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10. Tag: Materialien zu einer Kritik des Tremolos

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Seit gestern gibt es einen neuen, ganz heißen Kandidaten für den Wettbewerb "Das schlechteste Neue-Musik-Konzert der Welt" (für die Chronisten: 13.07.08, 17 Uhr, Orangerie, Darmstadt). Es ist ja nicht so, dass es Spaß machen würde, einen nach seiner Aufführung zwecks Verbeugung auf die Bühne eilenden Komponisten auszubuhen (wie gestern mehrfach geschehen). Viel eher müssten sich die Verantwortlichen, diejenigen, die dieses Konzert überhaupt ermöglichten, dem Publikum stellen; in der Art, wie sich Regisseure nach Opern- oder Theaterpremieren zusammen mit den Schauspielern beziehungsweise Sängern auf der Bühne zeigen.

 Letztlich sind aber auch die Interpreten für so eine Katastrophe mit verantwortlich, selbst wenn sie so engagiert und virtuos spielen, wie Kaya Han (Klavier) und Isao Nakamura (Schlagzeug). Der uraufführende Neue-Musik-Interpret muss ein Gespür für das, was er spielt, was er als klingendes Ergebnis in die Welt schickt, entwickeln - auch, was die Qualität anbelangt. Denn Han und Nakamura beispielsweise haben sich mit dem gestrigen Konzert selbst keinen Gefallen getan. Fast schon wieder große Kunst, nach einem schwachen Beginn (William Attwood: "Rotes Gewölk") die nach unten offene Niveau-Skala noch weiter auszuloten. Und es wurde wirklich schlimmer. Das absolut klischeehafte, unspannende und undifferenzierte Tempelgeblocke, Marimbaphoniere und Tam-Tam-gebonng!e (vom kompositorischen Form- und Zeitempfinden ganz zu schweigen) hätten improvisierende Perkussionisten ebenso hinbekommen (nur weniger vorausschaubar - denn Tonrepetitionen beispielsweise müssen, liebe Komponisten des gestrigen Konzerts!, nicht immer in ein pseudo-dramatisch aufgeladenes Tremolo münden.) Dann hätten sich Nam-Kuk Kim ("The woodcutter and the heavenly maiden"), Sungji Hong ("Linear Momentum"), Masahiro Isijima ("woven") und Gerhard Stäbler ("upon dry land") auch gleich das Komponieren sparen können. Das Programmheft las sich dabei ungleich spannender: Nam-Kuk Kim (Komponist des vielleicht schlechtesten Stückes des Abends) war, huch!, u. a. Schüler von Isabel Mundry (Darmstädter Dozentin), erhielt 2002 den Kranichsteiner Musikpreis der Stadt Darmstadt, einen Kompositionsauftrag für die Darmstädter Ferienkurse 2004 und (wie abwechslungs- und einfallsreich!) einen weiteren Auftrag für die Darmstädter Ferienkurse 2006. Vielleicht kommt bei diesem arg kreativen Verfahren ja 2066 (dann wäre Kim 95 Jahre alt) mal etwas An- und Eigenständiges heraus. Obwohl, nein, bestimmt nicht. Die Sekunde, in der Nakamura mit den Mallets - wie aus dem Bedürfnis eines nicht sonderlich begabten Kleinkindes heraus - einmal von unten nach oben fortissimo über das Marimbaphon flitschen musste, bildete den (sehr frühen) Tiefpunkt des Konzerts. Dabei war dieser Effekt (obwohl es Lacher im Publikum gab) von Kim ganz sicher nicht ironisch gemeint, sondern sollte am Ende einer virtuosen Passage im Schlagzeug wohl tatsächlich als musikalischer Höhepunkt wahrgenommen werden. Rote Karte. Das einzige expressive Moment des Abends war die kantige Mimik und Gestik von Isao Nakamura, dem ich ohne weitere Fragen die Hauptrolle in einem Kung-Fu-Film geben würde. Für die entsprechende Filmmusik würde ich allerdings auf bewährte Martial-Arts-Filmmusik-Komponisten zurückgreifen und das Beratungsangebot von Herrn Nakamura in Sachen Musik höflich aber deutlich ablehnen.

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