Im Gegensatz zur Salzburger Festspielaufführung dieses Sommers, in der die in vorchristlicher Zeit bei den alten Galliern spielende Handlung in das Frankreich des Zweiten Weltkriegs verlagert wurde, wobei die Regie jedoch auf ein Rampentheater reduziert war, spielt Bellinis „Norma“ am Landestheater Coburg in der Gegenwart, in einem nicht näher definierten Krieg: Die Gallier sind eine heftig agitierende, militante Minderheit gegen über den Invasoren.
Konstanze Lauterbachs Inszenierung besticht durch ihre dezidiert ausgearbeitete Personenführung in einem offenen Gesamtraum von Bohrtürmen, in den dann die fragwürdige Idylle der Privatsphäre der Norma gestellt ist (Bühnenbild: Karen Simon). Norma versteckt ihre illegitimen Kinder mit dem fremden Machthaber Pollione (im Originallibretto von Felice Romani der Prokonsul Roms im besetzten Gallien) in ihrem Bettkasten.
Normas Kinder spielen mit hölzernen Robotern aus der Vergangenheit, ihr Vater übt auch hier seinen imperialistischen Einfluss durch Geschenke mit Kriegsspielzeug aus Plastik. In der postmodernen Regiearbeit vollführt Normas Vertraute Clotilde (Heidi Peters) zum Duett der unfreiwillig zu Rivalinnen werdenden Priesterinnen Norma und Adalgisa ein skurril ausgelassenes Tänzchen. Am Ende wird der Scheiterhaufen für das angesichts der Katastrophe wieder zu einander findende Liebespaar Norma und Pollione aus schwarzen Müllsäcken gehäuft, in den letzten Takten schweben über ihnen und der kampfbereiten Minderheit bedrohliche Hubschrauber, á la „Apocalypse Now“.
Großartig geführt ist der individuell spielende Chor. Das Landestheater wartet auch mit überraschend überragenden Gesangsleistungen auf. Der umjubelten Celeste Siciliano in der Titelpartie mit ihren blühenden Kantilenen, stehen mit Kora Pavelic als kraftvoll nuancierte Adalgisa und dem eindrucksstarken Tenor Milen Bozhkov als Pollione adäquate Sängerpersönlichkeiten gegenüber. Auch Michael Lion als Normas Vater Oroveso und David Zimmer als drogensüchtiger Flavio schlagen sich wacker. Generalmusikdirektor Roland Kluttig leitet das wohl disponierte Orchester akkurat und mit Verve, in den lyrischen wie den dramatischen Passagen durchaus überzeugend.
Die eigentliche Sensation jedoch bietet die Fassung Richard Wagners, die weit über die hier erklingende, so genannte Einlegarie „Norma il predisse“, WWV 52, hinausgeht. Diese Arie für Bass-Solo, Herrenchor und Orchester komponierte Bellini-Zeitgenosse und -Bewunderer Richard Wagner 1839 in Riga, wo sie in der von ihm geleiteten Benefizvorstellung zur Aufführung kam. Wagners deutsche Namensnennung der Partie des Oroveso mit Orovisto folgt der deutschen Aufführungstradition. Stimmt Ernest Newmans Annahme, so ging der italienischen Partitur eine heute verschollene deutsche (Ur-)Fassung voraus.
Mit Orovesos flammender Agitation, dem Musikfluss Bellinis folgend, in F-Dur, spricht unverkennbar bereits der wortgewandte Revolutionär und spätere Dresdener Barrikadenkämpfer. Sie bedeutet aber insbesondere dramaturgisch eine deutliche Verbesserung: In Bellinis Original bringt die 5. Szene des 2. Aktes dem Zuschauer erneut die Ausgangssituation der Handlung ins Bewusstsein. In Wagners Version erfolgt eine weitere Zuspitzung des gesellschaftlichen Konflikts. Gestützt auf den unerbittlichen Freiheitsdrang der Gallier, nutzt Oroveso das Gebot der Stunde und heizt den Widerstandskampf weiter an. Dabei stützt er sich auf eine angebliche Prophezeiung der Druidenpriesterin. Die Siegesgewissheit geht einher mit einer deutlich im Raum stehenden Vernichtungsdrohung. Wie in Wagners „Rienzi, der Letzte der Tribunen“, WWV 49, erfolgt die Mobilmachung durch Berufung auf die alten Muster von Religion und Ehre. Wie Rienzi, so richtet auch Oroveso sich gegen den drohenden Verfall der Moral.
Die zündende Komposition wirkt in Coburg nicht wie eine Fremdzelle, sondern wie der dramatische Höhepunkt vor dem unerbittlich tragischen Ende. In der Premiere gab es Ovationen für alle Beteiligten, in die sich für die Regisseurin auch einige obligatorische Buhrufe mischten.