Vor genau einem Jahr startete der Richard-Wagner-Verband im ostwestfälischen Minden das wohl ambitionierteste Projekt in seiner über hundertjährigen Geschichte: Wagners „Rheingold“ war der Auftakt zur Inszenierung des kompletten „Ring des Nibelungen“ im örtlichen Stadttheater. Eine Herausforderung, bietet das Haus doch eigentlich kaum die technischen Voraussetzungen zur Realisierung dieses Opern-Giganten. Wie sich aus einem Mangel an Möglichkeiten denn doch ein Vorteil ergeben kann, zeigt nach dem „Rheingold“ in diesem Jahr auch die „Walküre“.
Er leuchtet wieder, der überdimensionale, die gesamte Breite des Bühnenportals einnehmende Reif. Mal in Rot, mal in grellem Weiß oder auch ganz ohne Licht bietet er den äußeren Rahmen für das Produktionsteam Gerd Heinz (Regie), Frank Philipp Schlößmann (Ausstattung) und Matthias Lippert (Video). Das war schon im letzten Jahr beim „Rheingold“ so. Und dieser signifikante, die Bühne beherrschende XXL-Ring wird der Mindener Tetralogie gewiss so etwas wie Kontinuität bis zu ihrer Vollendung im Jahr 2018 verleihen. In der „Walküre“ nun entsteht unter ihm Hundings Hütte, dann Frickas hochherrschaftliches Gemach, in dem sie ihrem Gatten Wotan unzweideutig klarmacht, wie mit Siegmund zu verfahren sei; schließlich mutiert die kleine Spielfläche, in glutvolles Rot getaucht, zum einsamen Felsen, wo die verbannte Brünnhilde bis zum nächsten Jahr auf ihre Befreiung durch Siegfried zu warten hat.
Große Sprünge mit theatralischen Effekten kann sich Gerd Heinz aufgrund fehlender Voraussetzungen im Mindener Stadttheater nicht leisten. Genau dies animiert ihn dazu, das Augenmerk vor allem auf die psychologischen Aspekte all der personellen Beziehungen zu richten, die Wagner gerade in der „Walküre“ entfaltet. Da reichen eine Handvoll Requisiten: zwei Tische, zwei Stühle, eine abstrakte Weltesche mit darin steckendem Nothung, eine große runde Scheibe als zentrale Spielfläche.
Weitaus wichtiger sind die Sängerdarsteller, ihre kleinen Gesten, ihre Mimik, ihre aussagekräftigen Blicke und Bewegungen... Und diese Kraft zur psychologischen Ausdeutung des Geschehens mobilisiert das Mindener Solisten-Team durch die Bank ausgezeichnet: Renatus Mészár als in unlösbar scheinenden Konflikten steckender und daran leidender Wotan, Kathrin Göring als gebieterische Fricka, die nichts als den Machterhalt im Sinn hat und dabei buchstäblich über Leichen geht, Dara Hobbs in der Rolle der hin- und hergerissenen Brünnhilde. Das sind ebenso große Schauspieler wie kraftvoll-überzeugende Sänger – Gleiches gilt für den Siegmund, dem Thomas Mohr mit seinem energiegeladenen Tenor heldenhafte Statur schenkt, für Magdalena Anna Hofmann als anrührende Sieglinde, Tijl Faveyts als Hunding von optisch eher schmächtiger, klanglich dafür umso markiger Gestalt.
Die Horde der Walküren wuselt durchs ganze Theater, bevölkert die Ränge und absolviert im dritten Akt den Ritt durch die Schlachtfelder mit zügigem Tempo, das Frank Beermann am Pult der Nordwestdeutschen Philharmonie vorgibt. Beermann, der bis Ende letzter Spielzeit als GMD in Chemnitz engagiert war, ist seit langem Partner der Mindener Wagner-Projekte, kennt die akustischen Bedingungen des Hauses und die technischen seiner Bühne, in deren hinterem Bereich das Orchester positioniert ist. Vor der Gefahr, den Orchesterklang allzu sehr „aufzudrehen“, ist Beermnn gefeit – stattdessen macht er Details hörbar (etwa in Sachen Orchestrierung), die gewöhnlich, wenn die Klangmassen aus einem gedeckelten Orchestergraben tönen, verloren zu gehen drohen. Auch in diesem Punkt wird der vermeintliche Mangel des Stadttheaters Minden (der viel zu kleine und deshalb von den Instrumenten nicht genutzte Graben) zum Vorteil!
Wagner ist auch rund um die Walküre wieder seit Monaten Thema in der ganzen Stadt: Schulklassen beschäftigen sich mit dem Musikdrama, Vorträge, Diskussionen, Ausstellungen begleiten das Event, auf das man mächtig stolz ist und zu dem Wagner-Jünger selbst aus weiter Ferne anrücken. Zu Recht! Der Premierenjubel war grenzenlos.
- Weitere Aufführungen: 13. 9.; 16. 9.; 18. 9.; 20. 9. (Schulvorstellung); 23. 9.