Im Vorfeld der möglicherweise vorentscheidenden Sitzung des SWR-Hörfunkausschusses am 14. Juni haben sich die Studierendenvertretungen der deutschen Musikhochschulen in einem offenen Brief an den Intendanten des SWR, Peter Boudgoust, gewandt. Darin sprechen sie sich „in aller Deutlichkeit“ gegen die Spar- und Fusionspläne bei den beiden SWR-Orchestern aus und argumentieren dabei auch mit den beruflichen Perspektiven der Studierenden.
Die Studierenden reihen sich damit in die große Zahl der Gegner der SWR-Pläne ein, die sich seit deren Bekanntwerden öffentlich geäußert haben, darunter prominente Einzelpersonen, Verbände oder die Redaktion der neuen musikzeitung. Allein auf der Webseite „Orchesterretter.de“ haben sich mittlerweile über 25.000 Menschen den Protesten gegen die drohende Orchesterfusion angeschlossen.
Hier der Wortlaut des offenen Briefes:
Sehr geehrter Herr Intendant, lieber Herr Boudgoust,
mit großer Sorge und Bestürzung haben wir von den Kürzungsplänen für beide SWR-Sinfonieorchester erfahren und möchten den offenen Schreiben von etlichen Kulturschaffenden aus Deutschland (Gesellschaft für Neue Musik, Helmut Lachenmann, Pierre Boulez, Gerald Mertens, u.a.) hiermit Nachdruck verleihen und weitere wichtige Dimensionen Ihrer scheinbar feststehenden Vorhaben zum Ausdruck bringen, die Sie vermutlich - aus welchen Gründen auch immer - nicht erkennen, sonst gäbe es ja die benannten Pläne nicht.
Die öffentlich-rechtliche Rundfunklandschaft in Deutschland, geprägt durch föderale Strukturen und dem Pluralismus kultureller Strömungen verpflichtet, ist eine historisch gewachsene, etablierte und in dieser Form weltweit einmalige. Die neun Landesrundfunkanstalten der ARD und ihre elf Sinfonieorchester (ohne Rundfunk Orchester und Chöre GmbH, Berlin) sind wichtige Grundpfeiler des gesetzlich verankerten Kulturauftrags der Fernseh- und Rundfunkanstalten und prägen das Bild der deutschen Medien-und Kulturlandschaft maßgebend. Im Gegensatz zum privaten Medien-, Kultur- und Rundfunksektor, der marktorientiert agieren muss, da er sonst nicht existieren kann, ist der öffentlich-rechtliche Sektor, aus unserer Sicht, nicht ausschließlich auf Quoten oder das Prinzip von Angebot und Nachfrage angewiesen und entzieht sich somit auch teilweise den radikalen marktwirtschaftlichen Effizienzgedanken, die leider allzu häufig Kulturdebatten dominieren. Somit obliegt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die wichtige Aufgabe, ein inhaltlich vielfältiges Kultur- und Informationsprogramm zu organisieren, ohne in erster Linie danach zu schauen, ob die Inhalte auch genügend Abnehmer finden! In einem Auszug aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. September 2007 („Rundfunk-Gebührenfestsetzung“, Aktenzeichen: 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06) heißt es hierzu:
„(...) Die gesetzlichen Regelungen sollen es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ermöglichen, seinen klassischen Funktionsauftrag zu erfüllen, der neben seiner Rolle für die Meinungs-und Willensbildung, neben Unterhaltung und Information seine kulturelle Verantwortung umfasst. (…)“
und weiter:
„(…) Bei einer Steuerung des Verhaltens der Rundfunkveranstalter allein über den Markt (ist) das für die Funktionsweise einer Demokratie besonders wichtige Ziel der inhaltlichen Vielfalt gefährdet. (…)“Dieser Umstand ist in erster Linie eine Chance für kulturelle Vielfalt und die Grundlage für einen verantwortungsvollen Umgang mit den gewachsenen Formaten und Institutionen, um ein niveauvolles und somit ansprechendes und zukunftsorientiertes Gesamtkonzept der Fernseh-und Rundfunkanstalten überhaupt gewährleisten zu können. Ist dies etwa nicht gewollt? Geht es nur noch um Tatort, Sportschau, Talkshows, Musikantenstadl, Telenovelas und Mainstream?
