionen ein ganzes Album produzieren wollte. „Aber“, sagt Sängerin Judith Holofernes, „wir waren in der glücklichen Lage, uns einen Deal aussuchen zu können, da wir ja bereits ohne Plattenfirma im Rücken sehr viel erreicht hatten“. Den Zuschlag erhielt Christof Ellinghaus, Chef von Labels Germany. Für die „Helden“ war er zugleich Wunschkandidat. In der Szene genießt Ellinghaus seit 1990 mit dem auf „Americana“ spezialisierten Berliner Label City Slang einen guten Indie-Ruf (er brachte die damals unbekannten Nirvana in Deutschland heraus und verhalf dem Mariachi-Sound von Calexico sowie The Notwist zur soliden Anerkennung).

Mit „Labels“, einem europäischen Independent-Verbund unter dem Dach von Virgin/EMI, praktiziert Ellinghaus seit rund zwei Jahren ein Bündnis zwischen groß und klein. Dort sind inzwischen so viele Acts erschienen wie bei manchem Major in einer Dekade nicht. Das hat offenbar auch die Bosse überzeugt: EMI gibt nämlich den Standort München auf (63 Entlassungen) und führt Virgin nun von Berlin aus weiter – unter einem Dach mit „Labels“ und „Mute“ (wo Depeche Mode oder Nick Cave erscheinen) und mit Tina Funk (Mute) und Ellinghaus an der Spitze. Sicher keine ästhetische Konversion, aber zweifellos doch die Einsicht, dass Musikbegeisterung nicht mit ökonomischer Irrelevanz einhergehen muss.

Glaube an den Sieg der Besseren im Pop verbindet denn auch die erste mit der zweiten Indie-Blüte. Wie die sich entwickelt? Ermutigendes gibt es genug, herausragend das triumphale Comeback des 2003 verstorbenen Johnny Cash. Sein langjähriger Major-Partner CBS hatte ihn gefeuert, als er kaum noch verkaufte. Dann kam die Renaissance, eingeleitet mit dem Album „American Recordings“ – Cash mit Düstersongs zur Gitarre, die vor Kraft und kalter Wut barsten, betreut von Punk-Produzent Rick Rubin, der zuvor mit Beastie Boys, Slayer oder Red Hot Chili Peppers gearbeitet hatte. Das Album erschien (wie drei weitere – alle mit Preisen überhäuft und gut verkauft) auf Rubins eigenem Indie „American Recordings“. Manche haben laut gejubelt, viele still genossen und alle gedacht: Siehste! Prophetisch nahm’s gar der bayerische Schriftsteller und Musikenthusiast Franz Dobler, der 2002 zu Cashs 70. Geburtstag im „Gentelmen’s Quarterly“ schrieb: „Als düsterer Prediger eroberte er sogar ein neues, junges Publikum – und war damit ein Alptraum für die, die Musik nur als Gold interessiert. Jesus, werden die geflucht haben, warum hast du uns nicht diese Idee gegeben! Aber Rubin hatte keine Idee gehabt, sondern das, was ihnen fehlte. Respekt, Verständnis, Intelligenz, Wissen, Courage, Vertrauen, Zuneigung.“

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