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„Così fan tutte“ als TV-Show: die Berliner Schickeria feiert Opernpremiere im E-Werk

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Eine der wenigen italienischen Opern, die sich in deutscher Sprache unter dem Originaltitel durchgesetzt haben, obgleich dieser den meisten Besuchern weniger verständlich ist als ein Personenname mit einem „Don“ oder einer „Donna“ davor, ist Mozarts „Così fan tutte“. Als eigenwillige Übersetzung hat die jüngste Berliner Produktion dafür den Untertitel „Sex, Lügen & TV“ parat.

Dirigent und Veranstalter Christoph Hagel hat in den vergangenen Jahren wiederholt Opern an ungewöhnlichen Orten geleitet – etwa Mozarts „Zauberflöte“ im ungenutzten U-Bahnhof des Kanzleramts – und sorgte, mit Regisseuren wie Katharina Thalbach, für Mesalliancen von Hochkultur und Alternativszene. Nun führte er erstmals auch selbst Regie und verwandelte das historische E-Werk in Berlin Mitte zu einem Glamour-TV-Studio (Ausstattung: Marcel Kaskeline und Claudia Möbius).

Mozart/Da Pontes erotische Wette um die Treue der Partnerinnen als ein Hohelied des Partnertauschs, das selbst den (doch wahrlich nicht prüden) Richard Wagner zu Verdikten über eine hier musikalisch vollzogene Verlogenheit anstachelte, wurde in deutscher Sprache besonders häufig bearbeitet, verwässert und verschlimmbessert. Der im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert im deutschen Sprachraum übliche Verzicht auf Mozarts Rezitative, zugunsten neuer, gesprochener Dialoge, feiert neue Urständ in Andreas Haß’ Textbearbeitung, die in Sachen Sex kein Blatt vor den Mund nimmt.

Auch die Personenführung, mit einem erstaunlich lockeren Solistenensemble (auf den marginalen Chor in dieser Oper wurde verzichtet), gibt sich sehr direkt. Studiodekoration und Backstage kreisen auf der Drehbühne, und vorproduzierte Pseudo-Live-Einspielungen eines akrobatischen Kameramanns sind als übergroße Projektion zu erleben, beispielsweise der Geschlechtsverkehr zwischen Dorabella und Guglielmo, die hier Doro und Leon heißen.

Den Rahmen bildet eine TV-Show mit dem zwischen Kantinenabgängen und kauzigen Kommentaren als Publikumsliebling gefeierten Alfred Biolek. Die Rolle des Alfonso, des singenden Drahtziehers des Partnertauschs, konnte Biolek jedoch nicht übernehmen, und daher holpert die Dramaturgie des Millionenspiels vor dem behaupteten Live-TV-Publikum. Statt in die Rollen der Commedia dell’ arte-Typen schlüpft Despina (ihr Name wurde beibehalten) in die von Lilo Wanders und in die einer (verschlankten) Hella von Sinnen, und statt mit Messners Magnetismus holt sie die beiden scheintoten Männer mittels gläserner Unterdruckröhren für steife Glieder ins Sex-Leben des Studios zurück.

Bereitwillig assistieren die beiden Protagonistinnen, deren erste TV-Showaufgabe das Aufgeilen ihrer Partner durch die Auswahl und das Vorführen von Reizwäsche war. Ganz so neu, wie manche Besucher meinen und die kommerziell aufwändige Produktion der TOCC Concept GmbH verkündet, ist dieses szenische Ambiente nicht, – auch nicht für Mozart: erinnert sei hier beispielsweise an den Kasseler Opernskandal des Jahres 1981, mit einem singenden Andy Warhol-Leporello, dessen Register der Sex-Abenteuer seines Herrn, teils vorproduziert, teils live in action, auf einem Screen zu erleben war.

Als Schüler von Bernstein und Celibidache vollführt Christoph Hagel extravagante Luftsprünge am Dirigentenpult und gebärdet sich auch sonst recht exzentrisch. Die international immer noch aktiven, in der Hauptstadt Berlin aber offiziell liquidierten Berliner Symphoniker rückt er an den rechten Bühnenrand, lässt sie aber akustisch, in der leicht geänderten Abfolge der Nummern der Partitur aus dem Jahre 1790, als beachtlich differenzierenden Klangkörper obsiegen.

Mit Hilfe von Mikroports wirken die Solisten stimmgewaltiger und dramatischer als für diese Partien üblich, aber insbesondere das sich in tieferer Tessitura findende Liebespaar ist mit Dorothee Schlemm und Christian Oldenburg wirklich trefflich besetzt, und Astrid Kessler exerziert auf schmalem Steg in der Höhe des E-Werks eine betörende Felsenarie.

Ein bunt gemischtes Publikum johlt, insbesondere während des zweiten Finales, wenn die reich gewordenen Protagonistinnen sich in einem Postshot am Strand lesbischen Urlaubsfreuden hingeben und Alfred Biolek sich endlich mit einem farbigen Knaben vergnügen darf.

Weitere Aufführungen:

19. bis 22. 11., 24. 11., 26. bis 29. 11., 1. bis 6.12., 8. bis 13. 12. und 15. bis 20. Dezember 2009.

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