Bitte verstehen Sie uns nicht falsch, wir wollen hier keine Debatte über „elitär vs. populär“ führen – beides hat seinen Platz in den Medien und gehört selbstverständlich zur inhaltlichen Vielfalt – jedoch stellen auch wir uns die Frage, inwieweit die Dominanz der o.g. Beispiele die Rolle der ARD bei der Meinungs- und Willensbildung beeinflusst und prägt. Man sollte allein an den quantitativen Sendeanteilen von Telenovela und Co. feststellen können, dass diese Formate mehr als 70% der Sendezeit beanspruchen! Ist das Ihr Verständnis von einem ausbalancierten Programmangebot? Ist die inhaltliche Vielfalt nicht schon längst zum verschriftlichten Relikt verkommen? In diesem Zusammenhang ist es nur logisch, dass schon jetzt so viele Stimmen gegen die geplanten Kürzungen bei beiden SWR-Sinfonieorchestern lauter werden! Es ist definitiv kein "ebenso exklusives wie esoterisches Heer von Hütern ausschließlich eigener Interessen", wie Sie es bezeichnet haben, dass sich gegen die geplanten Kürzungen zu Wort meldet! Vielmehr setzt sich ein breit aufgestelltes Forum von Studierenden, Hausfrauen, Künstlern, Angestellten, etc. (siehe: www.orchesterretter.de) für den Erhalt der Orchester ein und stellt sich eine zentrale Frage: Wie weiter mit unserer Kultur? Welche eigennützigen Interessen in Bezug auf beide SWR-Sinfonieorchester verfolgen denn, Ihrer Meinung nach, Mathematikstudierende und Hausfrauen?
Beide SWR-Orchester sind einmalige Institutionen und jedes für sich ein Spitzenensemble. Um beide Klangkörper beneidet man den SWR weit über seine Sendegrenzen hinaus. Gleichzeitig sind beide Orchester Motivatoren für heranwachsende Musiker und Studierende von Orchesterinstrumenten. Neben den Berliner Philharmonikern, der Staatskapelle Dresden, dem Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks und dem Gewandhausorchester Leipzig gelten die Orchester des SWR als die deutschen Spitzenorchester. Die Bedeutung Ihrer SWR-Sinfonieorchester für erstklassige Ur-und Erstaufführungen wurde schon in anderen Beiträgen beschrieben – wollen Sie wirklich Unikate, qualitativ hochwertige Klangkörper und Vorbilder für die Vermittlung von Musik in die finanzielle Enge treiben und somit der Bedeutungslosigkeit anheimgeben?!
Als offizielle Vertreter der Studierenden aller deutschen Musikhochschulen sehen wir uns in der Pflicht, auf eine letzte zentrale Dimension Ihrer geplanten Sparmaßnahmen hinzuweisen. Jede Kürzung im Orchesterbereich - egal ob Rundfunk oder Stadttheater - wirkt sich unmittelbar auf die Ausbildungs- und Zukunftsperspektiven von Musikstudierenden aus. Für jeden Orchestermusiker waren und sind die Anfänge im Orchester als Substitut und Praktikant zentrale Ausbildungsbestandteile und ohne den praktischen Austausch zwischen Studierenden und erfahrenen Musikern würde ein wichtiger Inhalt der Orchestermusiker-Ausbildung einfach wegfallen. Gerade für die Studierenden der fünf Musikhochschulen in Baden-Württemberg (Freiburg, Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart und Trossingen) sind Ihre Sinfonieorchester wichtige Ausbildungsstätten und bieten ein hochwertiges Berufspraxisangebot. Durch Kürzungen und/oder Fusion gäbe es de facto auch weniger Praktikantenstellen für Studierende. Dadurch stellen Sie latent den kulturellen Wert eines Studiums an einer deutschen Musikhochschule und weiterführend einen zentralen Bestandteil der Hochschullehre in Frage!
Wir sprechen uns aus besagten Gründen und in aller Deutlichkeit gegen die Fusionierungs-und Kürzungspläne für beide SWR-Sinfonieorchester aus!
Die Studierendenvertretungen der deutschen Musikhochschulen.