[Das Ende der Neuen Musik. Aufgenommen vor der Akademie der Tonkunst zu Darmstadt.]
Verschiedene Grautöne haben sich an einem einzigen Ort versammelt. In kleinen fettig-dicken Ballungen, die bald große Grau-Klumpen bilden, bald feucht-glänzend sich Strähne für Strähne aufzulösen scheinen. Zwischen dieser grauen Mannigfaltigkeit von Fasern, Flechten, Verdickungen und Wirbeln leuchtet es immer wieder durch, haben sich Lücken ergeben, gelb und rötlich-entzündlich. Doch ist dabei Manches gleichsam merkwürdig gebändigt, nein, die Absicht, dem unaufhaltbaren Chaos Einhalt gebieten zu wollen, ist anhand der deformierten Graupracht viel eher präsent, als dass ein Erfolg, die Erfüllung des Bändigungs-Wunsches ihres Besitzers erkennbar wäre. In Wahrheit wird die komplexe Struktur der in alle möglichen Richtungen sich verkraust austreckenden Haare einzig durch ihre hakenartige Verankerung unter der Kopfhaut zusammen gehalten.
Man könnte auch verkürzt sagen: eine Frisur findet bei Brian Ferneyhough nicht statt.[Der Komponist Brian Ferneyhough unterrichtet.]
In den beiden gestrigen Konzerten in der Orangerie gab es ausschließlich Streichquartett-Musik von Ferneyhough (gespielt vom Arditti Quartett, das trotz so hoher technischer Anforderungen fast relaxt wirkt – und doch immer hochkonzentriert zu Werke geht) zu hören, im zweiten Konzert die Quartette II-V, wobei das jüngste Quartett (2006) mich in seiner zeitlichen Struktur am meisten überzeugte. Das vierte Streichquartett, bei dem ein Sopran (sehr differenziert: Claron McFadden) dazu kommt, gefiel mir klanglich am besten, wobei ich am dritten Quartett die Körperlichkeit der auskomponierten Klanggesten - ein Hauptmerkmal der Musik Ferneyhoughs - mochte. Das zweite Streichquartett konnte mich seinerseits durch das Element des virtuos Beharrlichen fesseln. Oder wie Helge Schneider einmal sagte (ich zitiere aus der Erinnerung): Mein Lieblingstage sind ja Montag und Donnerstag. Aber auch Freitag und Sonntag, wobei eigentlich auch Dienstag zu meinen Lieblingstagen zählt. Ganz besonders mag ich aber den Mittwoch. Nicht zu vergessen den Samstag. Apropos zeitliche Struktur: Der Satz "die Musik von X geht mit dem Faktor Zeit auf sehr eigene Art und Weise um" wird hier in Darmstadt aktuell synonym für "die Musik von X ist langweilig" gebraucht. Man ist hier sehr höflich zueinander.